War das der „Barcelona-Effekt“? SG-Trainer Kent-Harry Andersson hatte seinen Jungs zwei Tage vor dem Match das Video vom Sieg in der Champions League gegen den FC Barcelona (23. Februar; 31:21) gezeigt. „Gegen dieses Team hatten wir damals eine Weltklasse-Leistung in der Abwehr gebracht“, hoffte der schwedische Coach auf einen ähnlich positiven Impuls. In der Tat: Nach dem 4:7 (9.) steigerte sich Keeper Dan Beutler enorm und stellte Weltklasse-Mann Thierry Omeyer in den Schatten. Der Franzose musste kurz vor der Pause sein Gehäuse für einige Minuten räumen.
Mit „Barcelona-Effekt“ zum Derby-Sieg
Und die 6:0-Deckung der Hausherren schockte die Kieler, die massenhaft den Ball verloren. „Wir haben Panik bekommen“, meinte Nikola Karabatic. „Unsere Abwehr war viel aggressiver als zuletzt“, freute sich Thomas Mogensen, der nach zehn Minuten den glücklosen Kasper Nielsen ablöste und mit seinen acht Treffern zum auffälligsten Feldspieler werden sollte. Dagegen hatte THW-Trainer Noka Serdarusic mit seinen Maßnahmen zunächst kein Glück. Eine auf Marcin Lijewski ausgerichtete 5:1-Defensive brachte genauso wenig wie die Auszeit beim 11:8 (19.). Börge Lund als Spielmacher und Nikola Karabatic für den bis dahin blassen Kim Andersson vermochten der Partie keine Wende zu geben.
Erst die Halbzeitpause brachte die Kieler zurück ins Match. Kim Andersson und Nikola Karabatic trafen immer besser aus der Distanz, während die Flensburger sich mit ihren Spielzügen mehr mühen mussten. Als Kim Andersson auf 28:26 (47.) verkürzte, knisterte es noch einmal in der Campushalle. Kent-Harry Andersson nahm seine Auszeit. „Die SG stand nun psychologisch unter Druck“, meinte Noka Serdarusic. „Aber wir waren einfach nicht stark genug, um das auszunutzen.“
Die Trainer-Stimmen
Kent-Harry Andersson, SG Flensburg-Handewitt: „Etwas Glück, ein guter Torwart und gute Gegenstöße haben uns zur Halbzeit deutlich in Führung gebracht. Es lief optimal für uns. Deshalb wussten wir, dass wir auch die zweiten 30 Minuten hart arbeiten mussten..“
Noka Serdarusic, THW Kiel: „In einer Minute haben wir drei Mal den Flensburgern den Ball in die Hände gespielt. Durch diese Minute haben wir so den Faden verloren, dass wir uns davon bis zur Pause nicht mehr erholten.“
SG Flensburg-Handewitt: „Rückenwind“ für das Derby
Unter der Woche war SG-Geschäftsführer Fynn Holpert in Husum. Dort besuchte er die „Husum-Wind“, die weltweit größte Messe für Windenergie. Er kehrte mit einer guten Nachricht von der Nordseeküste zurück. Das dänische Unternehmen „Vestas“, der weltgrößte Hersteller von Windenergie-Anlagen, stockte sein bisheriges Sponsoring bei der SG deutlich auf und stieg in den Rang eines Teampartners auf. „Das grenzenlose Denken trägt Früchte“, freute sich Fynn Holpert. „Die SG ist in den dänischen Medien genauso in aller Munde wie in den deutschen.“
Zwei Spieler folgten dem Geschäftsführer wenig später nach Husum. Torge Johannsen und Thomas Mogensen standen am Messestand von „Vestas“ und verteilten an Ingenieure aus Japan oder Windpark-Manager aus Dänemark eifrig Autogramme. Offenbar erhielten die beiden Akteure durch diese Aktion kräftig „Rückenwind“. Die Youngster gehörten nämlich zu den auffälligsten SG-Kräften des Derbys.
Thomas Mogensen schlüpfte ab der 11. Minute in die Rolle des „Jokers“ und begeisterte die Menge mit schnellen Konter-Toren und finalen Durchbrüchen nach SG-Spielzügen. Nach seinem Doppelschlag zum 9:8 streckte er seine Arme jubelnd in Richtung der pulsierenden Nordtribüne. „Es macht einfach Spaß“, meinte der dänische Shooting-Star. „wenn man so intensiv für ein Spiel trainiert, man auf dem Feld die Belohnung erhält und eine so viele Zuschauer in der Halle sind.“ Viele der Zuschauer schnalzten angesichts seiner Leistung mit der Zunge. Ähnlich wie Kent-Harry Andersson: „Ich nominiere Thomas Mogensen gleich für die dänische Nationalmannschaft.“
Auch der Auftritt von Torge Johannsen war erfreulich. Der junge Rechtsaußen setzte erstmals in einem Derby bedeutende Akzente. Mit einem furiosen Wurf aus dem Rückraum zum 31:27 (51.) dämpfte er die Kieler Hoffnungen auf ein Happyend entscheidend – und startete die „Gute-Laune-Party“ in Flensburg. „Ich bin jetzt das dritte Jahr bei der SG“, sagte Kreisläufer Michael Knudsen, der seine Innenbanddehnung nach dem Abpfiff vergessen hatte, „aber der Zusammenhalt in der Truppe war noch nie so gut wie jetzt.“ Und rein zahlenmäßig wird dieser nun noch größer: Frank von Behren (Daumenbruch) und Blazenko Lackovic (Knie) steigen diese Woche wieder ins Mannschafts-Training ein.
THW Kiel: Die Sache mit der Favoritenbürde
„Ich fühle mich wohl in der Außenseiter-Rolle“, sagte Kent-Harry Andersson nach dem Schlusspfiff. Manch einer schmunzelte in der Pressekonferenz. Der SG-Trainer hatte sich nämlich vor der Partie auffällig „klein“ gemacht. „Wir sind David, Kiel der Goliath“, hatte er vor dem 58. Nordderby gesagt. Mit seinem Understatement hatte er im Zebra-Lager für etwas Verwunderung gesorgt. Als „Blödsinn“ bezeichnete etwa Nikola Karabatic die Aussage, selbst in der Campushalle der Favorit zu sein. „Wir können nichts dagegen machen, wenn uns von anderen Vereinen oder Trainern die Favoritenbürde zugeschoben wird“, meinte THW-Manager Uwe Schwenker. Trainer Noka Serdarusic wurde noch deutlicher: „Es hat in den letzten 100 Jahren keine Mannschaft gegeben, die unschlagbar ist – und eine solche Mannschaft wird es auch in Zukunft nicht geben.“
Dennoch war in den Aussagen vieler Beteiligter zu spüren, dass mit der ersten Saison-Niederlage der Kieler die Spannung in die Bundesliga zurückkehrte. „Wir haben gesehen, dass auch die Kieler Spieler nur Menschen sind“, meinte etwa SG-Sportdirektor Anders Dahl-Nielsen. Und SG-Kreisläufer Michael Knudsen atmete durch: „Wenn der THW heute gewonnen hätte, wäre er fast schon Deutscher Meister gewesen.“ Stattdessen stürzte der Triple-Sieger vom Bundesliga-Thron und muss womöglich länger auf Filip Jicha verzichten. Der Tscheche landete nach einem schönen Dreher unglücklich und zog sich eine Blessur am Knie zu, die noch genauer diagnostiziert werden muss.