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Die Löwen gebändigt

SG Flensburg-Handewitt "erlegt" die Rhein-Neckar Löwen mit 30:26 (15:13)-Toren.

MANNHEIM. Eigentlich haben die Handballer der SG Flensburg-Handewitt in den Auswärtsspielen bei den Rhein-Neckar-Löwen nichts zu bestellen. Die große Ausnahme erlebten rund 9000 Zuschauer in der SAP-Arena sowie Millionen Handball-Fans an den Fernsehnschirmen live und hautnah. Mit einer in allen Belangen couragierten Gesamtleistung eroberte der Tabellenachte erstmals den »Löwenkäfig« und setzte das Aufbruchsignal in den »heißen Dezember.« Das überraschende 30:26 (15:13) wurde mit einem Freudentanz mitten im Löwen-Tempel gebührend gefeiert. Die Hausherren, selbsternannter Titelanwärter, erlebten im Rennen mit dem THW Kiel und dem HSV Hamburg um die Meisterschaft einen schmerzhaften Rückschlag, vielleicht sogar schon den entscheidenden Knockout.

Die Ehre der ersten Führung gebührte den Gästen von der deutsch-dänischen Grenze durch Rechtsaußen Lasse Svan Hansen. Doch damit sollte die Gastfreundschaft der Hausherren auch schon aufgebraucht sein. Und zunächst schien auch alles nach Plan des Topfavoriten zu verlaufen. Die Löwen ließen mächtig die Muskeln spielen und schienen den Tabellenachten aus Flensburg ebenso an die Wand zu spielen, wie zuletzt den TBV Lemgo, der mit 14 Toren Differenz deklassiert wurde.

Gestützt auf einen starken Henning Fritz im Tor und einer kompakten Abwehr zogen die Hausherren ihr Tempospiel auf und setzten sich schnell auf 6:3 (9.) ab. Wer von der rund 9.000 Zuschauern im Mannheimer Sport-Tempel geglaubt hatte, die Rhein-Neckar-Löwen würden die Wikinger im Eiltempo »vernaschen«, sah sich allerdings getäuscht. Obwohl die SG in dieser Phase sogar Leitwolf Michael V. Knudsen mit einer Oberschenkel-Prellung ersetzen mussten, wuchs der Widerstand im Minutentakt.

Dan Beutler im Tor bekam endlich die ersten Würfe zu fassen, die Deckung gewann viele »kleine Duelle« und in der Summe entstand jene Deckungs-Leistung, die der SG gerade zum Saisonbeginn glänzende Noten eingebracht hatte. Getragen von der effektiven Abwehrleistung boten sich dem Team von Trainer Per Carlén automatisch Konterchancen, womit die zweite Waffe zu stechen begann. Zudem war jener Kampfgeist erwacht, der dem Meister von 2004 abhanden gekommen schien.

Getragen von Thomas Mogensen, Lars Christiansen und Oscar Carlén glich der Gast nicht nur aus (10:10 in der 21. Minute), sondern übernahm sogar die Führung, die bis zur Pause auf 15:13 anwuchs. Zwar hatte Löwen-Coach Ola Lindgren die drohende Wende in der Auszeit zu verhindern versucht, doch auch die zweite Besetzung wirkte überfordert. Erinnerungen an das »launische Löwen-Rudel« kamen wieder auf.

Das 16:14 (32.) in Unterzahl durch Carlén sowie das 17:14 (34.) durch Jacob Heinl ließ die wütenden Anfeuerungs-Rufe der Löwen-Anhänger langsam verstummen. Stattdessen rieben sich die Löwen-Anhänger verwundert die Augen, hatten sie mit diesem Zwischenstand doch nicht wirklich nicht gerechnet. Gegen die »dritte Kraft« der Bundesliga schwangen sich die Gäste weiterhin zu Höchstleistungen auf und kämpften im Löwenkäfig um den Absturz ins graue Mittelmaß der Liga.

Vor allem das Abwehrbollwerk setzte dem Löwenangriff heftig zu. Heinl und Karlsson machten die Mitte dicht und die offensive Sonderbewachung gegen »Tormaschine« Karol Bielecki schmeckte dem Polen überhaupt nicht. Zuvor noch als »Torminator« betitelt, verblasste der Rückraum-Shooter immer mehr.

Selbst die dritte Zeitstrafe gegen Jacob Heinl (41.) und der damit verbundene »Platzverweis« steckte die SG beherzt weg und schien noch einen Gang höher zu schalten, trat noch entschlossener auf. Durch den Heinl-Ausfall war Knudsen gezwungen, trotz einer schmerzhaften Oberschenkel-Verletzung auf die Zähne zu beißen und wieder aktiv ins Geschehen einzugreifen.

Die Gastgeber wirkten angesichts des widerspenstigen Gegners ratlos und agierten ohne Struktur, ohne klare Handlungslinie. Mit Folgen: Die SG behauptete weiterhin die Führung und näherte sich von Minute zu Minute der Sensation. Spätestens das 22:18 (44.) stellte alle Erwartungen und Prognosen komplett auf den Kopf.

Mit tollen Beutler-Paraden und dem Glauben an den Erfolg kompensierte die SG den auftretenden Kräfteverschleiß, der sich vor allem im Abschluss langsam bemerkbar machte. Dabei war das 24:20 (51.) durch Knudsen, der sich kraftvoll gegen Michael Müller durchsetzte, ein neuerlicher Beweis für die Willenskraft der Nordlichter, endlich einen Big-point landen zu wollen.

Einbruch oder Höhenfig - diese Frage beschäftigte den kleinen SG-Anhang, der den weiten Weg mit in den Süden der Republik gemacht hatte, in der Schlussphase.

Als Thomas Mogensen sieben Minuten vor dem Ende bei einer 25:21-Führung mit einer Zeitstrafe auf die Strafbank musste, schlug die letzte Chance der Löwen, das Spiel noch einmal zu wenden. Bielecki mit dem 22:25 und Gudjonsson mit dem 23:25 (55.) läuteten die packenden Endphase ein. Die SG antwortete prompt, verschaffte sich durch die Treffer von Alexander Petersson, Knudsen und Hansen beim 28:24 (56.) wieder etwas mehr Luft.

Angesichts der eigenen Nervosität verzettelten sich die Löwen andauernd, leisteten sich viele »Stockfehler« und auf den Rängen machte sich das blanke Entsetzen breit. Mit dem Unterhandwurf zum 29:24 (58.) versetzte Oscar Carlén den Löwen den entscheidenden Stich - das Spiel war gelaufen, die Sensation perfekt.

Unrühmliches Ende einer ansonsten harten, aber fairen Partie war die heftige Rangelei in der Schlussminute, bei der Michael Müller und Oscar Carlén die rote Karte gezeigt bekamen. Die Pfiffe von den Rängen gebührten klar dem Auftritt der Löwen, die in Sachen Titelkampf wohl den entscheidenden Rückschlag erlitten hatten. Die SG hingegen setzte im Kampf um einen internationalen Startplatz ein dickes Ausrufe-Zeichen.

Rhein-Neckar-Löwen: Fritz, Szmal - Gudjonsson 3, Stefansson 6/3, Roggisch, Klimovets 1, Bielecki 3, Müller, Sigurdsson 3, Harbok 1, Groetzki 3, Gensheimer, Myrhol 5, Manojlovic 1.

SG Flensburg-Handewitt: Beutler, Sjöstrand - Christiansen 4, Eggert 2/2, Mogensen 4, Karlsson, Fahlgren 2, Carlén 7, Petersson 1, Johannsen, Hansen 3, Knudsen 3, Heinl 4.