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Wo ist das gefürchtete SG-Kollektiv?

Das hat es in der Ära Per Carlén bisher nicht gegeben. Schon Minuten vor dem Ende verließen frustrierte Zuschauer die Campushalle, und nach Spielschluss mussten sich Trainer und Mannschaft der SG Flensburg-Handewitt Pfiffe anhören. Die Verärgerung und Enttäuschung der eigenen Anhänger war nachvollziehbar. Der Dritte der vergangenen Saison hatte mit dem 29:33 (11:14) gegen den SC Magdeburg nicht nur die Heimpremiere der Saison 2010/2011 „vergeigt“, der Champions-League-Rückkehrer hatte darüber hinaus auch noch eine indiskutable Leistung abgeliefert. „Das war grottig“, brachte Geschäftsführer Holger Kaiser die Meinung vieler auf den Punkt.
Auch Trainer Per Carlén „kochte“ innerlich, auch wenn er sich nach außen hin unaufgeregt gab. „Das war das größte Debakel, seit ich in Flensburg auf der Trainerbank sitze“, gab der 49-jährige Schwede zu Protokoll. „Gegen den Magdeburger Angriff hat unsere Abwehr keine Lösung gefunden, und im Angriff haben wir uns etliche Fehlversuche erlaubt. Das war der Schlüssel zur Niederlage.“ Der Geschäftsführer ging mit der Mannschaft noch härter ins Gericht: „Wir hatten keine geschlossene Abwehr und keine Geduld im Angriff. Das war keine geschlossene Leistung, es standen sechs Einzelspieler auf dem Feld. Vom Optimismus der vergangenen eineinhalb Jahre war nichts zu sehen.“
Was sich zum Bundesliga-Auftakt in Wetzlar angedeutet hatte, setzte sich am Mittwoch im ersten Heimspiel fort. In der Defensive fehlte die Abstimmung und in der Offensive jegliche Struktur. Weder Thomas Mogensen noch Neuzugang Viktor Szilaygi schafften es, Ordnung in die Aktionen der Gastgeber zu bringen, die ohne Esprit und Emotionen ihre Angriffe vortrugen und es so einer glänzend eingestellten Magdeburger Deckung an diesem Abend leicht machten. Die Bördeländer hatten die Schwächen der Gastgeber schon im Vorfeld ausgemacht und setzten die Vorgaben ihres neuen Trainers Frank Carstens konsequent um: Dem ohne den verletzten Anders Eggert etwas lahmen linken Flügel der SG etwas mehr Platz einräumen, die gesamte Abwehr also etwas nach links verschieben und offensiv gegen Oscar Carlén decken. Gegen dieses Konzept fand die SG kein Mittel. Trainer Per Carlén brachte in der zweiten Hälfte sogar den jungen Petar Djordjic auf halblinks, um mehr Wurfkraft aus dem Rückraum zu haben. Doch keine Maßnahme fruchtete, weil SCM-Torhüter Gerry Eijlers einen glänzenden Tag erwischt hatte und 19 Bälle abwehrte. Unter dem Strich standen am Ende 27 Fehlwürfe der SG.
Auch in der Abwehr hatte die SG unübersehbare Probleme. In der ersten Hälfte agierte sie zu passiv, und nach dem Wechsel, als die Gastgeber offensiver wurden, taten sich immer wieder große Lücken auf, die vor allem Jure Natek (11 Tore) gnadenlos ausnutzte. Nichts war zu sehen vom in der vergangenen Serie gefürchteten SG-Kollektiv. Die Abwehr war löchrig wie ein Schweizer Käste, hinter der auch die Torhüter Beutler und  Rasmussen nie zur Normalform fanden.
„Jeder hat seinen Beitrag zu dieser Niederlage geleistet. Wir haben zusammen verloren, aber wir haben nicht zusammen gespielt“, meinte ein selbstkritischer Viktor Szilagyi. „Magdeburg hat zwar eine gute Mannschaft, aber so etwas darf nicht passieren.“ Auch die anderen SG-Akteure haderten mit sich und ihrer Leistung. „Die Niederlage war eine Summe vieler Fehler“, meinte Tamás Mocsai, der wie Szilagyi im Sommer zur SG gekommen ist. „Es fehlte Aggressivität in der Abwehr sowie Cleverness im Angriff. Und hinzu kam noch die schlechte Chancenverwertung. Wir selbst haben Magdeburg stark gemacht.“    Und Mannschaftskapitän Tobias Karlsson merkte an: „Es gibt Spiele, da klappt es vorne nicht, aber du gewinnst sie in der Abwehr. Und dann gibt es Spiele, da steht die Abwehr nicht, aber du gewinnst sie im Angriff. Aber wenn über 60 Minuten lang nichts funktioniert, kannst du nicht gewinnen.“
In einem Punkt waren sich alle Beteiligten einig. Diese Niederlage hätte nicht nötig getan. „Wir müssen uns gegenseitig mehr helfen“, befand Oscar Carlén, „nicht nur in der Abwehr – auch im Angriff.“ Viktor Szilagyi umschrieb es anders, aber genauso treffend: „In solchen Spielen reicht Kampf allein nicht aus. So etwas können wir nur im Kollektiv lösen.“ Doch genau das scheint der SG in der Vorbereitung abhanden gekommen zu sein. Oder haben sich alle von den leichten Siegen gegen zweitklassige Gegner vielleicht doch blenden lassen?