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Fantastische Stimmung - fantastisches Spiel

Sie sind selten geworden, aber es gibt sie noch, die viel zitierten Wunder im Sport. Die Handballer der SG Flensburg-Handewitt vollbrachten am vergangenen Freitag eins, als sie mit dem 36:26 (20:12) über Celje Pivovarna Lasko die 31:41-Hinspielschlappe wettmachten und dank der auswärts mehr erzielten Tore doch noch ins Viertelfinale der Champions League einzogen.
"Super“, "Wahnsinn“, "einfach geil" - die Zuschauer in der Flensburger Campushalle bemühten viele Ausdrücke, um das zu beschreiben, was sich in den 60 Minuten zuvor abgespielt hatte. Ein wirklich treffender Superlativ müsste aber noch erfunden werden. Die SG Flensburg-Handewitt hatte das geschafft, was viele gehofft, aber kaum jemand wirklich erwartet hatte. Mit dem 36:26 über den slowenischen Meister Celje Pivovarna Lasko war der deutsche Vizemeister doch noch ins Viertelfinale der Champions League eingezogen, obwohl es im Hinspiel eine 31:41-Schlappe gegeben hatte. Doch die auswärts mehr erzielten Tore hatten das drohende Aus in der ersten K.o.-Runde abgewendet.
Minuten lang feierten die 5800 SG-Anhänger ihre Mannschaft, während die Spieler von Celje wie geprügelte Hunde die Halle verließen. Sie waren überzeugt gewesen, das Viertelfinal-Ticket bereits fest gebucht zu haben. Aber sie wurden von einer wie entfesselt aufspielenden SG buchstäblich an die Wand gespielt. Die 250 mitgereisten Fans konnten nicht fassen, was auf dem Spielfeld vor sich ging.

Wendenstimmung in der "Hölle Nord".

Der SG war es in Slowenien eine Woche zuvor genauso ergangen. Bis auf Blazenko Lackovic hatte kein Spieler seine Normalform gefunden. Und so waren die Flensburger mit zehn Toren untergangen. "Heute hat man gesehen, wie wichtig das Publikum in solchen Spielen ist“, versuchte Lackovic die zwei völlig verschiedenen Auftritte zu erklären. "Celje und wir haben heute die Rollen getauscht. Unsere Zuschauer waren der achte Mann.“
In der Tat war das "Zusammenspiel“ (Manager Storm) zwischen Fans und Mannschaft perfekt. Sie rissen sich gegenseitig mit, ab der 22. Minute nach dem 15:9 erhob sich der Flensburger Anhang bei jedem Angriff und peitschte die eigene Mannschaft mit rhythmischem Klatschen nach vorn. So eine Stimmung hatte es in der Campushalle noch nicht gegeben. Selbst der SG-Manager war beeindruckt: "Die Atmosphäre war fantastisch“, sagte Storm, der diese Unterstützung für sein Team in den vergangenen Monaten etwas vermisst hatte. "Vielleicht, weil wir alle zu zufrieden waren - sowohl die Mannschaft als auch die Zuschauer.“
Die Spieler bedankten sich mit einer fast perfekten ersten Hälfte - und einer 20:12-Führung. Der Rückstand aus dem Hinspiel war nach nur 30 Minuten fast aufgeholt. Nur vier Minuten nach der Pause führten die Gastgeber erstmals mit zehn Toren, mussten aber bis zum Schlusspfiff um das Viertelfinale bangen, weil sich doch einige Fehler ins Spiel einschlichen. "Da war so eine Barriere“, sagte Torhüter Jan Holpert, der den Slowenen in der ersten Hälfte mit zwölf Paraden bereits den Zahn gezogen hatte. "Die Treffer elf und zwölf wollten uns einfach nicht gelingen.“ Erst in der 53. Minute hatten sich die Flensburger erstmals mit zwölf Treffern abgesetzt (34:22) - das war der entscheidende Vorsprung.

Sekunden nach dem Abpfiff. Fotos: Kirschner

"Anscheinend brauchen wir in jedem Jahr solche Spiele“, meinte Mannschaftskapitän Sören Stryger, der die Partie verletzt von der Bank aus verfolgt hatte. Im Halbfinale 2004 hatten die Flensburger Magdeburg daheim mit zehn Toren geschlagen, und im Rückspiel hatte Lars Krogh Jeppesen mit seinem Treffer in letzter Sekunde aus unmöglichem Winkel die SG vor dem Ausscheiden bewahrt. Im Viertelfinale 2005 hatte die SG gegen Montpellier bis zum Schlusspfiff einen 14-Tore-Rückstand wettgemacht, um dann nach dem finalen Freiwurf von Anquetil doch noch auszuscheiden. Und jetzt die Nervenschlacht gegen Celje.
"Das Spiel hat gezeigt, dass die Mannschaft intakt ist und auch die Trainer gut zusammenarbeiten“, unterstrich Storm. "Ich wusste, dass sie es drauf hat.“ Vor dem Spiel in Hildesheim hatten Viggo Sigurdsson und Kent-Harry Andersson mit der Mannschaft fast den ganzen Nachmittag verbracht, um die Fehler aus dem Hinspiel in Celje aufzuarbeiten. Und während der Partie hatte Andersson, der wahrscheinlich am 23. Dezember im Derby beim THW Kiel erstmals an der Seite von Sigurdsson auf der SG-Bank Platz nehmen wird, hinter Sigurdsson gesessen. "Er hat mir wertvolle Tipps gegeben“, enthüllte der Isländer später.
Auch dem Interimstrainer war nach dem Schlusspfiff ein Stein vom Herzen gefallen. "Ich bin überglücklich“, gestand der 52-Jährige, "denn in Celje hatten wir so schlecht gespielt und deshalb so viel wieder gut zu machen.“ Die SG schaffte noch mehr: Sie eroberte die Herzen der Fans im Sturm zurück. Sigurdsson war dennoch vom Stress gezeichnet. Vielleicht wünschte er der SG deshalb für das Viertelfinale "einen leichten Gegner, das haben wir uns verdient“. Dieser Wunsch wird sich freilich nicht erfüllen. Unter den besten acht Vereinsmannschaften in Europa gibt es keinen leichten Gegner.