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Heftiger Aufschlag in der Realität

Der SG Flensburg-Handewitt blieben nach der 24:32 (12:18)-Niederlage im vermeintlichen Spitzenspiel beim HSV Hamburg nur Frust und Ratlosigkeit. Es sollte ein „großer Wettkampf“ (Trainer Per Carlén) werden vor 13171 Zuschauern in der O2-World, doch stattdessen gab es für die Flensburger eine Lektion: Sie gehören nicht mehr zur Spitze der Handball-Bundesliga. Die besten Drei sind weit enteilt, und selbst Rang vier erscheint momentan als beinahe utopisch. Sogar der notorische Optimist Per Carlén hält es für realistischer, die „Plätze fünf, sechs und sieben als Ziel“ ins Visier zu nehmen.
Dem Champions-League-Teilnehmer wird die erfolgreiche vergangene Saison zunehmend zur Last: Druck durch hohe eigene und äußere Erwartungen, eine Spielfrequenz, die Fokussierung und mentale Frische beeinträchtigt, Gegner, die sich noch akribischer vorbereiten. „Leider unterschätzt uns keine Spitzenmannschaft mehr“, sagte Per Carlén nach dem Debakel. Auch der HSV tat gut daran, die SG ernst zu nehmen. 20 Minuten demonstrierten die Gäste, was leichtfertigen Hamburgern hätte blühen können.
Ein guter Plan und Spieler, die diesen umsetzen – so hatte sich Carlén den Auftritt in Hamburg vorgestellt. Das klappte bis zum 11:11. Mit erstaunlicher Leichtigkeit kam der Flensburger Rückraum zu seinen Toren. Besonders Viktor Szilagyi, aber auch Thomas Mogensen und Oscar Carlén trafen, ohne sich weh zu tun. „Wir haben die Schwächen der HSV-Abwehr im Vorfeld erkannt und clever genutzt. Wir haben genau das getan, was wir uns vorgenommen hatten“, meinte  Szilagyi, der alles in allem beste SG-Akteur.
Warum die Partie dann binnen fünfeinhalb Minuten mit sechs Hamburger Toren in Folge gänzlich ihren Charakter wechselte, dafür fand bei den Flensburgern niemand eine Erklärung. Die lieferte HSV-Trainer Martin Schwalb, der sich im Licht einer pünktlich gesetzten und ungewöhnlich effektiven Auszeit sonnte. „Wir wollten die coolen Flensburger Schützen dazu bringen, dass sie von dort werfen, wo sie keine gute Quote bekommen. Das habe ich in den ersten 20 Minuten nicht gesehen. Ich habe dann gesagt, dass im Handball oft zehn bis 15 Zentimeter entscheidend sind“, dozierte Schwalb. „Meine Spieler haben dann genau diesen halben Schritt mehr getan und die Aggressivität gezeigt, die man braucht, um ein Spitzenspiel zu gewinnen.“ Hinzu kam eine Initialzündung durch HSV-Keeper Johannes Bitter, der nun den schwachen Per Sandström abgelöst hatte, und SG-Linksaußen Anders Eggert gleich einen völlig freien Wurf abkaufte.
Die Flensburger verloren jegliche Linie - „wie eine Junioren-Mannschaft“, so Per Carlén, der dann „das schlechteste Spiel der Saison“ sah. Besonders 13 technische  Fehler, die Hamburg schonungslos nutzte, kreidete der Trainer seinem Team an: „Das geht gar nicht. Die Mannschaft muss lernen, das abzustellen.“ Kreisläufer Jacob Heinl, der von der Hamburger 6:0-Abwehr weitgehend zugedeckt wurde, erlebte ein Déjà-vu: „Eigentlich läuft alles, dann kommen wieder unsere zehn Minuten, in denen wir alles verlieren – wie in Ciudad Real und gegen Kiel. Wenn wir wüssten, woran es liegt, würden wir es schnell ändern.“ Thomas Mogensen schmerzt es, zum wiederholten Male zu erleben, dass die SG gegen die absolute Spitze nicht über 60 Minuten bestehen kann: „Plötzlich werden wir ungeduldig, werfen die Bälle weg. Ganz schnell sind wir 1:7 unten, und es wird unglaublich schwer, zurückzukommen. Da kannst du nur noch das SG-Trikot mit Würde tragen und versuchen, dass es nicht 15 oder 20 Tore Unterschied werden.“
Zum Unvermögen der Flensburger kam das Pech. Fast alle Abpraller landeten in Hamburger Hand, abgefälschte Würfe trullerten ins Tor, und Rechtsaußen Lasse Svan Hansen schien manchmal Öl statt Harz an den Fingern zu haben. „Es gibt solche Tage, andere erleben das auch“, befand Per Carlén lakonisch und erinnerte an das Desaster der Rhein-Neckar Löwen, die im Frühjahr in Flensburg noch übler unter die Räder gekommen waren. Ausgerechnet die Mannheimer kommen am Sonntag in die Campushalle und könnten die Flensburger weiter Richtung Mittelmaß befördern, wenn sie nicht, wie Teammanager Ljubomir Vranjes hofft, „alles zu 100 Prozent besser machen“.