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War das der lang ersehnte Befreiungsschlag für die SG?

Beim Halbzeitpfiff hatte Boy Meesenburg genug. Total enttäuscht verließ der Vorsitzende des Wirtschaftsbeirates die Campushalle. Was seine geliebte SG Flensburg-Handewitt ihren 6000 Anhängern bis dahin gegen die MT Melsungen zugemutet hatte, war ihm auf den Magen geschlagen. „Zombie“-Handball – die SG wirkte gegen den Tabellen-Dreizehnten wie „tot“. Nicht einmal die Aussicht auf zwei trainingsfreie Tage bei einem Sieg schien die Spieler zum Leben zu erwecken. Der verletzte Spielmacher Ljubomir Vranjes, der von der Bank dem traurigen Treiben zusehen musste, gestand später: „Ich hätte weinen können.“ Und die Zuschauer waren ob der 16:13-Führung der Gäste so gelähmt, dass sie vergaßen, ihre SG mit einem gellenden Pfeifkonzert in die Kabine zu verabschieden, obwohl sie es mehr als verdient gehabt hätte.
Ende der ersten Hälfte war auch Per Carlén der Geduldsfaden gerissen. In der Pause hielt der neue SG-Trainer seinen Spielern eine Gardinen-Predigt, dass die Kabinenwände zitterten. „So laut habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch keinen Trainer erlebt“, gab Mannschaftskapitän Michael Knudsen zu Protokoll. „Er hat nur geschrien, aber ich habe nicht viel verstanden“, meinte Johnny Jensen, der am Mittwoch 37 Jahre alt geworden war. Was er seiner Mannschaft gesagt hatte, wollte Carlén nicht verraten. „Das gehört nicht in die Öffentlichkeit“, sagte der 48-Jährige. Er nannte es eine „gemütliche Besprechung“.

Ab durch die Mitte: Oscar Carlén

Der Wutausbruch des Schweden wirkte wie eine Initialzündung. Plötzlich zeigte die SG die Tugenden, die sie ihren treuen Anhängern seit geraumer Zeit vorenthalten hatte: In der Abwehr Aggressivität und Biss, im Angriff Herzblut und Konsequenz im Abschluss. Der Trainer und ein bärenstarker Jendrik Meyer mit fünf Paraden in Folge nach der Pause hatten den „Untoten“ neues Leben eingehaucht. Aus dem 13:16 machte die SG trotz zweimaliger Unterzahl (Gäste-Trainer Robert Hedin: „Da haben wir das Spiel weggegeben“) bis zur 36. Minute eine 17:16-Führung und gab diese anschließend nicht mehr aus der Hand. Und als Lars Christiansen in der 49. Minute zum 27:22 traf, saß auch Boy Meesenburg wieder auf seinem Platz. Er wollte die Auferstehung seiner SG live miterleben.
Nach dem Schlusspfiff wurde die Mannschaft mit stehenden Ovationen gefeiert. Doch Johnny Jensen und Ljubomir Vranjes ließen sich von der zweiten Hälfte nicht blenden. „Die zweite Halbzeit können wir mitnehmen, über die erste müssen wir aber noch reden“, sagte Jensen. Und Vranjes meinte: „Die zweite Halbzeit war okay, mehr aber auch nicht.“ Beide waren sich darin einig, wem die Wende in diesem Spiel zu verdanken war: „Jendrik war heute unser Matchwinner.“ Für die in den letzten Wochen oft gescholtene Nummer zwei war der Auftritt gegen Melsungen mit insgesamt 15 Paraden eine Genugtuung. „Ich spiele gerne in dieser Mannschaft, aber es ist schwierig zu funktionieren, wenn man immer nur ins Wasser geworfen wird, wenn es bei Dan nicht läuft“, sagte der 26-Jährige. Dass die SG an der Verpflichtung des schwedischen Keepers Johan Sjöstrand interessiert sei, müsse er akzeptieren. Er könne die Ansicht im Vorstand nicht ändern. Dennoch möchte er seinen Vertrag bei der SG bis zum Juni 2010 erfüllen. „Aber das liegt nicht in meiner Hand.“
Einen passablen Einstand im neuen Team feierte Jakob Thoustrup. Der 27-jährige Däne brachte Ruhe ins Flensburger Angriffsspiel, zeigte Übersicht und erzielte in der 42. Minute den wichtigen Treffer zum 21:18. „Das war schön“, gestand der 27-Jährige nach seinem ersten Auftritt vor so großer Kulisse. Am Sonntag im Heimspiel der Champions League gegen Ademar Leon (16 Uhr) muss Thoustrup wieder zuschauen, weil er in der „Königsklasse“ nicht eingesetzt werden darf. Die zweite Halbzeit lässt Fynn Holpert jedoch mit Zuversicht auf diese schwere Aufgabe blicken. „Wenn wir uns daran orientieren, ist mir vor Leon nicht bange.“