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SG verdient sich ihr Glück in Berlin

Mit hochrotem Kopf, gezeichnet von 60 intensiven Minuten setzte sich Per Carlén ans Podium im Hörsaal der Berliner Max-Schmeling-Halle. Der Vortrag des Handball-Lehrers auf der Pressekonferenz kreiste um zwei Punkte: Glück und Kampf. Sie hatten der SG Flensburg-Handewitt wieder einen Sieg mit einem Tor Differenz beschert. Mit dem 26:25 (12:11) gegen die Füchse Berlin hatte Carléns Team  zum vierten Mal in dieser Saison die brisante Gratwanderung überstanden und sich mit dem insgesamt sechsten Erfolg in fremder Halle als dritte Kraft in der Bundesliga behauptet. „Wir haben viel Glück gehabt“, sagte der SG-Trainer, „und wir haben sehr gut gekämpft. Flensburg kann auswärts nicht gewinnen, wenn nicht gekämpft wird.“
Manches ließe sich über Unzulänglichkeiten in beiden Mannschaften sagen, doch zu viel Nörgelei würde dem packenden Match vor 8461 Zuschauern nicht gerecht werden. Es war unterhaltsam, die Dramaturgie lockte das Publikum auf wechselnde Fährten, es gab ein Finale mit Helden und tragischen Figuren. Zur ersten Kategorie gehörte neben dem traumwandlerisch sicheren Strafwurfschützen Lars Christansen (8/5) der Torwart Johan Sjöstrand. Der junge Schwede bewahrte die Flensburger vor einem ärgerlichen Remis, als er in letzter Sekunde den Wurf von Ivan Nincevic parierte, der nach einem Tempogegenstoß frei ihm stand. Der Nachwurf des Berliners landete im Tor, aber nicht mehr rechtzeitig vor der Schlusssirene.
„Wenn’s läuft, dann läuft es“, meinte SG-Teammanager Ljubomir Vranjes grinsend. Er findet nicht, dass seine Mannschaft das Thema Fortune überstrapaziert. „Glück erarbeitet man sich auch. Wir haben eine gute Mannschaft, die sich das Glück verdient.“ Allerdings, so Vranjes, „muss man realistisch sagen, dass wir nicht optimal spielen“. Die Qualität der besten Hinrundenspiele hat die SG noch nicht wieder erreicht. Trainer Carlén  bemängelte, dass der Angriff zu wenig Druck entfacht: „Wir haben kein Balltempo. Das geht zu langsam.“ Etliche SG-Angriffe in Berlin endeten in technischen Fehlern oder Verlegenheitswürfen aus Zeitnot.
Kopfzerbrechen bereitete den Flensburgern die relativ simple Maßnahme, die Füchse-Trainer Dagur Sigurdsson gegen Oscar Carlén in der zweiten Halbzeit ergriff. Spielmacher Bartlomiej Jaszka wurde als Bewacher des gefährlichsten  Flensburger Rückraumspielers abgeordnet, beinahe erfolgreich: Von 14:17 drehten die Füchse das Spiel zur 18:17-Führung und bis zum 23:21 für Berlin sah es für die SG finster aus.
„Mit der schiefen 5:1-Deckung gegen Oscar hatten wir ein echtes Problem. Wir müssen an die Zukunft denken und das schnell lösen“, sagte der SG-Trainer. In Berlin bestand die Lösung in „Leerbewegungen“, so Carlén. Die schufen Raum für Rechtsaußen Lasse Svan Hansen, der dann über den Kreis einlief. Drei wichtige Tore erzielte die SG so in den letzten elf Minuten.
Es spricht für die taktische Kompetenz von Spielern und sportlicher Leitung, dass die SG in dieser Saison zügig reagiert. Am Sonntag konnte der Magdeburger Linkshänder Andreas Rojewski noch frei agieren, am Mittwoch ließ die SG-Deckung den Berliner Halbrechten Mark Bult meistens abprallen. „Wir haben uns besser abgesprochen, hatten klare Zuweisungen und wir haben  aggressiver gespielt“, meinte Jacob Heinl.
Sein kongenialer Partner in der Abwehrmitte wärmte sich am Geist der Flensburger Kampfgemeinschaft. „Es ist ein unglaublich schönes Gefühl zu wissen, dass überall ein Freund neben dir steht, um zu helfen“, sagte Tobias Karlsson.  Der Routinier vergaß nicht, darauf hinzuweisen, dass in Michael Knudsen eine zentrale Figur im SG-Spiel fehlte. „Es bedeutet viel für die Entwicklung und das Selbstvertrauen dieser Mannschaft, dass wir sogar ohne einen unserer wichtigsten Spieler gewinnen können“, meinte der Schwede.
Zumal in Berlin, wo das Handball-Projekt zunehmend an Kontur und Substanz gewinnt. Zwar muss der Anheizer das Publikum noch instruieren („ich sage jetzt die  Vornamen  unserer Spieler und ihr ruft die Nachnamen“) und der Geräuschkulisse wird bis an die Schmerzgrenze nachgeholfen. Aber die Grundstimmung wirkt authentisch, die Füchse-Fans gehen mit, die Mannschaft  hat Ausstrahlung. Da wächst eine weitere Großstadt-Macht heran. Und ein direkter Rivale für die SG, die schon Alex Petersson an die Berliner verlieren wird. Der Isländer hatte am Mittwoch einen schweren Stand. „Das war nichts. Ich bekam den Kopf nicht frei. Alle wollten gucken, was ich kann“, entschuldigte sich Petersson für einen seiner schwächeren Auftritte.