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Fight mit Rangeleien und 16 Zeitstrafen

Als Kim Andersson eine Sekunde vor Schluss den 28:28-Ausgleich markierte, hatte dieser zwar nicht die Bedeutung eines Punktverlustes in der Bundesliga. Dennoch war es ein schmerzhafter „Nadelstich“ gegen die Hausherren, die sich gegen den arg gerupften Kader der „Zebras“ mehr ausgerechnet hatten. Gerade die letzte Aktion demonstrierte nochmals die „Abgezocktheit“, mit der der Bundesliga-Primus weitgehend operierte. Christian Zeitz ging langsam auf den gegnerischen Wurfkreis zu, bis die verbleibende Zeit einen erfolgsversprechenden Gegenstoß der Flensburger ausschloss, passte dann auf den baumlangen Andrej Tschepkin, der auf den vorstoßenden Kim Andersson ablegte. Der Ball zappelte im Netz.
„Ob ein Treffer vor oder Gleichstand – das sind nur Nuancen“, meinte zwar SG-Trainer Kent-Harry Andersson. Unter der Flensburger Fan-Schar hatte der letzte Treffer aber einen kleinen „Schock-Zustand“ ausgelöst. Wieder kein Sieg gegen den Erzrivalen aus Kiel! Einige Zuschauer wälzten ihren Unmut auf die spanischen Schiedsrichter ab, ein Mann wedelte sogar mit Geldscheinen. „Wir dürfen uns nicht bei den Unparteiischen beschweren“, suchte SG-Traktor Joachim Boldsen hingegen die Schuld für das unbefriedigende Resultat bei sich selbst und seinen Kollegen. „Wir haben uns einfach zu viele technische Fehler und schwache Würfe geleistet.“

Joachim Boldsen setzt sich durch.

Dabei hatte die SG den besseren Start. Als Marcin Lijewski den am Kreis durchbrechenden Joachim Boldsen bediente und dieser zum 8:5 einwarf, stand die Campushalle erstmals Kopf. Danach lief im Angriff der Flensburger jedoch nicht mehr viel zusammen. „Im Rückraum haben wir nicht optimal gespielt“, umschrieb Lars Christiansen das Chaos in der zweiten Reihe eher diplomatisch. Kent-Harry Andersson sprach kurz von „undiszipliniert“. Bezeichnend die letzten Ballverluste vor der Pause, die Nikola Karabatic und Christian Zeitz eiskalt bestraften.
Im zweiten Abschnitt drohten die Flammen in der „Hölle Nord“ zu erlöschen. Die Abwehr der Flensburger versuchte mit vorgezogener Spitze gegen den Kieler Rückraum energischer vorzugehen. Doch der Schuss ging nach hinten los. Nikola Karabatic, Kim Andersson und Christian Zeitz trafen fast nach Belieben. 14:19 – schon in der ersten Finalpartie roch es plötzlich nach einer Entscheidung. Die Hausherren kämpften, kehrten trotz großer Hektik mit Rangeleien und zwei roten Karten zurück ins Match. Fast hätte es sogar zum ersten Derby-Sieg nach vier Niederlagen in Serie gelangt – wenn nicht der letzte Treffer von Kim Andersson gewesen wäre. 

Die Trainer-Stimmen

Kent-Harry Andersson, SG Flensburg-Handewitt: „Nach dem Spielverlauf muss man mit dem Unentschieden zufrieden sein. Trotz dieses Ergebnisses bin ich für das Rückspiel optimistisch. Mit Ljubomir Vranjes haben wir dann noch eine Alternative mehr.“
Noka Serdarusic, THW Kiel: „Es war ein harter Kampf. Es spricht sicherlich für unsere Abwehr und Torwart Thierry Omeyer, dass wir bis zur Pause nur zehn Gegentore kassiert haben. Allerdings muss man fairer Weise auch sagen, dass Flensburg nicht seinen besten Tag erwischt hatte.“

SG Flensburg-Handewitt: Noch einmal alles mobilisieren

Jan Holpert

Am Freitag in der Flensburger Holmpassage. Passanten gruppierten sich um den Champions-League-Pokal, ließen sich mit diesem fotografieren. Es muss teilweise ein Gedränge gewesen sein wie zwei Tage später auf dem Spielfeld. So wie in der 48. Minute, als das erste Endspiel seinen emotionalen Höhepunkt hatte. Christian Zeitz war beim Stand von 21:23 durchgestartet, traf den Flensburger Keeper Jan Holpert in seinem 99. Europapokal-Einsatz für seine Farben mit voller Wucht ins Gesicht. Der sackte kurz zusammen, rappelte sich wutentbrannt wieder auf, um dem vermeintlichen „Übeltäter“ nachzustellen. Die Mitspieler konnten den aufgebrachten Jan Holpert nur mit Mühe zurückhalten, der dann von SG-Mannschaftsarzt Dr. Hauke Mommsen behandelt wurde.
Die Partie, die durch immer mehr Zeitstrafen bereichert wurde, schien endgültig „umzukippen“. Die beiden spanischen Schiedsrichter wirkten zwischen der Spieler-Ansammlung, die für kurze Zeit am Rande ernsthafter Handgreiflichkeiten stand, etwas ratlos. „Ich hoffe, dass war keine Absicht“, erregte sich Dan Beutler, der von der Bank aus den Schmerz seines Torwart-Kollegen Jan Holpert mitfühlte. „Es war leider nicht das erste Mal, das Christian Zeitz einen Keeper so hart im Gesicht getroffen hat.“ Johannes Bitter oder Carsten Lichtlein können gut nachvollziehen, was SG-Manager Thorsten Storm meinte, als er dem Linkshänder „Schwierigkeiten bei der Risiko-Abwägung“ unterstellte.
Christian Zeitz entschuldigte sich immerhin, beteuerte, dass es keine Absicht gewesen sei: „Ich hätte mich viel lieber über ein Tor gefreut.“ Für Jan Holpert war die Partie gelaufen. Verdacht auf Gehirnerschütterung, ein Fernseh-Auftritt musste der „Torwart-Dino“ absagen. Zum Abschluss der Tumulte gab es eine Zeitstrafe. Aber weder für den wütenden Jan Holpert noch für den „Unglücksschützen“ Christian Zeitz. Es erwischte Frank von Behren. Das Kampfgericht hatte gemerkt, dass er unerlaubt aufs Parkett geeilt war, um Jan Holpert zurückzuhalten.

Es herrscht weiterhin Zuversicht bei der SG

Eine kuriose Randnotiz eines Handball-Highlights, das eine große Resonanz hatte. 125 Medien-Vertreter waren vor Ort, ebenso Prominenz. Fast selbstverständlich, dass der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen sich dieses Ereignis nicht entgehen ließ. Erstaunlich hingegen der Enthusiasmus von fünf ungarischen Fans aus Veszprém, die mit dem Auto gleich nach dem Abpfiff in ihre Heimat zurückfuhren, um zum zweiten Spiel in Kiel erneut anzureisen. Dann nehmen auch zehn Fan-Busse aus Flensburg Kurs auf die Landeshauptstadt. „Wir müssen noch einmal alles mobilisieren“, kündigte Frank von Behren an. „Dann haben wir vielleicht eine Chance.“
Beim Rückspiel drehen sich auf jeden Fall die Vorzeichen. „Die Favoritenbürde haben wir wieder abgegeben“, betonte Thorsten Storm. „In dieser Rolle fühlen wir uns offenbar nicht wohl. Mir hat gerade im Angriff zu oft der Kopf und die Ruhe gefehlt.“ Die enorme Anspannung, der Wunsch, dem Kontrahenten schon im ersten Teil der Finalwoche vorentscheidend zu bezwingen, hatte die Aktionen der Flensburger offenbar gelähmt.
Die Zuversicht kehrte jedoch bald nach dem Abpfiff zurück. „Ich glaube noch immer an unseren Triumph“, erklärte Sören Stryger trotzig. Dabei kann sich der Flensburger Kapitän auf „nette Statistiken“ stützen wie das „Orakel von Celje“. Der slowenische Champions-League-Sieger von 2004 schied danach immer gegen den kommenden Königsklassen-Sieger aus, diesmal im Achtelfinale gegen die SG. Oder die bisherige internationale Erfolgs-Serie. Die Nordlichter gewannen den EHF-Cup (1997), den City-Cup (1999) und den Pokalsieger-Wettbewerb (2001) jeweils in ungeraden Jahren. Die Kieler hingegen streckten ihre Hände nur in geraden Jahren (1998, 2000, 2004) nach einer internationalen Trophäe aus. Die Flensburger müssen in Kiel eine Schippe draufpacken, damit aus diesen Fakten keine „Papyrus-Statistiken“ werden.