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Kaum Hoffnungen nach dem "kollektiven Blackout"

22:36 - für viele nur nüchternes Zahlenwerk, nicht so für die Handballer der SG Flensburg-Handewitt. Diese beiden Trefferquoten ins richtige Verhältnis gesetzt, ergeben eine einfache und extrem bittere Botschaft - die SG hat einen historischen Tiefpunkt erreicht. Hoffungsvoll gestimmt war der Bundesliga-Spitzenreiter zum Viertelfinal-Hinspiel der Champions-League nach Montpellier gereist, als es galt im tiefen Süden Frankreichs ein akzeptables Ergebnis für das Rückspiel am kommenden Sonntag (15 Uhr, Campushalle) zu erzielen. Doch anstatt bei frühlingshaften Temperaturen unweit des Mittelmeeres Optimismus und Zuversicht zu tanken, erlebte das Team von SG-Trainer Kent-Harry Andersson eine sportliche Katastrophe. Aufgrund einer in allen Belangen indiskutablen Gesamtleistung setzte es beim französischen Meister eine auch in der Höhe verdiente 22:36-Pleite, die alle Hoffnungen auf den erneuten Einzug ins Halbfinale gegen Null laufen lassen.
"Hoffen müssen wir natürlich weiterhin, auch wenn nur eine ganz kleine Chance haben", meinte Johnny Jensen. Dem kantigen Norweger und seinen Mitspielern war auch noch am Tag nach dem "kollektiven Blackout" nicht richtig bewusst, wieso und weshalb man wenige Stunden zuvor auf internationalem Parkett eine Bruchlandung der extremen Art erlebt hatte."In meinem Kopf schwirrt es immer noch. Ich kann mir einfach nicht erklären, was los war", zeigte sich der Abwehrchef ungewohnt ratlos. Aussichten für Sonntag? Jensen: "14 Tore sind selbst im Handball verdammt viel."
Während der zehnstündigen Rückreise waren den SG-Akteuren Ernüchterung, Frust, Ratlosigkeit und vor allem Enttäuschung unverkennbar ins Gesicht geschrieben. "So etwas habe ich noch nicht erlebt", entfuhr es SG-Trainer Kent-Harry Andersson zwar spontan, eine passende Erklärung für die "Pleite" fand der Schwede jedoch kaum. "Das kann man eigentlich nicht erklären, aber es ist passiert. Auch wenn wir sehr wenig Zeit für die Vorbereitung hatten, gibt es für unser Spiel keine Entschuldigung."
Der 55-Jährige hatte erstmals in seiner Amtszeit bei der SG miterleben müssen, was es bedeutet, wenn jeder einzelne seine Schützlinge zunehmend "schockiert war", statt seinen Beitrag zum Kollektiv-Erfolg abzurufen. Erstmals hatte sich schließlich die Erfolgsformel der SG - nur im Kollektiv sind wir stark - in krassem Misserfolg ausgewirkt. "Wir haben Mitte der zweiten Halbzeit Angst bekommen", hatte Andersson schließlich eine einleuchtende Hauptursache für das Dilemma gefunden. "Jetzt brauchen wir einige Tage, um wieder zu uns zurückzufinden", erklärte Andersson nachdenklich, ja beinahe besorgt gestimmt.
Auch wenn der franzsische Serienmeister nach Aussage von MHB-Trainer Patrice Canayer "sein bestes Saisonspiel" abgeliefert und damit die 2500 Fans in einen Freundentaumel befördert hatte, sahen die Unterlegenen die Hauptschuld für das Debakel bei sich selbst. "Montpellier ist keine Übermannschaft, sondern wir haben ziemlich viel verkehrt gemacht. Bei uns hat auch die Anspannung gefehlt, wir waren irdendwie nicht richtig bei der Sache", schlug Manager Thorsten Storm schärfere Töne an, "man darf sich nicht so einfach abschlachten lassen."
Storm ist überzeugt, "dass unser Auftreten und die daraus resultiernde Pleite nicht zu uns passt" und forderte für das Rückspiel am kommenden Sonntag Wiedergutmachung. "Wir müssen unsere Lehren daraus ziehen und Charakter zeigen. Es hat schließlich uns allen sehr weh getan. Das Rückspiel ist wegweisend für den Rest der Saison und ich erwarte, dass alle Spieler gewillt sind, diese Katastrophe vergessen zu machen."
SG-Präsident Frerich Eilts konnte auf Grund einer starken Erkältung das erwartete Donnerwetter nur im Flüsterton an die Mannschaft richten, sah das Unheil aber schon seit einigen Wochen auf die SG zukommen. "In der letzten Zeit haben uns immer einige Spieler im Alleingang gerettet und es ging einfach am Ende immer gut aus. Das war in Montpellier schließlich nicht mehr der Fall. Es ist dennoch keine Weltuntergangsstimmung, wir haben immer noch eine kleine Chance, wenn sich die Spieler aus dem tiefen Loch, in das sie jetzt gefallen sind, wieder rauszuziehen."
Und die erste Geste der Wiedergutmachung hatten die Spieler bereits direkt nach dem "sportlichen Waterloo" geleistet. Die Mannen um Kapitän Søren Stryger versicherten der eigens angereisten SG-Fangruppe (60 Schlachtenbummler) sie am kommenden Sonntag zum "Rematch" einzuladen. "Und das Geld für die Eintrittskarten wird aus der Mannschaftskasse genommen", pflichtete Storm bei.