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Brillante Strategie - Beutler wie in Trance

Die SG Flensburg-Handewitt machte ihr "Spiel des Jahres“ zur berauschenden Handball-Fiesta. Nach dem 31:21 (13:10) über den FC Barcelona winkt dem deutschen Vizemeister das Halbfinale der Champions League.
"Wir sind Barcelona, wir müssen es immer versuchen“, sprach Iker Romero und vergrub sein gerötetes Gesicht wieder in den Händen - hoffentlich würde es bald vorbei sein. Spaniens Handball-Idol hatte nach der Demütigung in Flensburg an der Pressekonferenz keine Freude. Nie zuvor hat der erfolgreichste Club der Welt in einem europäischen Wettbewerb höher verloren als in der Campushalle. Wie der Versuch, die 21:31-Niederlage am Sonnabend (16.30 Uhr) wettzumachen, aussehen soll, wusste Romero nicht. "Wir müssen viele Dinge verändern. Flensburg auch - aber zum Schlechteren“, meinte der 26 Jahre alte Rückraumspieler sarkastisch.
Der Kopf von Spaniens Weltmeisterteam 2005 hatte als Lenker des Barça-Angriffs keine zündende Idee gefunden, die das Potenzial der Hünen in Rot-Blau zur Entfaltung hätte bringen können. Barcelona enttäuschte mit einem Offensivkonzept aus der Handball-Steinzeit. Behäbiger Aufbau, durchsichtige Ballpassagen und schließlich in Zeitnot ein Versuch aus der zweiten Reihe. Schnelle Mitte, zweite Welle? Für die Katalanen offenbar Fremdwörter.

Demontiert: Iker Romero

Romero selbst, Laszlo Nagy und Jerome Fernandez sind zweifellos mit herausragenden individuellen Talenten gesegnet, doch diesen begegnete die SG Flensburg-Handewitt mit genialer Strategie. "Normalerweise macht Barcelona viel mehr einfache Tore. Heute mussten sie um jede Wurfchance kämpfen“, lobte Torhüter Dan Beutler die Arbeit der von Kent-Harry Andersson perfekt eingestellten Abwehr. Der schwedische Schlussmann selbst ergänzte das Bollwerk mit seiner vielleicht besten Leistung im SG-Trikot. 22 Paraden bei 43 Würfen, phänomenale Reflexe und cleveres Stellungsspiel - Beutler hielt wie in Trance.
Die Defensive und das aus ihr erwachsende Tempospiel mussten es richten. "Wenn wir die Konter nicht bekommen, kriegen wir Probleme“, wusste der SG-Trainer. Barcelonas Mittelblock mit Nagy (2,09 m), Perunicic (2,03 m), Vori (2,03 m) und Fernandez (2,00 m) würde im Positionsspiel nur schwer zu knacken sein. Also war der Barça-Angriff zu unterbinden, um dann den trägen Riesen im Gegenzug zu enteilen. "Wir wussten ja, dass sie nicht mitlaufen würden“, sagte Lars Christiansen, der mit 13 Toren zum Schrecken der FC-Torhüter Barrufet und Losert wurde.
"Schon lange schätze ich Kent-Harry als Menschen und als Trainer“, sagte SG-Manager Thorsten Storm. "Aber heute hat er mich aufs Neue beeindruckt mit dieser taktischen Meisterleistung.“ Bis ins Detail hatte der Schwede analysiert, wie Barcelona zweite Reihe und Kreis in Position  bringt. Die Abwehrrecken Johnny Jensen, Kasper Nielsen und Joachim Boldsen wussten, was zu tun war, um die Bälle zu fischen und Konter einzuleiten. "In der ersten Halbzeit haben wir uns noch ein bisschen schwer getan, weil Barcelona das Tempo so runtergezogen hat. Aber dann ging es los. Wir waren auf jeder Position besser“, meinte Christiansen.

Die SG-Abwehr stand sehr hervorragend.

Mit zunehmender Spieldauer wuchs der Frust bei den  Katalanen. Seltsamerweise entlud er sich nicht auf dem Spielfeld, wo es vergleichsweise friedlich zuging, sondern auf der Bank. Dort zickten sich die Barça-Akteure an, speziell der pomadig auftretende Franzose Jerome Fernandez musste sich einiges anhören. "Bei uns war nur Hektik und Chaos“, sagte der enttäuschte Nenad Perunicic. "Ich habe keine Ahnung, was mit uns in der zweiten Halbzeit passiert ist. Mit dieser Leistung hätten wir auch gegen den Letzten der Bundesliga nicht gewonnen“, meinte der ehemalige Kieler.
Die Flensburger sind indes weit davon entfernt, sich schon sicher im Halbfinale zu wähnen. "Zehn Tore - das geht ganz schnell im Handball“, warnte Nielsen, der endlich einmal ein ganz großes Spiel gegen einen großen Gegner gemacht hatte. "Wir waren heute bereit, das müssen wir auch in Barcelona sein“, sagte der Däne, der für das Rückspiel noch Steigerungsmöglichkeiten für die SG sieht. "Im Gegenstoß können wir noch besser sein, im normalen Angriff bekommen wir bei etwas mehr Geduld noch mehr Möglichkeiten“, glaubt Nielsen.
"Fünf, sechs Tore hatten wir uns vorgenommen, aber zehn sind auch nicht schlecht“, meinte  Johnny Jensen, der im Palau Blaugrana einen anderen Gegner erwartet. "Barcelona wird schneller und mit mehr Emotion spielen. Wir müssen das Ziel haben, auch da zu gewinnen und nicht nur unseren Vorsprung zu verteidigen.“