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Flensburg überrennt den THW Kiel

(sh:z; Jan Wrege) An diesem Abend stimmte alles bei der SG Flensburg-Handewitt: Ein Rekordsieg mit 37:27 (17:14) im 87. Derby gegen den THW Kiel, die  Rückkehr auf Platz eins in der Gruppe A der Champions League, eine überragende Leistung aller Beteiligten und die fast märchenhaft anmutenden Comebacks der Langzeitverletzten Jim Gottfridsson und Jacob Heinl. „Das war ein großes Spiel von uns. Wir waren in jedem Teil  besser gegen den THW, der eine der besten Mannschaften der Welt hat. Meine Mannschaft hat einen richtig guten Job gemacht“, sagte SG-Trainer Ljubomir Vranjes.

In Flensburg wird man sich noch lange an diesen denkwürdigen Handballabend in der ausverkauften Flens-Arena erinnern. In Kiel wird  man sich nach der bitteren Schlappe     möglichst schnell ins Vergessen flüchten. Und nach vorn schauen: Es gilt nun, Rang vier in der Gruppe zu verteidigen, um im Achtelfinale den härtesten Kontrahenten aus dem Weg zu gehen. Der SG indes winkt eine wertvolle Pause im Achtelfinale und der direkte Einzug als Gruppensieger in die Runde der letzten Acht.

Zunächst schien sich ein spannenderes Derby als vor zwei Monaten im DHB-Pokal-Viertelfinale in Kiel zu entwickeln. Im Dezember hatten die Flensburger den THW früh im Sack. Gestern begann es ausgeglichen, mit zwei starken Torhütern als Protagonisten. Niklas Katsigiannis im Kieler Tor hielt zunächst noch Schritt mit Mattias Andersson auf Flensburger Seite. Früh zeigte sich aber auch, dass die Gastgeber die größeren Ressourcen  in personeller und taktischer Hinsicht hatten.

Lediglich Kentin Mahé und Anders Zachariassen fehlten verletzt bei der SG, während die Kieler auf vier Stammkräfte (Steffen Weinhold, Christian Dissinger, Patrick Wiencek, René Toft Hansen) verzichten mussten. Trainer Alfred Gislason versuchte zwar, nach dem anstrengenden Spiel am Mittwoch gegen Gummersbach die Kräfte durch frühes Wechseln zu schonen, jedoch wurde deutlich, dass die aus der Hamburger Konkursmasse verpflichteten  Dener Jaanimaa und Ilija Brozovic noch die Bindung zum Spiel des THW fehlt. Dennoch hielten sich die Gäste gegen die mit Volldampf agierende SG bis kurz nach der Pause noch wacker. Joan Canellas düpierte die Flensburger anfangs mit seinen ansatzlosen Würfen, Domagoj Duvnjak war wie üblich nicht zu bremsen. Auf der rechten Seite fiel jedoch Linkshänder Marko Vujin lediglich durch neongrüne Schuhe auf. Die Flensburger wirkten insgesamt homogener und von allen Positionen gefährlich.

Ab der 35. Minute begann der Untergang der Zebras. Zum einen wurde Andersson schier unüberwindlich, zum anderen gab es für die Kieler ein weiteres Mal Anlass zum Haareraufen über eine Personalie: Warum nur haben sie Ramus Lauge zum Erzrivalen ziehen lassen? Der Däne war neben dem SG-Torhüter der Mann der zweiten Halbzeit. Lauge traf wie er wollte und machte mit sechs Toren in zehn Minuten (36.-46.) beinahe alleine kurzen Prozess mit den Gästen. Am Ende standen neun Tore für den Rückraumspieler zu Buche. Das überstrahlte sogar die bärenstarke Leistung von Spielmacher Thomas Mogensen, der sich nach der Winterpause wieder voll bei Kräften zeigte und den SG-Angriff brillant lenkte.

Beinahe hätte man Mitleid mit dem Rekordmeister haben können – aber dann erinnerte man sich, dass die Flensburger in der vergangenen Saison personell noch prekärer dagestanden haben. Da kannte Kiel auch kein Erbarmen. 29:20 stand es nach 49. Minuten – es war eine Demontage des THW Kiel. Die Flensburger ließen nie locker, bissen in der Abwehr zu, zeigten sich deutlich zweikampfstärker, ließen Angriff um Angriff mit höchstem Druck auf das Gäste-Tor branden.

Und die  Flensburger ließen sich die Gelegenheit nicht entgegen, zwei lange Vermissten die Rückkehr zu ermöglichen. Als erst Jim Gottfridsson und dann Jacob Heinl das Parkett  betraten, flossen Freudentränen auf den Rängen. Beide zeigten, dass sie wieder da sind. Gottfridsson traf zwei Mal, Heinl erzielte seinen viel umjubelten Treffer nur zehn Sekunden, nachdem er seine 14-monatige Zwangspause beendet hatte. „Ich kann meine Gefühle gar nicht beschreiben, fast hätte ich geheult“, bekannte Heinl, dem  ein tückischer Virus fast eineinhalb Jahre übelstes Leiden an Leib und Seele verursacht hatte.

THW-Coach Gislason blieb nur der „Glückwunsch an die SG“. Der Isländer bescheinigte seinem Team eine gute erste Halbzeit. „Leider haben wir ein paar Fehler zu viel gemacht, um ein noch besseres Resultat mit in die Pause zu nehmen. Über die zweite Halbzeit bin ich sehr enttäuscht. Die Abwehr war nicht da, und im Angriff hatte nur Domagoj Duvnjak Normalform.“