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Derby mit Wachhund, Tarantel und Tarzan

Joachim Boldsen nahm Vid Kavticnik zur Brust, Henning Fritz eilte wie von der „Tarantel“ gestochen in die gegnerische Hälfte – schon die erste Viertelstunde zeigte viele Komponenten eines äußerst emotionalen Nordderbys. Dazu gesellten sich viele Zeitstrafen und immer wieder Diskussionen am Kampfrichter-Tisch. Die Hallenuhr startete erst mit einer zehnminütigen Verspätung. Viel Hektik, die die Hausherren zur Freude der „Hölle Nord“ für einen 7:2-Blitzstart nutzten. Die Kieler waren offenbar überrascht, dass der Gegner von Anfang an Michael Knudsen als „Wachhund“ gegen Nikola Karabatic einsetzte. Zumindest folgte ein „Blackout“ dem anderen.
Egal ob Dominik Klein, Christian Zeitz, Vid Kavticnik oder Nikola Karabatic – sie alle fanden ihren Meister in SG-Schlussmann Dan Beutler, der schon nach zehn Minuten acht Würfe eliminiert hatte. „Ich weiß nicht, ob diese offensive Abwehr ein Plus oder ein Minus für uns war“, sagte SG-Trainer Kent-Harry Andersson direkt nach dem Abpfiff. „Das Spiel war auf jeden Fall anders als sonst.“ In der Tat: Nie zuvor hatte es ein solch torreiches Nordderby gegeben.

Ljubomir Vranjes

Der THW operierte zumeist klassisch 6:0 mit Nikola Karabatic und Altmeister Andrei Xepkin im Mittelblock, doch die Gäste versuchten es häufiger mit einer offensiven Deckung. In Überzahl hieß es 4:2. Doch die Flensburger überraschten mehrmals in Unterzahl mit frechen Toren und stürmten mit großer Effizienz gen „Zebra-Tor“. Zwar verkürzte Nikola Karabatic per Siebenmeter kurz vor dem Seitenwechsel auf einen Treffer, doch an den leichten Vorteilen der SG änderte sich bis zum Pausentee nichts.
In der zweiten Hälfte schien der THW jedoch gestärkt in den offenen Schlagabtausch zu gehen. Während die Flensburger kurzfristig den Faden verloren, antwortete Christian Zeitz in der 35. Minute mit einem satten Geschoss. 21:22 – erstmals führte der Gast. In dieser Phase vergaben die Kieler durch Christian Zeitz und Dominik Klein gleich zwei Gegenstöße. Das rächte sich. Die letzten 20 Minuten setzten die Hausherren die entscheidenden Nadelstiche, ehe sich in der Schlussminute das „Derby-Chaos“ zurückmeldete. Kasper Nielsen wollte auf Christian Zeitz losgehen. Der Däne soll vom Weltmeister ein hinterhältiges Foul eingesteckt haben, bekam für seinen „Wutanfall“ zwei Minuten. Für Noka Serdarusic keine Überraschung. „Erst steht er da wie Zampano, dann spielt er sich auf wie Tarzan“, sagte der THW-Trainer in der Pressekonferenz. 

Die Trainer-Stimmen

Kent-Harry Andersson, SG Flensburg-Handewitt: „Das war ein Doppelsieg für uns. Ein Erfolg im Derby und die Qualifikation für die Champions League. Entscheidend war, dass wir das Torwartspiel gewonnen haben. Dan Beutler und Jan Holpert waren überragend.“
Noka Serdarusic, THW Kiel: „Wir sind sehr konfus gestartet, begannen erst nach einigen Minuten uns zu wehren. In der zweiten Hälfte verpassten wir es, die Führung auszubauen, dann fehlten uns die Alternativen.“

SG Flensburg-Handewitt: Kompletter Manager-Wechsel

Frerich Eilts verabschiedet Thorsten Storm

Über dem Flensburger Hafen ist es dunkel, nur einige Lichterketten glänzen. Sieht so die Zukunft der SG Flensburg-Handewitt aus? Nein, es ist nur das Motiv des großen Bildes, das Geschäftsführer Thorsten Storm zu seinem Abschied überreicht bekam. Dennoch: Es waren fünf denkwürdige Jahre. „Durch ihn hat die SG ein neues Profil bekommen“, bedankte sich SG-Präsident Frerich Eilts. „Bundes- und europaweit hat sich die SG als Marke etabliert.“ Thorsten Storm selbst sprach von der „Realisierung eines Traumes“ (Deutsche Meisterschaft), von einem „schweren Abschied“. Der 42-Jährige zieht in Kürze nach Heidelberg und steigt ab Juli als Manager der SG Kronau-Östringen ein.
Die Fans verfolgten die Verabschiedung mit einer gewissen Lockerheit. Es ist jedoch nicht lange her, da herrschte bei ihnen eine gewisse Unruhe. Als neuer Sportlicher Leiter ist seit November der Däne Anders Dahl-Nielsen auserkoren. Da sich die Gerüchte aber verdichteten und schließlich bestätigten, dass der Finanz-Manager Frank Buchholz nach nur wenigen Monaten wieder zu seiner alten Bank zurückkehren würde, befürchteten viele ein „Vakuum“ auf der SG-Geschäftsstelle.
Von der Nervosität ließ sich die Vereinsführung um Präsident Frerich Eilts und Schatzmeister Helmut Ermer jedoch nicht anstecken. Sie wirkten zuletzt recht gelassen. Jetzt weiß man warum. Sie brüteten an einem „Coup“, der am Donnerstag schließlich publik wurde: Fynn Holpert soll die nächsten fünf Jahre als Manager der SG fungieren. Lange Gespräche endeten mit einem fruchtbaren Ergebnis. „Fynn Holpert ist als Geschäftsführer eine ideale Besetzung“, sagte Frerich Eilts. „Er ist fachlich und menschlich ein Gewinn für den Verein und wird mit Anders Dahl-Nielsen ein starkes Team bilden und somit unsere langfristig gesteckten Ziele verwirklichen.“

Joachim Boldsen

Noch muss man sich aber etwas auf den „Neuen“ gedulden. Der meldet sich am Telefon noch mit „Fynn Holpert, TBV Lemgo“. Die Übergabe im Lipperland steht an, vermutlich an Volker Zerbe. Im Juni wird der 40-Jährige, der nach rund 20 Jahren in seine Geburtsstadt zurückkehrt, aber auch nach einem Haus in Flensburg Ausschau halten, um dann mit Frau und Tochter umzuziehen. Am 1. Juli beginnt schließlich der Fünf-Jahres-Vertrag, den Fynn Holpert angesichts der Langfristigkeit als „klares Zeichen von der SG und von mir“ bewertet. Als „große Hilfestellung“ sieht der neue SG-Manager seinen Bruder Jan, der ebenfalls in der Geschäftsstelle arbeitet: „Mein Bruder kennt Flensburg wie seine Westentasche.“ Im Vordergrund wird zunächst aber die Abstimmung mit Anders Dahl-Nielsen stehen, zu dem es bislang nur einen telefonischen Kontakt gab.
Personell rüsteten die Flensburger noch einmal auf. Mit dem Isländer Alexander Petersson unterschrieb ein fünfter Linkshänder einen Vertrag, und zwar bis 2010. Ein Transfer, der als Absicherung zu bewerten ist, da Neuzugang Einar Holmgeirsson an einem Bandscheiben-Vorfall laboriert und Rechtsaußen Sören Stryger eine große Pechsträhne hatte. „Alexander Petersson ist sowohl Rechtsaußen wie im rechten Rückraum sehr stark“, schätzt Trainer Kent-Harry Andersson an der jüngsten Verpflichtung. Zum „Nulltarif“ war dieser aber nicht zu haben. Der 27-Jährige hatte noch bis 2008 einen Vertrag in Großwallstadt. „Natürlich war es eine schwierige Entscheidung für uns ihn aus seinem laufenden Vertrag gehen zu lassen“, sagte TVG Vorstandsvorsitzender Georg Ballmann. „Aber es ist auch schwierig einen Spieler zu halten, der schon bei einem anderen Verein unterschrieben hat.“ 

THW Kiel: Eine Woche warten

Es war eine Retourkutsche. Glück brachte sie aber nicht. Vier Wochen zuvor waren die Fans der SG Flensburg-Handewitt mit roten T-Shirts nach Kiel gefahren. Mit der Aufschrift „Wenn nicht bei euch, wo dann“ sollte die Champions-League-Trophäe eingesackt werden, mit leeren Händen fuhr man zurück. Jetzt hängten die Kieler Schlachtenbummler ein Plakat in der Campushalle auf – mit dem gleichen Slogan. Ohne Meisterschaft musste man die Heimreise antreten und bis Samstag auf die erhoffte Vollendung des „Königs-Triple“ warten. „Es ist keine Schande, in Flensburg zu verlieren“, nahm Nikola Karabatic die rekordverdächtigen 41 Gegentore relativ gelassen.
Für die große Abschlussfeier sind in Kiel die Planungen so gut wie abgeschlossen. Am Samstagabend laden Stadtpräsident Rainer Tschorn und Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz die „erfolgreichste Vereinsmannschaft Europas“ ins Kieler Rathaus. Bei diesem Empfang würde man zu gerne als I-Tüpfelchen auch die Deutsche Meisterschaft feiern. THW-Trainer Noka Serdarusic befiel kurz vor dem Ziel am Samstagnachmittag eine gewisse Nervosität. Gummersbach lag in Minden zurück. „Nordhorn hat nun eine Riesenchance, in die Champions League zu kommen“, befürchtete er einen harten Abschluss-Gang in der Ostseehalle.

Jan Holpert

Als sich die Partie in Westfalen doch noch in ein Unentschieden verwandelte und sich die Nordhorner Ausgangslage wieder gedreht hatte, beschäftigte sich Noka Serdarusic mehr mit seinem eigenen Kader. „Uns fehlen die Alternativen“, sagte er. „Man muss so spielen, wie Spieler da sind.“ Die leere Bank war für ihn auch der Hauptgrund für die Niederlage in Flensburg. Weniger die Torhüter-Leistung der Gastgeber. Noka Seradarusic: „Nikola Karabatic und Christian Zeitz haben sich Würfe genommen, für die man keinen Weltklasse-Torhüter gebraucht hätte, um sie zu halten.“
Viele sahen es anders: Für sie war Jan Holpert einer der Matchwinner im zweiten Durchgang. In seinem letzten richtigen Heimspiel war der Keeper fast froh, wegen des „merkwürdigen Gefühls“ zunächst auf der Bank bleiben zu dürfen, dann entschärfte er in den letzten 22 Minuten elf Bälle. Nach dem Abpfiff äußerte sich Jan Holpert wie immer in den 21 Jahren: „Meine eigene Leistung sollen andere beurteilen.“ Das übernahm Henning Fritz, der seinem ehemaligen Nationalmannschafts-Kollegen das Prädikat „sehr gut gehalten“ verlieh. Der THW-Schlussmann geht übrigens sehr optimistisch in den letzten Spieltag. „Es wird eine Kopfsache“, schmunzelte Henning Fritz. „Aber bestimmt nicht gegen uns – wir spielen zu Hause.“