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03.07.2011 -Was macht eigentlich Christian Berge?

Der Glomma glänzt in der Sonne. Der größte Fluss Norwegens teilt die 20000 Einwohner zählende Kleinstadt Elverum in zwei Teile. 100 Kilometer nordöstlich der Metropole Oslo lässt es sich gut leben. Das gilt auch für den Sport. Björn Daehlie, der erfolgreichste Athlet bei Olympischen Winterspielen überhaupt, ist hier geboren. Und die Handballer zählen zu den Besten des Landes. In der letzten Serie waren sie Vize-Meister und gewannen den norwegischen Pokal. Ihr Trainer ist der ehemalige Bundesliga-Profi Christian Berge. „Wir fühlen uns sehr wohl in Elverum", spricht er für sich und seine Familie (Frau Turid, zwei Söhne). Dann ergänzt er: „Es geht mir sehr gut."
Es ist immer schön, so etwas von einem Menschen zu hören. Bei Christian Berge ist es aber besonders schön. Denn vor einigen Jahren war der Norweger ernsthaft erkrankt. Ende Oktober 2004 hatten die Ärzte bei ihm einen bösartigen Tumor im Lymph-System entdeckt. Nach 20 Bestrahlungen meldete sich der Handballer im Januar 2005 zurück. Doch nur zwei Monate später der Rückschlag: ein Tumorrezidiv in der Leistengegend. Diesmal kam Christian Berge nicht um eine Chemotherapie herum. Sechs Behandlungs-Intervalle prägten monatelang seinen Lebens-Rhythmus. Dennoch ließ es sich der Handball-Regisseur nicht nehmen, zwischendurch bei einer extra für ihn organisierten Handball-Gala mitzuwirken. „Es ist kein Abschied, sondern ein Wiedersehen“, fand Christian Berge bemerkenswerte Worte.
Heute ist er in die Normalität zurückgekehrt. „An die Krankheit denke ich nicht", sagt er. „Ich steh auf, mache meine Arbeit und verbringe meine Freizeit mit meiner wunderbaren Familie." An die Leidenszeit erinnert ein 2008 veröffentlichtes Buch, das in Zusammenarbeit mit einem norwegischen Journalisten entstand. Mit „In der Hitze des Gefechts" lässt sich der Titel des Werkes übersetzen. Darin geht es hauptsächlich um die Krankheit.
Aber auch um Handball. Der Beginn seiner Karriere in Trondheim hat einen Platz gefunden. Ebenso die Zeit bei Viking Stavanger. In der südnorwegischen Hafenstadt war der Stern von Christian Berge einst aufgegangen, dort verdiente er sich die ersten Sporen in der europäischen Champions League. 1999 erfolgte sein Wechsel nach Flensburg. 224 Einsätze zierten die kommenden sieben Jahr, ebenso Meisterschaft und Pokalsiege – aber auch der Krebs und sein Comeback.
„Immer wenn es geht, schaue ich mir die Flensburger Spiele im Fernsehen an", sagt Christian Berge, der bemüht ist den Kontakt nach Norddeutschland warmzuhalten. Aber es ist nicht immer einfach. Die ehemaligen Mannschaftskollegen hat es bis auf Dan Beutler und Michael Knudsen in alle Winde zerstreut. Nicht jeder wohnt wie Johnny Jensen in der „norwegischen Nachbarschaft". Und für einen Besuch in der Fördestadt bietet sich im Prinzip nur der Sommer an. So wie im letzten August, als Christian Berge zu den Gästen beim Abschiedsspiel von Lars Christiansen zählte.

Christian Berge (mit Jan Holpert) bei der Christiansen-Gala.

2006 trat der geniale Spielmacher etwas kürzer und schloss sich als spielender Co-Trainer dem dänischen Erstligisten Aarhus GF an. Der Abschied aus der Bundesliga entsprang dem Kalkül, seinem Körper mehr Auszeiten zu gönnen. Manchmal bereute er aber auch diesen frühzeitigen Schritt. 2008 kehrte Christian Berge mit seiner Familie nach Norwegen zurück und wurde Trainer bei Elverum IL. Zwar stehen auch Isländer, Schweden oder Finnen in seiner Mannschaft, aber von einem wirklichen Handball-Business kann man nicht sprechen. Die Heimauftritte absolviert der Klub in einer schnuckligen, nur 1000 Zuschauer fassenden Halle. Und tagsüber gehen die Spieler zur Schule oder zur Arbeit. „Wir bemühen uns, alles so professionell wie möglich zu gestalten", erklärt Christian Berge. „Aber bei uns wird man vom Handball nicht reich." Er selbst arbeitet in einer Schule mit Kindern – als Pädagoge.
Nebenbei feilt der Familienvater an seiner Trainer-Laufbahn. Im norwegischen Ausbildungs-System hat er das dritte Niveau erreicht, in zwei Jahren möchte er das Maximum, das fünfte Level, erreicht haben. Ob dann noch mehr Klubs anklopfen? Zuletzt lag ein Angebot von Drammen HK vor. Als Handball-Coach blieb er aber Elverum treu. „Wir fühlen uns hier wohl, aber vielleicht probieren wir irgendwann etwas Neues", sagt Christian Berge. Auch seinen „kleinen Traum", einmal Trainer in Flensburg zu sein, hat er noch nicht aufgegeben. „Ich habe noch viel Zeit, ich werde im Juli ja erst 38 Jahre alt."
Die Saison ist in Norwegen beendet. Elverum rangierte in der Elitserien auf Platz zwei, nur einen Zähler hinter Haslum. Auch im Playoff-Finale musste sich die Berge-Sieben dem Rivalen knapp beugen. Im europäischen Pokalsieger-Cup hatte der norwegische „Vize" im Viertelfinale keine Chance gegen den VfL Gummersbach. „Wenn es gut läuft, halten wir gegen eine Bundesliga-Mannschaft 30 Minuten mit. Aber auch nur, wenn es gut läuft", musste der ehemalige SG-Akteur erkennen.
Für die nächste Spielzeit hat Elverum weiter aufgerüstet. Das große Linkshänder-Talent Christoffer Rambo, zuletzt in Diensten des spanischen Erstligisten Valladolid, zog es nach Norwegen zurück. Ihm hat das sportliche Umfeld unweit Oslos angetan. Und die Arbeit mit einem Top-Trainer. Manch einer vermutet, dass es in der nächsten Serie zur Wachablösung im norwegischen Handball kommen wird. „Ich denke, dass Haslum immer noch ein Stück stärker ist", hält sich Christian Berge bedeckt. „Und auch in anderen Vereinen sind Spieler nach mehreren ausländischen Profi-Jahren zurückgekehrt." So oder so: Der Glomma glänzt in der Sonne.

Von: ki