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Zwei-Klassen-Gesellschaft in Flensburg

Was ist ein Champions-League-Halbfinalist ohne vier Stars? Die Antwort: Immer noch eine Klasse-Mannschaft. Diese Erfahrung musste der Wilhelmshavener HV machen – und das auf eine ganz bittere Weise. Zwischen der 26. und 55. Minute glückte den Handballer vom Jadebusen gerade einmal ein Treffer. Die Hausherren hingegen zauberten den Ball im gleichen Zeitraum satte 19 Mal ins Netz. Dabei verzichteten sie auf Michael Knudsen, Joachim Boldsen und Marcin Lijewski, setzten Lars Christiansen nur bei vier Siebenmetern ein.
SG-Coach Kent-Harry Andersson hatte zunächst noch etwas am leichtfertigen Umgang mit den Gegenstößen zu bemängeln, die 6:0-Abwehr stand aber felsenfest. Dan Beutler hatte einen dankbaren Torwart-Tag. Gäste-Coach Michael Biegler witterte Unheil, nahm überraschend beim 7:7 (15.) eine Auszeit. „Ich sah mehrere Fehler-Ursachen“, sagte der Trainer später. „Ich wollte, dass wir noch länger mithalten.“ Der „Schuss“ ging aber nach hinten los. Der Rückraum entfaltete immer weniger Druck, die Würfe büßten hinsichtlich Qualität und Quantität zunehmend ein. Selten hatte man eine solche hilflose Mannschaft in der „Hölle Nord“ gesehen. Die SG-Bank nutzte die Gunst der Stunde, schonte auch Blazenko Lackovic und brachte mit Lars Bastian und Kay Blasczyk zwei Nachwuchsleute. Dennoch klingelte es fast nur im WHV-Gehäuse. „Bin ich denn der einzige, der noch arbeiten muss?“, brüllte Moderator Michael Holst ins Mikrofon. Sein Kollege Gerd Nielsen, der traditionell die Torschützen des Gegners verkündet, hatte einen fast „arbeitslosen“ Tag. Eine Randnotiz, die die blamable Leistung der Niedersachsen unterstrich. 

Die Trainer-Stimmen
Kent-Harry Andersson, SG Flensburg-Handewitt: „Wir standen 60 Minuten lang sehr gut in der Deckung und profitierten von einer starken Leistung Dan Beutlers.“
Michael Biegler, Wilhelmshavener HV: „Die Schuss-Qualität ließ bei uns zu wünschen übrig. Mehr möchte ich gar nicht sagen, da ich die Kraft noch für die interne Aufbereitung benötige.“

SG Flensburg-Handewitt: Im Bann der Champions League

Christian Berge steuerte drei Treffer zum Tor-Festival bei.

Es gibt Spiele, die in die Handball-Geschichte eingehen. Zu denen gehört auf jeden Fall das jüngste Derby gegen den THW Kiel. Der Krimi hinterließ bei allen im SG-Lager seine Spuren. Die Folge: Montag und Dienstag gab es kein Training in der Flensburger Duburghalle. „Wir brauchen erst einmal alle Abstand zum Handball“, erklärte SG-Trainer Kent-Harry Andersson.
Einige Akteure hatten länger frei. Michael Knudsen laboriert noch immer an einem Muskelfaserriss, während die Zerrung von Joachim Boldsen wieder aufgebrochen ist. Die Mediziner rechnen mit zwei weiteren Wochen Zwangs-Pause. Zudem verschlimmerte sich die Sehnen-Entzündung bei Marcin Lijewski. Kapitän Sören Stryger hatte unter der Woche einen Gipsverband. Eine Schleimbeutel-Entzündung! Der Däne konnte aber mitwirken. Dennoch war Neuzugang Jan Thomas Lauritzen der einzige Linkshänder im vollen Fitness-Zustand. „In der ersten Hälfte war er etwas unsicher“, beobachtete SG-Coach Kent-Harry Andersson. „Dann gehörte Lauritzen aber vor allem in der Abwehr zu den überragenden Leuten.“ Überhaupt waren die Flensburger in der zweiten Halbzeit mehr als souverän. „Was habt ihr nur in der Pause gemacht?“, wollte ein Fan nach dem Schlusspfiff wissen. Glenn Solberg: „Wir haben Bananen gegessen und Wasser getrunken!“
Insgesamt gibt dieser Tage die Champions League den Takt an der dänischen Grenze vor. Die Telefone in der Geschäftsstelle standen nicht still, der Vorverkauf begann am Freitag stürmisch – 2000 Tickets in wenigen Stunden. Kent-Harry Andersson sah indes den Gegner im schwedischen Fernsehen (32:27 gegen Leon). „Die brauchen gar nicht als Mannschaft aufzutreten“, staunte er, „die sind individuell so stark.“ Der SG-Trainer zog die erste „Reißleine“: Die Bundesliga-Partie gegen Pfullingen, ursprünglich vier Tage vor dem ersten Halbfinale in Spanien angesetzt, wurde aufgrund seiner Initiative auf den 7. April verlegt. „Wir brauchen die Zeit, um uns gründlich vorzubereiten.“ 

Wilhelmshavener HV: Heißer Sonntag

Bennert Wiegert und seine WHV-Kollegen hatten einen schweren Stand gegen die SG-Abwehr.

Jan Fegter schüttelte nur mit dem Kopf. Seinen letzten Gastauftritt in der Flensburger Campushalle hatte sich der Allrounder, der acht Jahre an der Förde spielte und im Sommer in den Norden zur SG-Reserve zurückkehrt, sich ganz gewiss anders vorgestellt. „In der zweiten Halbzeit haben wir uns ja noch nicht einmal mehr getraut, aufs Tor zu werfen“, sagte „Fege“. Die Statistik gab ihm Recht: Im zweiten Durchgang landete der Ball nur fünf Mal im Netz, zehn Mal stand SG-Keeper Dan Beutler im Weg. Alle anderen Versuche flogen entweder am Tor vorbei, landeten im Abwehrblock oder endeten gar als technischer Fehler.
Trainer Michael Biegler war restlos bedient. Er sah zwar auch einen „Dan Beutler in Top-Qualität“, aber auch eine „fehlende Schuss-Qualität“ und zu wenig Druck aus dem Rückraum. Sichtlich angefressen kündigte er eine „interne Aufbereitung“ an. Das sonntägliche Auslaufen mutierte zu einen „heißen Tanz“. Mit einem Sieg hatte beim Wilhelmshavener HV niemand gerechnet, das Ausmaß des Debakels traf aber ins Mark. Überraschend auch, dass das Hauptübel im Angriff lag. Dabei musste Michael Biegler vor allem die Abwehr kräftig umkrempeln. Jacek Bedzikoswki hatte sich durch das Großwallstadt-Spiel mit einer Schleimbeutel-Entzündung gequält. Diese übertrug sich als Infekt auf den Körper. Dann fiel während der ersten Hälfte auch noch der lange Linkshänder Rico Bonath mit einer Knieverletzung aus. Keine guten Vorzeichen für die anstehende Aufgabe in Pfullingen.