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Erst ein Kopfstoß weckt die Spanier

Nachdenklich stand Per Carlén vor der Kabine, die Arme vor der Brust verschränkt, die rechte Hand das Kinn kraulend. "Schade", sagte der Trainer der SG Flensburg-Handewitt. "50 Minuten lang haben wir super gespielt, aber in den letzten zehn Minuten haben wir den Kopf verloren." Die Rückkehr in die europäische Königsklasse des Handballs beim dreifachen spanischen Titelträger BM Ciudad Real war für den Bundesliga-Tabellendritten lange Zeit verheißungsvoll gelaufen, doch am Ende hatte eine bittere 19:27 (9:7)-Schlappe zum Auftakt der Gruppenphase in der Champions League gestanden.
Der Stachel der Enttäuschung saß tief bei den Flensburgern. Denn das Resultat spiegelte die wahren Kräfteverhältnisse nicht wider. 55 Minuten lang waren die Norddeutschen auf Augenhöhe mit dem Star-Ensemble aus der Mancha gewesen. 20:18 hatte Ciudad zu diesem Zeitpunkt lediglich geführt. Doch in den letzten fünf Minuten brachen alle Systeme komplett zusammen. "Da haben wir genau die Fehler gemacht, die man gegen Ciudad auf gar keinen Fall machen darf", sinnierte Mannschaftskapitän Tobias Karlsson. "Ein, zwei technische Fehler, ein, zwei schwache Würfe - und schon geht es ganz schnell." Die Spanier, die bis zu diesem Zeitpunkt kaum einen Gegenstoß bekommen hatten, überrannten die in den letzten zehn Minuten drei Mal durch Unterzahl dezimierten Flensburger und feierten am Ende einen Erfolg, dessen Ergebnis dem Gastgeber schmeichelte.
Besonders in der ersten Hälfte waren die nur 2000 Zuschauer in der Quijote-Arena und BM-Trainer Talant Duishebajew gar nicht aus dem Staunen heraus gekommen. Nicht Ciudad diktierte das Geschehen, sondern der Champions-League-Rückkehrer aus Flensburg. Die Abwehr stand blendend, Torhüter Dan Beutler präsentierte sich in Topform und wehrte unter anderem zwei Strafwürfe von Canellas und Lazarov ab. Und im Angriff agierten die Flensburger geduldig - bis zur Wurfchance. Genauso wie der Trainer ("Das war eine der besten Halbzeiten, die wir je gespielt haben") es vorgegeben hatte. Tempo verschleppen, keine schnelle Mitte und lange Angriffe spielen, damit die Spanier nicht ihren Rhythmus finden. "Das hat super geklappt. Wir haben genau das umgesetzt, was Per wollte", meinte Thomas Mogensen. Nach 30 Minuten standen gerade einmal sieben magere Tore für die Gastgeber zu Buche. Duishebajew konnte sich nicht erinnern, "dass wir in einer ersten Halbzeit einmal so wenig Tore erzielt haben".
9:7 lag die SG zur Pause vorn, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt abzeichnete, dass Oscar Carlén einen rabenschwarzen Tag erwischt hatte. Zwar hatte der beste Linkshänder der Bundesliga gleich den ersten Wurf gegen Hombrados versenkt. Aber danach warf er nur noch "Fahrkarten". Nach 60 Minuten standen unter dem Strich acht Fehlversuche. Tamas Mocsai versuchte, die Nummer eins im SG-Rückraum zu unterstützen. Doch beim Ungarn wechselten Licht und Schatten, guten Aktionen standen einige haarsträubende technische Fehler gegenüber. "Thomas Mogensen auf der linken Seite hatte ebenfalls große Probleme", befand Per Carlén. Doch dafür sprangen andere in die Bresche: Patrik Fahlgren und Lasse Svan Hansen. "Offensive Deckungsreihen sind gut für Patrik, das hat er heute super gemacht", lobte der Coach.
Fahlgren und Svan Hansen hatte es die SG zu verdanken, dass sie bis zur 50. Minute beim 17:16 an der Überraschung schnuppern durfte. Vielleicht wäre sie auch gelungen, wenn die schwedischen Schiedsrichter Hakansson/Nilsson dem Spanier Morros nach einem leichten Kopfstoß gegen Svan Hansen nicht "Rot" gezeigt hätten. Diese Aktion brachte die Zuschauer und den Gastgeber in Rage - wie einen Stier, wenn der Torero mit dem roten Tuch vor ihm wedelt. Danach gab es für Ciudad kein Halten mehr. Über den Kampf spielten sich die Spanier in einen Rausch. "Wir haben zwar versucht, dagegen zu halten", meinte Linksaußen Anders Eggert. "Aber das haben wir nicht geschafft."
Nicht nur der Däne, auch einige SG-Spieler wurden das Gefühl nicht los, dass an diesem Abend mehr möglich gewesen wäre. "Es hätte ganz anders ausgesehen, wenn wir heute einen Angriff mitgehabt hätten", meinte Eggert zu den gerade 19 Flensburger Toren. Tobias Karlsson nahm dennoch etwas Positives aus Spanien mit: "Wir haben 50 Minuten lang super gespielt, jetzt müssen wir nur noch die letzten zehn Minuten verbessern." Dann ist die SG auch bereit für die ganz großen Spiele.