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SG bewies echte "Nehmer-Qualitäten"

Handball verrückt - auf diese kurze Formel lässt sich das zusammenfassen, was die 3200 Zuschauer im Euregium erlebten. Zuerst sahen sie wie ihre HSG Nordhorn im rasanten Tempo den Deutschen Meister überrannte, dann mussten sie aber doch eine ebenso nüchterne wie gerechte Punkteteilung registrieren. Gegen eine SG Flensburg-Handewitt, die eine meisterliche Moral an den Tag legte und sich auch von brutalen Rückschlägen nicht entmutigen ließ.
Kurz vor dem Anpfiff stimmten die knapp 100 mitgereisten SG-Fans ein Lied an. "Happy Birthday to you", erklang es im Nordhorner Euregium. Der Adressat des Gesangs stand vor der SG-Bank: Manager Thorsten Storm. "Darüber habe ich mich richtig gefreut", strahlte der frischgebackene 40-Jährige noch Stunden später. "Überhaupt haben uns die Fans so richtig den Rücken gestärkt." Das war auch nötig; denn zunächst genoss die SG-Truppe noch einen Tiefschlaf. Keine neun Minuten waren vergangen, da führte Nordhorn mit sage und schreibe 9:2. Ohne Ruhe, ohne Genauigkeit und viel zu überhastet verliefen die ersten Aktionen. „Wir haben viel zu viel über den Kreis versucht", ärgerte sich Spielmacher Glenn Solberg. „Bei den ersten Angriffen habe ich den Ball maximal einmal berührt", staunte Linksaußen Lars Christiansen über die Unruhe im Aufbau.

Formanstieg: Marcin Lijewski

Kent-Harry Andersson hatte schon nach rekordverdächtigen 3:25 Minuten die "Notbremse" gezogen - ein "Team-Time-Out". "Ich wollte die Mannschaft wecken", sagte der Trainer. "Sie sollte mit mehr Geduld spielen, besser zurücklaufen und bei einem Fehlwurf nicht immer auf Schiedsrichter-Pfiffe warten." Andererseits registrierte der Schwede auch den Zehn-Minuten-Rausch der Hausherren: "Das war Handball von einem anderen Planeten."
Die SG antwortete mit "irdischer Moral". "Die Mannschaft hat großartig gekämpft", bestätigte Kapitän Sören Stryger. Schon zehn Minuten nach dem vermeintlichen "Knockout" hatte sich die SG bis auf einen Treffer herangepirscht und bewies echte "Nehmer-Qualitäten". "Die Mannschaft gewinnt wieder an Sicherheit", betonte Thorsten Storm und unkte: "Ich würde mich nicht wundern, wenn dieses Spiel der Auftakt einiger guter Wochen ist." Dafür spricht auch, dass sich Linkshänder Marcin Lijewski nach magerer erster Halbzeit zu seiner besten Saisonleistung aufschwang. "So gut ist er eigentlich", lachte Kent-Harry Andersson.
Der Übungsleiter dürfte es ebenso mit Genugtuung beobachtet haben, dass seine "Improvisations-Künste" aufgingen. Der grippegeschwächte Johnny Jensen übernahm die gewohnte Aufgabe in der Deckung, während am Kreis fast nur Andrej Klimovets auftauchte. Für den erkrankten Joachim Boldsen feierte Blazenko Lackovic seine Abwehr-Premiere. Eine Doppelbelastung, die das Comeback von Christian Berge praktisch erzwang. Nach 26 Minuten betrat der Norweger erstmals das Parkett im Euregium. "Er könnte uns weiterhelfen", freute sich Kent-Harry Andersson. "Ohne ihn hätte es wohl nicht zum Punkt gereicht."
In der Schlussphase bewegte sich das Spiel auf einem schmalen Grad. Mit 27:25 hatten die Nordhorner noch einmal Oberwasser gewonnen, doch die SG egalisierte erneut, sodass Christian Berge 60 Sekunden vor dem Ende auf dem Weg zum Siegtor war. Der Ball landete allerdings beim Gegner, da die Schiedsrichter im Gegensatz zu den Gästen kein Foul gesehen hatten. Kapitän Sören Stryger hatte Mühe, seine Kollegen während eines letzten Nordhorner "Time-Outs" zusammenzutrommeln. Der Frust wich letztendlich aber der Erleichterung über eine unter dem Strich gerechte Punkteteilung.
Friede, Freude, Eierkuchen - für einen netten Schlussakkord des "Krimis" waren die Weichen gestellt. Als "Meister-Trainer" wurde Kent-Harry Andersson auf der anschließenden Pressekonferenz empfangen. Der nahm an seiner alten Wirkungsstätte den Ball auf: "Wenn Nordhorn immer so spielt, wie in den ersten zehn Minuten, dann habt ihr hier bald auch einen Meister-Trainer." Der angesprochene Kollege Ola Lindgren revanchierte sich postwendend: "Für mich ist Flensburg der Top-Favorit." In den Reigen der Schmeicheleien passte ein Kommentar des herzhaft begrüßten "Rückkehrers" Glenn Solberg - er spielte zwischen 1997 und 2002 in Nordhorn - nur zu gut: "Ich hätte beiden Teams zwei Punkte gegönnt."