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Haarscharf einer Blamage entgangen

(sh:z; Hans-Werner Klünner) Nach sechs Tagen auf Wolke sieben ist die SG Flensburg-Handewitt zurück auf der Erde. Fast wäre es für den frisch gebackenen DHB-Pokalsieger eine Bruchlandung geworden. Nach einer dürftigen spielerischen Leistung rettete der Tabellendritte der Handball-Bundesliga vor 6300 Zuschauern in der Flens-Arena mit dem 24:24 (8:11) gegen den abstiegsbedrohten TBV Lemgo nach einem 22:24-Rückstand kurz vor Schluss wenigstens noch einen Zähler. Das Duell um die direkte Champions-League-Qualifikation mit dem SC Magdeburg ist damit drei Spieltage vor dem Saisonende wieder völlig offen. Beide Teams haben 18 Minuspunkte auf ihrem Konto. „Lemgo hat heute um jeden Zentimeter gekämpft, wir nicht“, haderte SG-Trainer Ljubomir Vranjes mit der Einstellung seiner Mannschaft. „Ich hatte die Verantwortung schon vorher verteilt. Aber das hat nicht funktioniert. Bei einigen Spielern habe ich die richtige Ausstrahlung vermisst“, monierte der enttäuschte Schwede.

Die Gastgeber konnten am Ende froh sein, überhaupt noch einen Zähler errungen zu haben. 23:24 lag Lemgo in der letzten Minute vorn. Hätten zunächst Tim Schneider und wenige Sekunden später Arnoldus Haenen nicht den Pfosten und die Unterkante der Latte getroffen, die Gäste wären mit beiden Punkten nach Ostwestfalen gefahren. Die Frage nach einem verlorenen oder gewonnenen Punkt stellte sich für die SG daher nicht – wohl aber für den TBV. „Ein Punkt im Abstiegskampf in Flensburg ist für uns enorm wichtig, aber wenn man das Spiel und die letzte Minute betrachtet...“, sinnierte TBV-Keeper Dan Beutler. Der Ex-Flensburger hatte in der Schlussphase freie Würfe von Mogensen, Gottfridsson und Zachariassen pariert und war damit zu einem der Garanten für den Punktgewinn in der Hölle Nord avanciert. „Wir hätten auch beide Punkte kriegen können. Dennoch bin ich froh, wir nehmen auch einen im Abstiegskampf gerne mit“, freute sich Trainer Florian Kehrmann.

Die 6300 Zuschauer in der Flens-Arena, die den Pokalsieger vor dem Anpfiff mit stehenden Ovationen gefeiert und eine Gala gegen den Abstiegskandidaten erwartet hatten, fühlten sich im falschen Film. 8:2 stand es nach 18 Minuten – aber nicht für die SG, sondern für Lemgo. Die Gastgeber fanden in der Offensive überhaupt nicht in die Spur, leisteten sich eine verhängnisvolle Kette von Unzulänglichkeiten. Als Vranjes zum Time-out bat, standen bereits 14 Fehlversuche zu Buche, davon vier Holztreffer. Hinzu kamen vier technische Fehler. „In den ersten 20 Minuten waren wir gar nicht da“, ärgerte sich der Welttrainer des Jahres, der den auf der ganzen Linie enttäuschenden Drasko Nenadic schon nach zehn Minuten wieder auf die Bank beordert und durch Lars Kaufmann ersetzt hatte. Danach entwickelte die SG-Offensive zwar mehr Druck und verkürzte bis zum Seitenwechsel auf 8:11. „Doch insgesamt war das viel zu wenig“, befand Vranjes.

Als Thomas Mogensen nach exakt 40 Minuten den 15:15-Ausgleich erzielt und Johan Jakobsson die Gastgeber anschließend mit zwei Treffern in Folge mit 17:15 in Front gebracht hatte, schien das Spiel zu kippen. Tat es aber nicht – und Lemgos Trainer schien auch den Grund dafür zu kennen. „Normalerweise macht die SG jeden Gegner in so einer Phase tot. Aber heute haben ein paar Prozent gefehlt, um das bis zum Ende durchzuspielen.“ SG-Kapitän Tobias Karlsson, der in der Abwehr über 60 Minuten gerackert hatte und zusammen mit dem starken Mattias Andersson im Tor die SG zurück ins Spiel gebracht hatte, ärgerte sich: „Da haben wir wieder einige freie Bälle vergeben.“ Ob es daran lag, dass einige SG-Akteure an diesem Abend nicht ganz bei der Sache waren, wollte der Abwehrchef nicht kommentieren: „Das muss jeder für sich beantworten, welche Gedanken er sich zum Spiel gemacht hat. Ich hoffe, dass wir immer mit einer Profi-Einstellung auftreten, das ist zumindest mein Ziel. Und dann tut es noch mehr weh, wenn so etwas passiert.“

Zumindest der kämpferische Einsatz bei den Flensburgern hatte gestimmt, sonst wäre Lars Kaufmann der umjubelte 24:24-Ausgleich 31 Sekunden vor Schluss vielleicht nicht gelungen. „Die Abwehr war okay, und wir haben in der zweiten Hälfte gekämpft“, bescheinigte Ljubomir Vranjes seiner Mannschaft. „Dennoch müssen wir den Pokalsieg vergessen und uns wieder auf die Bundesliga fokussieren.“ Sonst könnte die SG ihr gestecktes Saisonziel, die direkte Qualifikation zur Champions League, verpassen. Am Pfingstsonntag wartet beim HSV Hamburg die nächste schwere Aufgabe auf den Pokalsieger.