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Holperts Coup krönt SG-Sieg über den HSV

Die SG Flensburg-Handewitt hält den HSV Hamburg im Schlagerspiel des neunten Spieltages in der Handball-Bundesliga in Schach und siegt verdient mit 40:35 (21:18).
Die Dramaturgie der Heimspiele der SG Flensburg-Handewitt nähert sich der Perfektion. Schon die jüngsten Begegnungen mit Moskau, Nordhorn und Skopje hatten beste Unterhaltung  geboten. Gestern sah der "Spielfilm“ einen souveränen Auftritt der Gastgeber vor, der aber nie langweilig wurde, weil er durch  Phasen des Kribbelns gewürzt war, in denen man den HSV Hamburg an seiner Chance schnuppern ließ. Ein Hit war das Finale furioso von SG-Torhüter Jan Holpert, der nicht nur den 40:35 (21:18)-Sieg festhielt, sondern auch noch die letzten beiden Tore selbst erzielte. Da war der Moment gekommen, als man fürchten musste, das Dach der Campushalle könnte abheben - was vielleicht den ersehnten Ausbau befördert hätte.
Aber Holperts Coup beim "Harakiri“ der Gäste mit sieben Feldspielern und leerem Tor, "war nicht die Geschichte  dieser Partie“, meinte HSV-Trainer Martin Schwalb. So sah es auch der SG-Keeper: "Handball ist ein Mannschaftssport, und wir hatten heute die bessere Mannschaft.“ Zu der gehörten neben dem 38-jährigen Rekord-Bundesligaspieler weitere Flensburger Helden. Marcin Lijewski etwa, der sich nach großartigem Beginn eine kleine Auszeit gönnte, aber rechtzeitig wieder zur Stelle war, um seine Quote auf 13 Tore zu erhöhen. Und Joachim Boldsen, der im SG-Rückraum alles an sich riss, die Chefrolle aber klug und verantwortungsvoll ausfüllte. Seine reife Leistung komplettierte der Däne durch  großen kämpferischen Einsatz in der Abwehr neben dem ebenfalls sehr engagierten Johnny Jensen. Um so größer war der Schreck in der 42. Minute, als Boldsen bei einem Hamburger Tempogegenstoß mit Stefan Schröder zusammenprallte und mit einem Pferdekuss am Oberschenkel liegen blieb. Doch wenig später kehrte der Däne zurück, als wäre nichts gewesen.

Schock: Joachim Boldsen hatte eine Behandlungspause

Die SG hatte sich nach ausgeglichenem Beginn in einem Zwischenspurt, als Holpert seine erste starke Phase hatte, auf 13:7 abgesetzt. Für Schwalb ein Knackpunkt: "Diesem Rückstand sind wir im Grunde die ganze Zeit hinterhergerannt.“ SG-Trainer Viggo Sigurdsson blieb dagegen nach eigener Aussage stets entspannt: "Ich habe mich jederzeit als sicherer Sieger gefühlt. Das war ein Superspiel meiner Mannschaft.“
Anlässe zu Nervosität hätten die Aufholjagden des HSV zum 18:21 bei Halbzeit und zum 30:32 (50.) sein können. Doch die SG verstand es, jederzeit zu antworten, weil sie homogener besetzt war als die Hamburger. So trumpfte Blazenko Lackovic auf, als es bei Lijewski in der zweiten Halbzeit zunächst nicht lief. Sieben Tore erzielte der Kroate, für den  der erst drei Wochen alte und noch nicht völlig ausgeheilte Nasenbeinbruch kein psychologisches Handicap ist. "Es ist vorbildlich, wie er sich reinwirft. Das ist ein guter Junge“, meinte SG-Manager Thorsten Storm. Gewohnt zuverlässig im Tempogegenstoß zeigten sich zudem die Außen Lars Christiansen und Sören Stryger.
Es sieht  aus, als sollte aus dem "schweren Oktober“ (Sigurdsson) mit sieben Spielen ein goldener werden. Als Schlusspunkt fehlt noch ein Erfolg im DHB-Pokal gegen den TV Großwallstadt am 31. Oktober - ein Termin, der die SG-Verantwortlichen mit einiger Sorge erfüllt. Denn elf SG-Spieler zertreuten sich schon gestern in alle Winde, um zu ihren Nationalmannschaften zu eilen. "Ich hoffe nur, dass alle gesund zurückkehren und wir so weitermachen können. Nach dem schwierigen Saisonbeginn funktioniert es hier einfach. Viggo leistet tolle Arbeit. Die Mannschaft weiß jetzt, was er will und das sieht man auf dem Feld“, sagte Storm.

Die Spieler des Tages: Holpert und Lijewsk

Jan Holpert wird gefeiert.

Er konnte sich vor Glückwünschen nicht mehr retten. Als Jan Holpert sich nach dem Schlusspfiff einen Weg in Richtung Kabine bahnte, bekam er hundert von Schulterklopfern verpasst. "Gut gemacht, Holpi, du Killer“, meinte ein Fan anerkennend. Wenige Minuten zuvor hatte Holpert mit  zahlreichen Paraden und zwei Toren die Campushalle zum Kochen gebracht. Was war passiert? Der HSV hatte zwei Minuten vor dem Abpfiff alles auf eine Karte gesetzt und seinen Torhüter gegen einen siebten Feldspieler getauscht. Holpert parierte einen Wurf, nahm den Ball auf und warf ihn über das gesamte Spielfeld hinweg in den verwaisten Hamburger Kasten. Daran schien er einen solch großen Gefallen zu finden, dass er das Kunststück im nächsten Hamburger Angriff gleich später wiederholte. Zwei Würfe, zwei Tore - das nennt man hundertprozentige Ausbeute. "Ich habe immer gewusst: Ich spiele auf der falschen Position - ich bin ein Schütze“,  sagte der "Torjäger“ augenzwinkernd hinterher zu Manager Thorsten Storm. Es war allerdings kein Novum in der langen Karriere des Flensburger Torhüter-Denkmals. Einmal hatte er in ganz frühen Jahren bei Milbertshofen als aufgerückter Torwart einen Treffer erzielt, ein anderes Mal Mitte der Neunziger Jahre in Großwallstadt vom eigenen Wurfkreis ins Schwarze getroffen.
Ins Schwarze traf gestern auch Marcin Lijewski - und dies gleich 13 Mal. Sensationell, mit welcher Leichtigkeit und Eleganz der polnische Linkshänder den  Ball immer wieder den verdutzten HSV-Keepern um die Ohren warf. Die Frage, ob er denn gegen den HSV, bei dem sein jüngerer Bruder Krzystof spielt, besonders motiviert sei, verneinte Lijewski vehement. "Ich wollte heute nur gut spielen“, gab der Torjäger, der das Bruderduell mit 13:2 klar für sich entschied, hinterher zu Protokoll. Und fügte bescheiden hinzu: "Ich bin ganz zufrieden mit mir.“ Das waren sein Trainer, seine Teamkollegen und die 6300 Zuschauer auch.

Die Spiel-Analyse

Ljubomir Vranjes

Flensburg gegen Hamburg, das war gestern in erster Linie ein Duell der Rückraumschützen. Auf der einen Seite schossen Marcin Lijewski (13 Tore) und Blazenko Lackovic (7) "aus allen Rohren“, auf der anderen hielten Pascal Hens (9) und Kyung-Shin Yoon (6) dagegen. Mit Vorteilen für die SG. Das galt auch für die Torhüterposition. Jan Holpert begann im Flensburger Tor sehr überzeugend und war der Garant für den Zwischenspurt zum 13:7. Ein Vorsprung, von dem die Gastgeber bis zum Schluss zerrten. Die HSV-Torhüter Stojanovic und Sandström parierten zusammen ganze sieben Bälle - zu wenig, um einen Coup in der Campushalle zu landen.
Dass die Flensburger gestern nicht schon in der ersten Halbzeit die taumelnden Hamburger erlegten und eine Vorentscheidung herbeiführten, lag an einer Reihe von Fehlpässen, die sie sich völlig unnötigerweise leisteten. "Wir waren in den ersten 30 Minuten viel besser als der HSV. Die Pausenführung war viel zu niedrig“, meinte SG-Kapitän Sören Stryger zu Recht. Das fiel letztlich aber nicht ins Gewicht, da die SG in Joachim Boldsen einen unermüdlich rackernden Spielmacher besaß, der hinten mit Johnny Jensen Schwerstarbeit im Mittelblock verrichtete und vorne seine beiden Halben prima in Position brachte. Da Holpert sich am Ende nach einer Durststrecke wieder steigerte, Stryger sich als sicherer Siebenmeterwerfer erwies und Lijewski und Lackovic in entscheidenden Phasen Verantwortung übernahmen, ließ sich die SG nicht mehr von der Siegerstraße abbringen. Unter dem Strich gewann sie dank ihrer gesunden Mischung aus Geschlossenheit und individueller Stärke.