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Feuchte Augen und Gänsehaut

Die Zeiten, in denen die Bördelandhalle die SG Flensburg-Handewitt in Angst und Schrecken versetzt, sind endgültig vorbei. Dank einer phasenweise imponierenden Vorstellung besiegte der Pokalsieger die "Gladiators" vor 8000 Zuschauern klar mit 37:32 (20:16)-Toren, wiederholte damit den Vorjahreserfolg, schüttelte zugleich einen der hartnäckigsten Verfolger ab und untermauerte zudem eindrucksvoll die eigenen Ansprüche auf den Meistertitel.
"Das war eine tolle Mannschaftsleistung. Jeder hat für den anderen gekämpft. Wenn wir es schaffen, mit nur drei Minuspunkten in die EM-Pause zu gehen, dann kann sich die Konkurrenz warm anziehen", frohlockte SG-Manager Thorsten Storm frischgeduscht in den Katakomben der Bördelandhalle. Allerdings haben sich die Personalsorgen vor den schweren Heimspielen gegen Kronau-Östringen (Sonntag, 17 Uhr) und Gummersbach (Dienstag, 20 Uhr) deutlich verschlechtert. Neben Michael V. Knudsen (Nasenbeinbruch, Gehirnerschütterung), Joachim Boldsen (Kapselverletzung am Fuß) und Marcin Lijewski (Rückenprobleme) zog sich Johnny Jensen eine schwere Verletzung zu (Innenband-Riss am Knie).

In der SG-Abwehr wurde gut gekämpft.

Während Lijewski und Boldsen am Wochenende gegen den starken Aufsteiger auf die Zähne beissen müssen, fällt mit Knudsen/Jensen das Kreisläufer-Duo definitiv auf weiteres aus. Knudsen hat schwer an den Folgen seiner Verletzungen zu knabbern und die ganze Woche über Bettruhe verordnet bekommen. "Da es sich auch um eine Kopfverletzung handelt, gehen wir kein Riskio ein. Für Michael ist das Handball-Jahr beendet", klärte SG-Mannschaftsarzt Dr. Hauke Mommsen auf. Und Abwehrchef Jensen droht nach dem unglücklichen Zusammenprall mit dem Isländer Sigfus Sigurdsson (4. Spielminute) eine Zwangspause von rund sechs Wochen. Besonders bitter - für Jensen ist damit die Teilnahme an der Europameisterschaft in der Schweiz Ende Januar in weite Ferne gerückt. Eine genauere Untersuchung stand für gestern am späten Nachmittag noch an. "Wir haben mit Kasper Nielsen und Joachim Boldsen ja in Magdeburg zwei neue Kreisläufer entdeckt«, bemühte sich SG-Trainer Kent-Harry Andersson um eine humorvolle Art, das Dilemma zu beschreiben.
Auch wenn der schmale Kabinengang in Höhe der SG-Umkleidetür von entkräfteten, angeschlagenen und im Falle von Jensen und Boldsen sogar ernsthaft verletzten SG-Spielern gesäumt war, so hellten sich die Mienen nicht nur aufgrund des soeben geglückten Husarenstreiches deutlich auf. Locker mit einer Getränkeflasche in der Hand schlenderte nämlich auch Christian Berge zwischen seinen Mitspielern auf und ab. Und der Norweger konnte seine unglaubliche Rückkehr überhaupt noch nicht richtig fassen. "Ich habe soviel Adrenalin im Körper und bin total glücklich. Es ist ein tolles Gefühl, dass man eigentlich nicht richtig beschreiben kann", sagte der krebserkrankte Berge nach, wie es SG-Co-Trainer Bogdan Wenta so treffend formulierte, dem "Comeback des Jahres".
Neun Monate nach seinem letzten Auftritt im Trikot der SG (Champions League-Duell gegen Montpellier) feierte der Norweger einen sensationellen Einstand. Zu einem Zeitpunkt, als die "Gladiators" wütend und entschlossen mit aller Macht auf den Anschluss drängten (24:27, 46.), die Bördelandhalle giftig tobte und der überragende Spielmacher und Abwehrchef Glenn Solberg dringend eine Verschnaufspause benötigte, war die Stunde der Wahrheit für Berge gekommen. Ein letzter aufmunternder Klapps von Andersson und schon war der lange vermisste Rückraum-Spieler wieder dort, wo er am liebsten ist - mitten im Kreise seiner Mitspieler - im Brennpunkt des Geschehens. "Ich war sehr nervös und unglaublich aufgeregt", gestand der 32-Jährige, der mit einem sehenswerten Treffer zum 28:24 (46.) nicht nur ein wichtiges Tor (von insgesamt zwei) markierte.

Neun Monate nach dem Montpellier-Spiel ist Christian Berge zurück.

Umsichtig, klug und abgebrüht führte Berge zudem seine SG durch die kritische Phase schnurstracks über die Ziellinie. "Als Christian auflief, habe ich richtig Gänsehaut und feuchte Augen bekommen", drückte der eher als "eisenhart" bekannte Wenta jene Gefühlsregungen aus, die wohl im gesamten Lager der SG die Runde gemacht hatten.
Zum emotionalen Höhepunkt hatte zuvor auch Lars Christiansen beigetragen, der mit 14 Toren wie schon im letzten Jahr erneut zum überragenden Torschützen der Partie avanciert war. "Ja, es ist ja ganz gut gelaufen", untertrieb der Däne mit einem diebischen Lächeln und machte sich schnellen Schrittes auf den Heimweg. Abzuhetzen brauchte sich der versierte Linksaußen auf der Heimfahrt allerdings dann doch nicht. Freundin Christina Roslyng, die in diesen Tagen das erste Baby erwartet, hatte soeben per Handy Entwarnung gegeben. "Ich soll mir ruhig Zeit lassen, es ist alles in Ordnung und geht noch nicht los", berichtete Christiansen. Nicht weniger strahlend stiegen auch Kasper Nielsen, Søren Stryger, Jan Holpert und Co. in den Mannschafstbus, schließlich hatte der wichtige Erfolg in Magdeburg an diesem Abend viele Väter gehabt.