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Holger Kaiser

05.04.2012 -Manager im Interview: „Was wäre die SG ohne ihr Wohnzimmer?”

Als Holger Kaiser nach Flensburg kam, machte er sich zunächst wenig Freunde. Kein Wunder, denn seine erste Amtshandlung als Geschäftsführer war es, der SG Flensburg-Handewitt einen rigiden Sparkurs zu verordnen. Doch trotz des Endes der fetten Jahre ist die SG in dieser Saison wieder ganz oben mit dabei. Der Meistertitel ist wohl vergeben, aber eine Qualifikation zur Champions League – dazu müsste die SG Zweiter oder Dritter werden – traut Kaiser seinem Team zu. Wie das Flensburger Erfolgsmodell funktioniert, erklärt der ehemalige Münsteraner in einem ausführlichen Interview.

Bevor die Liga den Endspurt einläutet, darf ein Zwischenfazit erlaubt sein. Das fällt bei der SG Flensburg-Handewitt gegenwärtig sicher nicht schlecht aus, oder?
Holger Kaiser: Ich bin sehr zufrieden mit dem sportlichen Zwischenergebnis. Mehr aber noch freut mich, dass es uns gelungen ist, seitdem ich hier bin, dem Team ein Gesicht und eine Perspektive zu geben. Ich will damit keineswegs sagen, dass das Team vor meiner Zeit schlecht war. Aber es hatte eben nicht diese Perspektiven. Wir haben der Mannschaft mit fünf deutschen, fünf dänischen, zwei weiteren skandinavischen Spielern und Leuten aus dem eigenen Nachwuchs eine Identität gegeben, die die Leute hier in Flensburg mitnimmt. Und das Team zeigt eine starke sportliche Präsenz auf dem Spielfeld.

Ist es angesichts der hervorragenden Ausgangsposition vor dem Endspurt erlaubt, von der Champions League zu träumen?
Holger Kaiser: Ich habe jüngst schon zu Bob Hanning (Manager der Füchse Berlin, Anm. der Red.) gesagt, dass ich davon ausgehe, dass sich die Füchse Berlin und die SG Flensburg-Handewitt am Ende um den zweiten Platz streiten werden. Unsere Konkurrenz, der HSV Hamburg und die Rhein-Neckar Löwen, spielen am nächsten Dienstag gegeneinander. Und der HSV empfängt auch noch den THW Kiel.

Aber mit dem Erreichen der Champions League hat doch vor der Saison in Flensburg niemand gerechnet.
Holger Kaiser: Das stimmt nicht. Ich habe bereits vor der Saison zum Team gesagt, dass wir einen Kader haben, der in der Champions League spielen kann und auch dort spielen muss. Das war immer unser klares Ziel. Zudem wollten wir ins Luthansa Final Four nach Hamburg und nach Möglichkeit einen Europacup gewinnen. Das eine haben wir bereits geschafft, das andere ist sehr gut möglich.

Am Anfang dieser gesamten Entwicklung aber stand eine sportliche Ohrfeige, die sie sich zu Beginn der Saison in Kiel abholten.
Holger Kaiser: Das war unser Kulturschock. Aber danach hat sich die Mannschaft bis zum Jahresende unglaublich entwickelt. Daran hat natürlich auch unser Trainer Ljubomir Vranjes maßgeblich Anteil. Er hat der Mannschaft sportlich und konzeptionell ein Gesicht gegeben und ist mit seinen Vorstellungen vom Handball auch sehr durchsetzungsfähig. Er hat eine unglaubliche Akzeptanz innerhalb des Teams. Die Jungs glauben ihm. Er macht taktisch ungewöhnliche Dinge, weil er eben auch ein mutiger Trainer ist. Zudem gewinnen wir Spiele nicht mehr allein in der Deckung, sondern auch weil wir ein überragendes Angriffsspiel haben. Man muss sich doch nur einmal die Entwicklung von Holger Glandorf in der kurzen Zeit anschauen.

Was hat Vranjes denn mit Glandorf angestellt, dass der wieder zu alter Stärke zurückfand?
Holger Kaiser: Ljubo war in Nordhorn lange Zeit Glandorfs Mittelmann, er wusste also, wie der funktioniert. Zudem braucht jemand wie Glandorf ein familiäres Umfeld, so wie es ihm die HSG Nordhorn oder eben wir bieten können. Ohne Lemgo zu kritisieren, aber das hat alles nicht so richtig zusammengepasst. Es macht richtig Spaß zu sehen, wie der sich hier entwickelt. Aber das gilt ja nicht nur für ihn. Auch unser Mittelmann Thomas Mogensen hat sich weiterentwickelt. Der ist zu einem echten Spielmacher geworden und muss hier nicht nur den Rambo machen.

Und wie soll die Mannschaft zur neuen Saison weiterentwickelt werden?
Holger Kaiser: Sicher ist, dass Steffen Weinhold aus Großwallstadt zur Mannschaft stoßen wird. Und wir überlegen, für die Rückraum-Mitte-Position ein skandinavisches Nachwuchstalent zu verpflichten. Er ist ein Spielertyp wie einst Magnus Wislander, weshalb Ljubo und ich ihn auch schon seit mehr als zwei Jahren beobachten.

Und dann blasen sie zum Angriff auf den THW Kiel?
Holger Kaiser: Moment! Der THW Kiel hat in etwa einen doppelt so großen Etat wie wir. Wir sind gegenwärtig sehr froh darüber, dass wir das Team trotz diverser Sparmaßnahmen wieder hochgebracht haben. Unser Ziel kann es nur sein, mittelfristig zu den ersten drei Klubs in der Bundesliga zu gehören und in der Champions League mitzuspielen. Zu behaupten, wir wären bald schon auf gleicher Augenhöhe mit dem THW, wäre zum jetzigen Zeitpunkt sehr vermessen. Einen Titel zu versprechen, wäre in Flensburg grob fahrlässig. Falls aber am Ende einer dabei herausspringt, sagen wir natürlich nicht nein.

Ist denn schon sicher, wo die SG Flensburg-Handewitt künftig ihre Heimspiele austragen wird? Es gab doch diesen berüchtigten Streit mit der Betreibergesellschaft der Campushalle.
Holger Kaiser: Wir werden unsere Heimspiele künftig in Münster in der Sporthalle Berg Fidel austragen (lacht!). Nein, keine Sorge, ich kann Entwarnung geben. Die SG und die Betreibergesellschaft sind sich schon längst einig geworden. Außerdem: Was wäre die SG ohne ihr Wohnzimmer? Das ist doch gar nicht vorstellbar.

Zum Lufthansa Final Four müssen Sie Anfang Mai ins Wohnzimmer des HSV Hamburg, bekommen es da im Halbfinale aber mit dem Überraschungs-Halbfinalisten TuS N-Lübbecke zu tun. Wie schätzen Sie die Chancen ein?
Holger Kaiser: Ich habe großen Respekt vor unserem Halbfinalgegner. Aber unser Ziel lautet ungeachtet dessen ganz klar: Wir wollen ins Endspiel! Im Vergleich zum vergangenen Jahr, als wir im Halbfinale die Rhein-Neckar Löwen schlagen konnten, uns aber im Finale am Ende die Luft ausging, sind wir diesmal breiter aufgestellt. Ich gehe davon aus, dass das Finale in Hamburg wieder Flensburg gegen Kiel lauten wird.

Von: hbl