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Königsklassen-Ticket als Zugabe

Wenn ein Handball-Abend doch immer so gemütlich sein könnte. Nach den 60 Minuten im „Glogowskie Obiekty Sportowe“ verstand niemand, wie die SG Flensburg-Handewitt das Hinspiel gegen MKS Zaglebie Lubin mit 32:33 verlieren konnte. „Heute gibt es für alle ein Sonderlob“, lehnte sich SG-Sportdirektor Anders Dahl-Nielsen frühzeitig zurück. „Die Mannschaft hat die Konzentration über 60 Minuten gehalten.“ Und auch SG-Trainer Kent-Harry Andersson stand schnell sehr gelassen an der Seitenlinie: „Man hat gesehen“, sagte der Schwede, „was wir erreichen können, wenn alle gesund sind.“ Dieser Satz war durchaus als Kampfansage zu verstehen, da Alexander Petersson (Knöchel) fehlte und Torge Johannsen (war umgeknickt) und Blazenko Lackovic („Er ist bei 90 Prozent“) nicht mit voller Kraft agierten.
Dennoch hatte sich in Polen der befürchtete „Nerven-Tanz“ in Windeseile in eine „Werbe-Gala“ für den Bundesligisten verwandelt. Das begehrte Ticket für die zweite Königsklassen-Gruppenphase gab es praktisch als „Zugabe“. Wer auf einen packenden Systemvergleich zwischen polnischer 3:2:1-Deckung und Flensburger 6:0-Defensive gehofft hatte, war schnell enttäuscht. Schon nach neun Minuten wedelte Lubins Coach Jerzy Szafraniec mit der grünen Karte. Die SG führte mit 7:2. Doch auch die Auszeit brachte nichts. Die sonst so starken Rückraumspieler Bartolomiej Jaszka und Michal Kubisztal – beide stehen auf der Wunschliste der Füchse Berlin – kamen gegen die Flensburger „Abwehr-Strategen“ Frank von Behren und Johnny Jensen nicht zum Zuge. Torwart Dan Beutler parierte bis zur Halbzeit elf Würfe. Die vielen Fehler im polnischen Aufbau nutzten die Gäste schon bis zur Pause für acht blitzschnelle Gegenstöße. Auch nach dem Seitenwechsel ließen die Gäste nichts anbrennen, Lubin rückte nie dichter als auf neun Treffer heran. „Wir mischen weiterhin im Konzert der Großen mit“, bilanzierte Anders Dahl-Nielsen frühzeitig. „Im Februar beginnt in der Champions League wieder alles bei null.“

SG Flensburg-Handewitt: Ein Sieg mit großer wirtschaftlicher Bedeutung

Als der polnische Meister MKS Zaglebie Lubin im Oktober mit dem Bus anreiste, schmunzelte noch manch einer in Flensburg. Insgesamt 20 Sunden für Hin- und Rückweg auf den Straßen – das klang abenteuerlich. Doch beim Prüfen einer möglichen Flugroute zum „Aqua Hotel“, das zwischen Lubin und dem Spielort Glogow liegt, merkten die SG-Verantwortlichen bald, dass eine mögliche Flugoption von Hamburg nach Dresden zeitlich kaum kürzer, dafür aber umständlicher ausgefallen wäre. „Wir saßen zuletzt so viel im Bus, das sind wir ja fast schon gewohnt“, stimmte schließlich auch Kent-Harry Andersson zu.

Lars Christiansen

Gleich nach der Partie in Lubin ging es zurück. Nachdem auf dem Spielfeld und in den Katakomben Siegesgesänge erklangen, genossen die SG-Akteure während der nächtlichen Rückfahrt süße „Königsklassen-Träume“. Die insgesamt sehr mühevolle Qualifikation für die zweite Hauptrunde war schnell vergessen. „In der nächsten Gruppenphase wollen wir Erster werden“, kündigte Johnny Jensen an. „Wenn alle gesund sind, können wir jeden schlagen.“ Und Anders Dahl-Nielsen äußerte einen Wunsch: „Im Frühjahr möchte ich eine Revanche gegen Ciudad Real sehen.“ Ein erneutes Duell mit dem zuletzt überlegenen Kontrahenten ist erst im Halbfinale wieder möglich.
Der Sportdirektor bildete bei der Fahrt gen Heimat die Vorhut mit Geschäftsführer Fynn Holpert. Im Pkw einigten sie sich auf eine Wunschgruppe: „HSV, GOG und Barcelona – zwei kurze Reisen und ein Klassiker.“ Fynn Holpert war zu diesem Zeitpunkt längst ein Stein vom Herzen gefallen. Die SG würde in der finanziell lukrativen Champions League „überwintern“ und nicht in den kleineren Pokalsieger-Wettbewerb „abdriften“. „Auf die Einnahmen aus Zuschauer-, Sponsoren- und Fernsehgelder sind wir schlichtweg angewiesen“, betonte Fynn Holpert.
Anstatt den Gürtel enger schnallen zu müssen, kann man an der Flensburger Förde weiterhin davon träumen, für die nächste Saison den einen oder anderen Hochkaräter zu verpflichten. Zum Beispiel Mladen Bojinovic. Mit dem serbischen Halblinken aus Montpellier, der auch in der Abwehr eine gute Figur abgibt, soll sich die SG-Führung weitgehend einig geworden sein. Allerdings soll auch der TBV Lemgo noch mitbuhlen. Und Malden Bojinovic wich Journalisten nach dem Königsklassen-Spiel in Kiel diplomatisch aus. „Liegt Ihre Zukunft in Deutschland?“ „I don`t know.“

Zaglebie Lubin: Nur Marcin Lijewski war ein Pop-Star

Marcin Lijewski wurde wie ein Pop-Star.

Marcin Lijewski war der Mann des Abends. „Die jungen Mädchen kreischten wie bei einem Pop-Star, als sie ein Autogramm von ihm wollten“, schmunzelte Fynn Holpert. Die Popularität des Vize-Weltmeisters ist in Glogow riesig. Die Handballer aus Lubin hätten sich von diesem Ruhm gerne die eine oder andere Scheibe abgeschnitten. Doch für die Königsklassen-Novizen fiel der erhoffte Sensations-Coup aus. Statt in die zweite Gruppenphase zu marschieren wurde der polnische Meister auf brutalste Weise in die internationale Bedeutungslosigkeit zurückgesetzt.
Schon vor dem Anpfiff hatten sich die Chancen des Außenseiters reduziert. Kreisläufer Michal Stankiewicz hatte in Drammen in der letzten Spielminute eine „Notbremse“ begangen und wurde folgerichtig gesperrt. Für ihn musste Pawel Orzlowski in die Bresche springen. Der bullige 35-Jährige agiert sonst nur in der Defensive. „Wenn wir die Anfangsphase offen halten“, hoffte Trainer Jerzy Szafraniec dennoch, „hatte ich mir ein paar Chancen ausgerechnet.“
Der Wunsch erfüllte sich nicht. Und Jerzy Szafraniec hatte endgültig Gewissheit, dass die SG den Kontrahenten aus Lubin im Hinspiel unterschätzt hatte. „Heute haben wir gesehen, was passiert, wenn uns dieser Gegner von Anfang an ernst nimmt.“ Die dritte Heimniederlage in der Champions League war die bitterste. Der Zusammenprall zwischen Torwart Michal Swirkula und Linkshänder Krzysztof Gorniak hatte Symbolcharakter. Lubin lag am Boden, kann sich aber über die polnische Meisterschaft wieder für die Königsklasse qualifizieren. Mit den beiden Unglücksraben, die nach kurzer Behandlungspause weitermachten.