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„Wahnsinn“ in der „Hölle Nord“

Es war im März 2004. Damals verlor die SG Flensburg-Handewitt mit 26:36 beim SC Magdeburg und feierte dennoch den Einzug ins Endspiel der Champions League. Die auswärts mehr erzielten Tore hatten den Ausschlag gegeben. Am Freitag kam es wieder zu dieser Wimpernschlag-Entscheidung. Wieder zugunsten der Nordlichter, und wieder leuchtete ein 36:26 auf der Anzeigetafel. Die 31 Treffer in Celje waren „goldwert“.
Die Flensburger waren wie verwandelt, zeigten schon in den ersten Aktionen viel Biss in der 6:0-Abwehr. Michael Knudsen und Kasper Nielsen leisteten ganze Arbeit. „Die komplette Mannschaft hat an sich geglaubt“, spürte Interimscoach Viggo Sigurdsson den Tatendrang seiner Jungs. Das 4:1 entfachte erste Jubelstürme auf den Rängen. Ein erster Rückschlag mäßigte den Trubel vorübergehend: Marcin Lijewski musste für einige Minuten behandelt werden. Jan-Thomas Lauritzen konnte diesen Ausfall nicht kompensieren.

In der Campushalle herrschte Super-Stimmung. Fotos: Kirschner

Gorazd Skof, der Schrecken des Hinspiels, avancierte diesmal nicht zum Helden des Tages. Joachim Boldsen und Marcin Lijewski in der ersten Hälfte, Blazenko Lackovic im zweiten Durchgang – diesmal waren es die SG-Rückraumschützen, die ein Preisschießen veranstalteten. Und im Gehäuse war Jan Holpert ein Garant. Der slowenische Meister hingegen wurde immer nervöser. Schon beim 23:13 (34.) stieß Blazenko Lackovic das Tor zum Viertelfinale weit auf. „Wir haben angefangen, die zehn Tore zu verteidigen“, beobachtete Viggo Sigurdsson, wie die Campushalle ein Wechselbad der Gefühle durchlebte. Häufiger verkürzte Celje auf neun Treffer und schnupperte an der erneuten Wende. Die SG antwortete und führte beim 34:22 erstmals mit zwölf. Die „Hölle Nord“ stand Kopf, keinen hielt es mehr auf den Sitzen.
Als beim 36:24 (58.) der eingewechselte Dan Beutler einen Strafwurf von Eduard Kokcharov parierte, feierte die Campushalle bereits. Dennoch war das „Wunder“ nicht in trockenen Tüchern. Dragan Gajic markierte 21 Sekunden vor Schluss das 26:36. Die Flensburger behielten den Ball aber in ihren Reihen und fielen kurz darauf in Ekstase. Es war geschafft. „Es ist wunderschön, ja fantastisch“, strahlte Michael Knudsen. „Wahnsinn“, stammelte Joachim Boldsen. „Jetzt kann ich in meinem letzten Jahr mit Flensburg weiter in der Champions League spielen.  

Die Trainer-Stimmen

Konditionstrainer Tomaz Ocvirk, RK Celje: „Wir wollten nicht auf das Hinspiel gucken. Leider hat das nicht geklappt. Wir wünschen Flensburg nun das Beste für den weiteren Verlauf in der Champions League.“
Viggo Sigurdsson, SG Flensburg-Handewitt: „Die ganze Mannschaft hat an sich geglaubt. In der Halle war eine Superstimmung.“

SG Flensburg-Handewitt: Größter Erfolg der Karriere

Marcin Lijewski: "Ist es wirklich wahr!"

Viggo Sigurdsson tanzte nach dem Schlusspfiff wie ein junges Reh auf dem Parkett. „Das ist der größte Erfolg in meiner Karriere“, sagte er im ersten Moment der Freude. In der Hand hatte der Isländer noch die grüne Karte. Die Auszeit hatte er nicht mehr genommen, doch die Farbe des Utensils symbolisierte das Motto der letzten Tage: Hoffnung!
Schon kurz nach der Schmach von Celje hatte sich der Frust in Aufbruchstimmung gedreht. Die Mannschaft war heiß auf die Revanche. Der Bundesliga-Auftritt unter der Woche in Hildesheim störte eher, wurde aber letztendlich souverän gemeistert. „Celje hat das Maximum gespielt, wir können es nur besser machen“, gab Lars Christiansen die Devise aus. „Wir müssen den Vorsprung kontinuierlich ausbauen. Wir Glauben fest an die Wende“, ergänzte Blazenko Lackovic. Und Michael Knudsen warf ein: „Wenn wir ein paar Tore vorlegen, wird die Halle Kopf stehen!“

Jubel nach großem Sieg

So war es dann auch. Doch zunächst hatte die Marketing-Abteilung eine Menge Arbeit, die Campushalle zu füllen. 3000 Tickets waren erst beim Abpfiff des Hinspiels abgesetzt. Und dann dieses blamables Ergebnis. Viele winkten ab, gaben die Partie vorzeitig verloren. Andere erinnerten sich an den März 2005, als die SG mit 22:36 in Montpellier einging und in der zweiten Partie mit 32:19 gewann. Der entscheidende Gegentreffer fiel damals nach dem Schlusspfiff – per Freiwurf. Warum sollte sich so etwas Ähnliches nicht wiederholen? Die Aussicht auf ein „Wunder“ lockte das Publikum dann doch in Scharen.
Bei der taktischen Besprechung am Donnerstagnachmittag wusste jeder im Team. „So einen Mist wie in Celje spielen wir nicht wieder.“ Zudem hatte sich das Trainergespann – Kent-Harry Andersson saß als „Souffleuse“ hinter der Bank – auf die bewährte 6:0-Deckung festgelegt. Der Schwede lüftete übrigens ein kleines Geheimnis: Wenn Flensburg in dieser Saison wirklich die Champions League gewinnen sollte, möchte Kent-Harry Andersson für die Fans auf der Gitarre spielen. Die SG-Schlachtenbummler boten schon am Freitagabend viele musikalische Darbietungen: „O, wie ist das schön!“

RK Celje: Nasse Füsse am Strand

Schon Stunden vor dem Anpfiff schlenderte die gelb-grüne Fan-Karawane durch die Fördestadt. Vor der Campushalle leuchtete der knallig gelbe Mannschaftsbus des RK Celje – das Signal stand auf Viertelfinale der Champions League. Nur die Gäste vergaßen, den Hebel umzulegen. „Wir wussten“, sagte Shooter Sergej Harbok, der gegen die 6:0-Deckung der Hausherren auf Granit biss, „dass wir eine noch bessere Leistung als im Hinspiel abrufen müssen, um hier zu bestehen.“ Dazu hatte es nicht gelangt. Spätestens nach einer Viertelstunde galoppierten die Celje-Akteure hypernervös durch die Campushalle.

Dabei hatte das Unternehmen „Viertelfinale“ so gut begonnen. Als der Tross im Glücksburger Strandhotel eintraf, konnte Kasim Kamenica vermelden, dass alle bis auf Eduard Kokcharov voll einsatzklar sind. Und der Russe – das wusste man – würde wieder auf die Zähne beißen. Doch woran lag es? Hatte man sich am Ostseestrand nasse Füße geholt? Oder war die heiße Kulisse ausschlaggebend? Gorazd Skof bezweifelte dies: „Eine solche Atmosphäre kennen wir von zu Hause.“ Der slowenische Nationalkeeper soll übrigens im Fokus des SC Magdeburg stehen. „Ich habe noch einen Vertrag in Celje“, sagte der 29-Jährige blumig. „Aber es ist an der Zeit, etwas Neues zu probieren.“ Eine Erklärung für den Einbruch hatte aber auch Gorazd Skof nicht. Alle rätselten. Vielleicht hatte Konditionstrainer Tomaz Ocvirk recht: „Wir haben wohl doch zu sehr auf unseren Vorsprung geschielt.“ Die 250 mitgereisten Fans aus Celje fanden derweil Trost: Sie bekamen Erbsensuppe ausgegeben. 

Packender Zweikampf.