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Gudjon Valur Sigurdsson: „Island-Turbo” ohne Star-Allüren

Der Lärm, den die schiere Begeisterung des fachkundigen Publikums nährt, schwillt schon an, wenn die Nummer 22 nur den Handball erhält. Weil das Drehbuch in diesem Moment vorgeschrieben ist: Nun wird Gudjon Valur Sigurdsson, einer der schnellsten Männer der Bundesliga, dem gegnerischen Tor mit Hochgeschwindigkeit entgegenfliegen. Und da er diese atemberaubenden Tempogegenstöße für gewöhnlich mit der Präzision einer Maschine verwandelt, kulminiert das Getöse dann regelmäßig in einem Torschrei. „Es bringt wirklich sehr viel Spaß im Moment“, sagt Gudjon Valur Sigurdsson und lächelt.
Beim VfL Gummersbach spricht manch einer vom besten Transfer seit vielen Jahren. Diese Entschlossenheit, diese Furchtlosigkeit, diese Kompromisslosigkeit, mit der der 26-Jährige auftritt und seine zuvor manchmal lethargischen Mitspieler mitreißt. Ein „echter Krieger“ sei Gudjon Valur Sigurdsson, schwärmt VfL-Boss Hans-Peter Krämer, ein echter Isländer: „Die kämpfen so lange, bis der Fisch tot ist.“
Dennoch provozieren die vielen Lobes-Hymnen beim Gummersbacher Neuzugang noch lange keine Allüren. Der Frage, wie es sich anfühle als neuer Star, begegnet er trocken: „Keine Ahnung - da müssen Sie mal einen fragen.“ Ihn interessiert es ohnehin wenig, wenn ihn die Boulevard-Medien als „Island-Turbo“ feiern. Überhaupt ist er gegenüber der Presse kein Mann der lauten Töne. „Eine große Fresse zu haben, das mag ich nicht“, sagt der Vater zweier Töchter, „ich konzentriere mich auf meine Familie und auf den Handball“.

Der „Island-Turbo“: Gudjon Valur Sigurdsson

Sein Trainer Velimir Kljaic hat ihn deswegen schon in der Vorbereitung als Führungsspieler vorgesehen. Er habe in seiner Karriere „selten einen Mann gesehen, der in jedem Training eine solche Einstellung zeigt“, lobt der 59-jährige Kroate. Natürlich ist Gudjon Valur Sigurdsson auch deswegen der beste Schütze der Liga, weil er nun – anders als noch in Essen – viele Siebenmeter wirft und als Spitze in einer 5:1-Deckung bei Gegenstößen in bester Position läuft.
2001 entdeckte der TUSEM aus Essen den als Linksaußen wie als Mittelmann einsetzbaren Nordeuropäer beim isländischen Provinz-Verein Grotta. Dort begann die Karriere von Gudjon Valur Sigurdsson, der ein gutes Beispiel für die konsequente Talent-Förderung im gerade mal 300 000 Einwohner zählenden Inselstaat ist. „Es ist gute isländische Tradition, dass Kinder schon sehr früh zum Sport gehen“, erzählt der 135-fache Nationalspieler. „Wir haben wirklich gut ausgebildete Trainer, die sich um die jungen Leute kümmern.“
Begeistert vom vielleicht besten Einkauf der letzten Jahrzehnte hat der VfL Gummersbach dem Isländer schon eine Anhebung der Bezüge und eine Vertragsverlängerung um zwei Jahre bis 2009 angeboten. „Er weiß, dass wir ihn wollen“, sagt dazu Hans-Peter Krämer. Aber mit der Vertragsverlängerung hat Gudjon Valur Sigurdsson „noch keine Eile“. Äußerst vorsichtig betrachtet er den Hype. „Wenn es gut läuft, kommen die Leute und klopfen uns auf die Schulter“, plaudert er aus dem Nähkästchen. „Und wenn es schlecht läuft, kommt kein Mensch oder nur solche, die uns sagen, was für schlechte Typen wir doch sind.“ Auch diese Schattenseite des Profisports hat der Isländer schon kennen gelernt.