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Tag der Halben in Flensburg

Die Partie war gerade abgepfiffen, als die Schar der Autogrammjäger auf die Platte stürmte. „Schnell, zu Jan Holpert!“, schrie einer der Jugendlichen. Der Keeper war an diesem Nachmittag besonders gefragt. Nicht wegen seiner Paraden – sondern wegen etwas „Branchenfremdes“. Jan Holpert zerstörte mit den beiden letzten Toren der Begegnung die letzten Hoffnungen der Hamburger, die zum Schluss Iwan Ursic als siebten Feldspieler ins Rennen geworfen hatten. Doch gleich zwei Angriffe landeten in den Fängen von Jan Holpert, der mit einem Distanzwurf den Ball zwei Mal ins verwaiste Gehäuse beförderte. „Der zweite war mit Dreh“, schmunzelte der Keeper, der die Treffer drei und vier seiner Karriere erzielte. Letztmalig feierte er am 5. März 1998 beim 27:20-Sieg in Großwallstadt ein Erfolgserlebnis. Der Leidtragende war damals Axel Geerken.
Als Jan Holpert noch kräftig Hefte und T-Shirts signierte, hatte Martin Schwalb bereits die Halle verlassen. „Das war bestimmt nicht die Geschichte des Spiels“, dachte er sich und ließ noch einmal die Anfangsphase Revue passieren. Die Elbe-Handballer hatten für Überraschung gesorgt, als Bertrand Gille statt seines Bruders Guillaume auf der Spielmacher-Position auftauchte. Gewiss keine schlechte Option, erhielt Iwan Ursic am Kreis gleich einige Gelegenheiten, während Pascal Hens und Kyung-Shin Yoon in den Torreigen miteinstiegen. Nach dem 5:5 ereignete sich womöglich bereits der „Knackpunkt“ der Partie. „Wir verloren einige Bälle“, ärgerte sich Martin Schwalb. „So etwas darf nicht passieren, wenn man in Flensburg eine Chance haben möchte.“

Martin Schwalb schlich aus der Halle.

Lars Christiansen und Sören Stryger, die Gegenstoß-Spezialisten, waren zur Stelle, erhöhten fast im Alleingang auf 13:7. Der HSV nahm seine Auszeit, formierte seine Abwehr von einer offensiven Formation in eine 6:0-Defensive um. „Wir wollten versuchen, in der Abwehr immer aggressiv zu bleiben“, forderte Martin Schwalb von seinem Team. Doch Marcin Lijewski (Jan Holpert: „Er war der überragende Mann der Partie“) bekam die HSV-Abwehr nur nach der Pause zeitweise in den Griff. Zu diesem Zeitpunkt war Blazenko Lackovic zur Stelle. 20 Tore erzielten die Flensburger Rückraum-Goalgetter – in Flensburg registrierte man den „Tag der Halben“.
Trotz dieser „enormen Hausnummer“ und einer recht bescheidenen Torwart-Leistung ließen sich die Hanseaten nie endgültig abschütteln. „Wir haben zwei starke Mannschaften gesehen“, fasste SG-Manager Thorsten Storm zusammen, „wobei individuelle Stärken die Partie prägten.“ Relativ sicher beschritten beide Nordrivalen ein hohes Tempo. Der HSV Hamburg als Verlierer produzierte nur neun technische Fehler. Und so war für die Flensburger selbst nach der dritten Hinausstellung von Kyung-Shin Yoon noch kein Anlass zur Entwarnung gegeben. In Unterzahl verkürzten die Gäste auf 30:32. Mehr war aber nicht mehr drin.  

Die Trainer-Stimmen:
Viggo Sigurdsson, SG Flensburg-Handewitt: „Es war eine sehr gute Mannschaftsleistung unserseits. Hätten sich nach dem 19:13 nicht einige Fehler eingeschlichen, wäre eine frühere Entscheidung möglich gewesen.“
Martin Schwalb, HSV Hamburg: „Beide Teams waren gleichwertig und haben beide auf einem individuell hochwertigen Level gespielt.“

SG Flensburg-Handewitt: Mazedonische Einflüsse

Stefan Schröder trifft gegen seinen Ex-Klub.

Waren es am Ende mazedonische Einflüsse, die die Flensburger zum Sieg trieben? Zum einen hatte der lockere Sieg in der Champions League gegen Metalurg Skopje am Donnerstag nicht allzu viel Kraft gekostet, zum anderen hatte Marcin Lijewski ein Restaurant aufgesucht. „Ich war zum Essen bei einem Mazedonier“, schmunzelte der 13-fache Torschütze, um dann ernsthaft zu ergänzen: „Gegen die unangenehme Hamburger Abwehr hat die Mannschaft gut gearbeitet. Ich hatte viele Wurfchancen.“
Torwart Jan Holpert, der wegen seiner beiden Treffer viele Interviews geben musste, gab die „Blumensträuße“ schnell weiter. „Die individuelle Leistung unserer Rückraum-Leute war ausschlaggebend.“ Beim Aufwärmen hatte der Bundesliga-Rekordspieler noch einen gehörigen Respekt vor dem Gegner. Ein Star trabte neben dem anderen. „O Gott, wie sollen wir das denn schaffen?“, fuhr es ihm durch die Glieder. Sein Resümee nach 60 Minuten fiel dann aber doch anders aus: „Obwohl wir in der Abwehr etwas müde wirkten, hat man gesehen, wer die bessere Mannschaft hat.“

Jan Holpert mutierte zum "Helden" des Abends.

Wer auf neue Aufschlüsse in der „Manager-Personalie“ wartete, hatte den falschen Zeitpunkt abgewartet. Flensburgs Manager Thorsten Storm, der von den Medien immer wieder mit dem HSV in Verbindung gebracht wird, wich Fragen in diese Richtung geschickt aus. Dennoch vermeldete der nördlichste Bundesligist unter der Woche „Bewegung“. Nachdem sich der neue Finanz-Geschäftsführer bereits seit Anfang Oktober in der Einarbeitungsphase befindet, präsentierte man am Montag mit Rainer Saggau einen neuen Marketing-Leiter. Der gebürtige Schleswig-Holsteiner war vorher „Sales-Manager“ bei „brandarena“, der Agentur von „Antenne Bayern“. Davor war der „Neue“ als Projektleiter beim Rundfunk-Sender „NDR2“ beschäftigt und koordinierte unter anderem jahrelang die Medienpartnerschaft mit der SG Flensburg-Handewitt.
Auf Rainer Saggau wartet nun auf jeden Fall eine geeignete Woche, um konzentriert in seine Aufgaben einzusteigen. Die Spieler sind nämlich „ausgeflogen“, es wird ruhig im SG-Stall. Marcin Lijewski brach noch am Sonntagabend mit seiner Familie nach Danzig auf, um seine Fahrt dann nach Poznan zu einem Vier-Länder-Turnier fortzusetzen. Dort trifft der Pole auf vier Flensburger Mannschafts-Kollegen. Jan Thomas Lauritzen und Johnny Jensen stehen im Aufgebot von Norwegen, Anders Eggert und Kasper Nielsen in einer dänischen Auswahl. Die A-Vertretung Dänemarks mit vier weiteren SG-Akteuren sowie Dan Beutler (Schweden) und Blazenko Lackovic (Kroatien) treten beim World-Cup an. Lediglich Jan Holpert, Ljubomir Vranjes und Torge Johannsen bleiben in der „sportlichen Heimat“. „Mir wird schon etwas einfallen“, schmunzelt Trainer Viggo Sigurdsson, „dieses Trio zu beschäftigen.“