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Erster internationaler Titel für slowenischen Handball

Alle zehn Minuten ein Tor aufholen - dann würde die SG Flensburg-Handewitt das 28:34 aus dem Hinspiel wettmachen. So einfach war die Theorie. In der Praxis stand ein „Riesenberg“ vor dem Bundesliga-Tabellenführer, auch wenn die Zwischenstationen zum 5:4 (10.) und 11:9 (20.) das Einhalten der „Marschroute“ suggerierten. Nervös waren die „Nordlichter“ in die Partie gestartet, erzielten erst nach acht Minuten ihr erstes Feldtor durch Joachim Boldsen. Zu diesem Zeitpunkt entfalteten Sergei Rutenka und Renato Vugrinec bereits ihre ganze Gefährlichkeit. Und Dejan Peric durfte sich schnell als Sieger im „Torhüter-Duell“ betrachten.

Lars Krogh Jeppesen war einer der SG-Leistungsträger.

Mit der gewaltigen Unterstützung der Zuschauer stellte sich die SG aber besser auf die unangenehme 5:1-Abwehr von Celje ein. Als „Big Point“ hätte sich die Einwechslung von Dan Beutler entpuppen können. Was in der zweiten Hälfte den Weg ins Tor fand, gehörte in die Kategorie „unhaltbar“. Zweimal witterte die Campushalle beim 24:20 und 28:24 die große Wende, doch jedes Mal zerstörten leichte Ballverluste den Traum. „In diesen Situationen wollten wir eigentlich besonders cool agieren“, sagte ein Lars Krogh Jeppesen, der trotz seines 150. Europapokal-Treffers ungewöhnlich unsicher auftrat.


Die Trainer-Stimmen
Kent-Harry Andersson, SG Flensburg-Handewitt: „Als wir mit vier Toren führten, war noch einmal alles drin. Doch dann haben wir Nerven gezeigt. Vor der Saison war Celje eines der besten Teams für mich, jetzt sind die Slowenen die beste Mannschaft Europas.“
Miro Pozun, RK Celje: „In einem Finale gibt es keine Verlierer. Es war ein sehr schwieriges Spiel. Ein Kompliment an meine Truppe. Nach Leon, Lemgo und Ciudad Real hat sie nun auch Flensburg geschlagen.“

SG Flensburg-Handewitt: „Hölle Nord“ entfachte einzigartiges „Ambiente“

Zehn Minuten vor Schluss ruderte Lars Christiansen mit seinen Armen. Einmal mehr forderte er die 6500 Zuschauer in der Campushalle auf, kräftig „Rückenwind“ von der Tribüne zu entfachen. Eine Aufforderung, die eigentlich nicht nötig war. Denn die „Hölle Nord“ brodelte so wie noch nie. „Das war ein sensationeller achter Mann“, staunte Joachim Boldsen. „Da war heute ein Extra drin.“ 1000 verteilte Tröten sorgten für einen „Höllen-Lärm“, während sich bei jedem Angriff fast alle Stehplatz-Zuschauer von ihren Plätzen erhoben und die Mannschaft nach vorne schrieen. „Das war ein tolles Ambiente“, merkte Celjes Coach Miro Pozun an. Er wollte sich nicht festlegen, bei welchem Finalspiel die bessere Stimmung herrschte. Südländische Atmosphäre! Der erhoffte Nutzen allerdings blieb aus. Die Slowenen waren zu kompakt, wussten immer eine Antwort und wiesen reichlich Attribute einer Klasse-Mannschaft auf.

Kent-Harry Andersson schielte zum Pott.

Der SG blieben nur die „Trostpflaster“: zweitbestes Team in Europa und erfolgreichster Bundesliga-Vertreter in der Champions League. Dabei hatte man alle Tricks aus der Schublade „Aberglaube“ gekramt, um den ersehnten „Pott“ in Flensburg zu behalten. Denn eine Woche weilte das „gute Stück“ direkt am Hafen in der Waffenkammer der Wasserschutzpolizei. Die EHF wollte sich die umständliche Organisation des Transports sparen und übergab die Trophäe beim Hinspiel in Slowenien dem SG-Tross. Zu jedem Training holte Betreuer Holger Kühl den Pokal ab. „Die Spieler können so schon mal sehen, wofür sie rackern“, sagte Manager Thorsten Storm, der selbst einen „Glücks-Cent“ im Innern des Cups montierte. Schließlich ließ die SG am Spieltag auch noch eine Kolonne Schornsteinfeger in die Halle. Man ließ wirklich nichts unprobiert!
Am Ende jubelten aber nur die Spieler des RK Celje und ihre 500 mitgereisten Fans. Eine Riesen-Euphorie! Da störte es auch nicht, dass sich die große Sektpulle so schwer öffnen ließ. Während sich die Fotografen um die Sieger scharten, standen die unterlogenen SG-Akteure abseits. Sie starrten regungslos auf das bunte Treiben oder gaben erste Interviews. Mittendrin Trainer Kent-Harry Andersson. Einsam, teilnahmslos, enttäuscht! „Ich wusste, dass es sehr schwer wird, aber ich hatte die ganze Zeit die Hoffnung nicht verloren“, verriet er später und fügte an: „Vielleicht steht man nur einmal im Leben in einem Finale der Champions League.“

RK Celje: Erster (und letzter?) internationaler Titel

Jubel beim RK Celje

Die Vorfreude war ihm anzusehen. „5000 Leute warten schon auf uns“, strahlte Celje Coach Miro Pozun. Seinen Handballern war der ganze große Coup gelungen - und die slowenische Steiermark stand Kopf. Schon seit Mittag feierte man vor der Golovec-Arena die Champions League. Nach dem Ende der Live-Übertragung auf der Leinwand entfachten sich Jubel-Stürme. Kein Wunder, dass sich die Mannschaft schon bald nach der Siegerehrung auf die Rückreise machte, um an den Festlichkeiten noch mitzuwirken.
Womöglich ist es die letzte große Handball-Fete in Celje. Das starke Team scheint auseinander zufallen. Der Sponsor „Pivovarna Lasko“, eine Brauerei, schraubt sein Engagement merklich runter. Die Folge: Einige Leistungsträger wandern ab. Torwart Dejan Peric zieht es nach Barcelona, „Shooting-Star“ Sergej Rutenka wird mit Ciudad Real in Verbindung gebracht, und Renato Vugrinec wechselt bekanntlich zum SC Magdeburg. „Es ist toll, dass ich mich mit einem Cup aus Celje verabschiede“, sagte der Linkshänder, der zuletzt verstärkt auf die Bundesliga-Tabelle schielte. „Hoffentlich kann ich in der nächsten Saison wieder in der Champions League spielen.“ Ein Gruß nach Magdeburg - in Flensburg zählte aber nur der aktuelle Triumph. Ein Kuss auf den „Pott“, ein ungläubiger Blick auf die gewonnene Goldmedaille. „Vor der Saison zählten wir nicht zu den Favoriten“, sagte Renato Vugrinec mit stolzem Unterton. „Aber wir haben gekämpft wie die besten Freunde.“

Flensburg erlebte „Spiel des Jahrhunderts“

Ohne Zweifel: Über der Flensburger Campushalle schwebte am Samstag der Dunst der großen Handball-Geschichte. Das „Spiel des Jahrhunderts“ zog an der dänischen Grenze alle in den Bann, man kannte in den Tagen zuvor kaum ein anderes Thema. Schließlich hatte die SG Flensburg-Handewitt nach den Siegen im EHF-Cup (1997), im City-Cup (1999) und im Pokalsieger-Wettbewerb (2001) als erstes europäisches Team die Chance, die Sammlung mit einer vierten „Europapokal-Variante“ zu vervollständigen. Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis war eigens aus Kiel angereist, um den historischen Akt zu flankieren. Letztendlich waren es aber die Slowenen, die aus ihren Händen den Pott übernahmen.

Das SG-Team

Bei den Gastgebern verschwand die anfänglich Enttäuschung relativ schnell. „Wir sind die zweitbeste Mannschaft in Europa - das ist doch was.“ Ein Kommentar von Joachim Boldsen, der die Stimmung im nördlichsten Zipfel der Republik widerspiegelte. Man war stolz, mit einer solchen Partie und im ersten Anlauf in die Geschichte des europäischen Handballs einzugehen. „Unser Saisonziel war und ist es, die Deutsche Meisterschaft zu gewinnen“, legte Manager Thorsten Storm nach. „Die Champions Legaue war nur ein Zubrot.“ Allerdings ein Zubrot der besonderen Art! Das unterstrich auch die lange Liste der akkreditierten Journalisten, die Medienbetreuer Björn Goos anfertigen musste. Ein so großes Medien-Interesse hatte es nie gegeben. Neben dem ZDF übertrugen Anstalten in Slowenien und Dänemark „live“, größere Ausschnitte liefen auch in Schweden und Russland. Und die schreibende Zunft kam gar aus Afrika und dem Nahen Osten, während Kent-Harry Andersson alte Bekannte aus seiner Zeit in Norwegen (Drammen 1993-1997) begrüßen durfte.
Der Rahmen für eine „große Sause“ war im Vorfeld geschaffen. Auf dem Gelände der Flensburger Brauerei wuchs ein Event mit Live-Musik aus dem Boden. „Wir wollen mit unseren Fans das Erreichen des Finales feiern“, hatte SG-Manager Thorsten Storm angekündigt. Man merkte zwar am Abend, dass der ganz große Erfolg fehlte, die Laune ließ man sich aber nicht vermiesen. „Wir wollen den Meister sehen!“, skandierten die Fans, darunter auch etliche Celje-Anhänger, deren Busse erst am Sonntag die Fördestadt verließen. Die Spieler ließen nicht nach lange auf sich warten und betraten die Bühne. Spätestens als Joachim Boldsen das Mikrofon ergriffen hatte, herrschte die richtige Stimmung. „Am Mittwoch schlagen wir Lemgo - und am Wochenende holen wir den Pott aus Hamburg.“

SG Flensburg-Handewitt – RK Celje Pivovarna Lasko 30:28 (15:15)
SG Flensburg-Handewitt: Holpert (6 Paraden), Beutler (bei einem 7m, ab 31., 12 Paraden) - Schröder (n.e.), Runge (n.e.), Strand (n.e.), Thorsson (n.e.), Jensen (1), Christiansen (11/4), Klimovets (3), Stryger (5), Jeppesen (2), Lijewski (2), Boldsen (2), Berge (4)
RK Celje Pivovarna Lasko: Peric (19/1 Paraden), Lorger (n.e.) - Rutenka (11/5), Vugrinec (7), Ostir, Kozlina, Milosavljevic, Gorensek, Natek, Brumen (2), Kokscharov (4/1), Zorman (4)
Schiedsrichter: Breto Leon/Huellin Trillo (Spanien); Zeitstrafen: 10:12 Minuten (Jensen zweimal, Lijewski, Boldsen, Berge - Kozlina zweimal, Ostir, Natek, Kokscharov, Brumen); Siebenmeter: 6/4:6/6 (Christiansen trifft Latte, Stryger scheitert Peric); Beste Spieler: Beutler, Klimovets, Berge  – Peric, Vugrinec, Rutenka; Zuschauer: 6500 (ausverkauft); Spielfilm: 1:3 (4.), 6:4 (11.), 7:7 (14.), 11:9 (20.), 11:11 (22.), 14:15 (28.) - 18:15 (34.), 20:19 (39.), 24:20 (45.), 24:24 (49.), 28:24 (55.), 28:28 (59.)