Stripes
Stripes
Archiv

Komplimente statt Punkte

(sh:z) Sogar für die Verlierer gab es Komplimente, doch wirklich freuen konnten sie sich nicht. „Meine Mannschaft hat sich am Optimum bewegt, hat das gezeigt, was sie im Moment leisten kann“, sagte Trainer Ljubomir Vranjes. „Aber Gratulationen nach einer Niederlage sind schon merkwürdig.“ Mit 28:29 (12:10) hatte die SG Flensburg-Handewitt gegen MVM Veszprém verloren, aber keineswegs enttäuscht. Die 6300 Zuschauer sahen eine ebenso dramatische wie hochklassige Partie Und Javier Sabate, der spanische Coach des ungarischen Meisters, schwärmte von einem „großartigen Sieg bei dem Team, das derzeit europaweit am besten in Form“ sei.

Den SG-Akteuren war nicht nach Lobhudelei. Sie mussten registrieren, dass der Traum vom Gruppensieg, vom direkten Viertelfinal-Einzug und einem freien Oster-Wochenende geplatzt ist. Theoretisch wäre Rang eins noch denkbar, doch dafür müsste am letzten Spieltag nicht nur ein Sieg in Paris her, sondern Veszprém zugleich eine Heimpleite gegen Plock kassieren. Realistischer ist da schon, dass die SG als Tabellendritter ein Oster-Heimspiel gegen Montpellier AHB, den Sechsten der Parallelstaffel, bestreiten wird. Selbst in der Hand hätte es die SG, mit einem Sieg am kommenden Sonntag auf den zweiten Platz vorzurücken, um sich dann im Achtelfinale – wahrscheinlich – mit dem ukrainischen Klub Motor Zaporozhye auseinanderzusetzen. „Wir fahren bestimmt nicht für eine Stadtrundfahrt nach Paris, wir wollen um den zweiten Platz kämpfen“, sagte Tobias Karlsson.

Allerdings war dem Kapitän und Abwehrchef am Samstagabend noch nicht so recht nach einem Blick auf die nächsten Aufgaben zumute. Er dachte über etwas nach, was einem Weltklasse-Verteidiger wie ihm nur sehr selten passiert: Er und seine Nebenleute kassierten 19 Gegentreffer in nur einer Halbzeit. Die Partie war tempogeladen, der Gegner bekanntlich vom höchsten Format, dennoch suchte Tobias Karlsson nach einer Erklärung. „Veszprém hat einen ungemein starken Kader“, sinnierte der Schwede. „Wenn es bei Momir Ilic nicht läuft, kommt der nächste und so weiter. Irgendwann haben die eine Aufstellung gefunden, mit der es funktioniert.“

Was die Bilanz der zweiten Hälfte noch erstaunlicher macht: In den ersten 30 Minuten deckten die Flensburger hervorragend, Keeper Mattias Andersson fühlte sich sichtlich wohl hinter dem gewohnten 6:0-Verband. Das war die Grundlage für eine 12:8-Führung (27.), die Veszprém bis zum Seitenwechsel etwas reparieren konnte. „Es hätte nicht viel gefehlt, und wir hätten frühzeitig den Anschluss verloren“, staunte Javier Sabate über den Spielverlauf. „Doch nach der Pause hat sich meine Mannschaft nah am Perfektionismus bewegt.“ In den Trend reihte sich auch Torwart Mirko Alilovic, der es den SG-Schützen nun deutlich schwieriger machte. Beim 24:27 (56.) wähnten viele die SG unwiederbringlich auf der Verliererstraße.

Doch eine neue Abwehrvariante mit Kentin Mahé als Spitze sorgte für zwei Ballgewinne, die Johan Jakobsson und Lasse Svan für den Anschluss nutzten. Die „Hölle Nord“ tobte vor Begeisterung. Da Ljubomir Vranjes während der Partie relativ viel gewechselt hatte, schienen die Hausherren genug Körner für ein Happyend zu besitzen. Rasmus Lauge hämmerte den Ball 50 Sekunden vor Schluss zum 28:29 in die Maschen. „Meinen Freund Rasmus muss ich loben“, sagte Aron Palmarsson, ein Bekannter aus ehemals gemeinsamen Kieler Zeiten. „Was er geboten hat, war Weltklasse – da waren ein paar unglaubliche Dinge dabei.“

Rasmus Lauge war auch ein Hauptakteur der letzten zwingenden Aktion, die noch das Unentschieden hätte bringen können. Die Partie war unterbrochen, vier Sekunden noch zu spielen, als Thomas Mogensen zunächst zu Kreisläufer Kresimir Kozina eilte, dann zu Rasmus Lauge, um ihnen etwas ins Ohr zu flüstern. „Die Informationen scheinen nicht angekommen zu sein“, meinte Ljubomir Vranjes später. Es gab keinen Spielzug mehr: Kresimir Kozina passt auf Rasmus Lauge, der bedrängt abzog und an Mirko Alilovc scheiterte. „Das war ein Durcheinander und nur wenig Zeit, da hätten wir schon viel Glück gebraucht“, meinte Rasmus Lauge. „Entscheidend für unsere Niederlage war vielmehr unsere katastrophale Abwehr nach der Pause und das Auslassen einiger hundertprozentiger Chancen, woran ich mich leider beteiligt habe.“ Der Däne signierte Autogramme, als er zu einer ermutigenden Feststellung kam: „Trotz unserer Probleme in der zweiten Hälfte haben wir nur mit einem Tor gegen Veszprém verloren – das zeigt, wie dicht wir an der europäischen Spitze dran sind.“ So muss das Final Four von Köln kein Traum bleiben.