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"Barca-Helden" waren platt

Am vergangenen Wochenende noch himmelhoch jauchzend, fünf Tage später zu Tode betrübt - die sprichwörtliche Rede ist von den Bundesliga-Handballern der SG Flensburg-Handewitt, die nach dem Sensations-Erfolg gegen den FC Barcelona (31:21-Sieg) unsanft auf dem Boden der Tatsachen geholt wurden. Der Liga-Primus unterlag bei Verfolger VfL Gummersbach überraschend deutlich mit 26:33 (14:17)-Toren und zeigte sich vor über 15.000 Zuschauern in der WM-Gold-Arena in Köln alles andere als titelreif. "Mit dieser Leistung werden wir auch den Zehn-Tore-Vorspung in Barcelona vergeigen", wetterte SG-Manager Thorsten Storm im Hinblick auf den anstehenden Auftritt beim FC Barcelona, wo morgen (16.30 Uhr) um den Einzug in das Halbfinale der Champions-League gezittert werden muss. "Wir haben uns zu leblos gezeigt und sind teilweise sogar arrogant aufgetreten", schimpfte Storm.
SG−Coach Kent−Harry Andersson saß der Schreck angesichts der besorgniserregenden Darbietung auch noch weit nach dem Schlusspfiff ins Gesicht geschrieben. "Nur die ersten zehn Minuten waren wir richtig gut, dann war Schluss." Sollte die imposante Demontage des mächtigen FC Barcelona im Viertelfinal−Hinspiel etwa zuviel Substanz in Kopf und Körper gekostet haben? Diesen Eindruck vermittelt der Bundesliga−Spitzenreiter jedenfalls überaus deutlich. "Ja, schon möglich. Ich weiß auch nicht so recht, was los war. Vor allem meine erste Rückraum−Besetzung war total platt", betrieb Andersson Ursachenforschung für den bitteren Einbruch, den sein Team nach der vielversprechenden Auftaktphase (8:4−Führung, 11. Minute) erlebte.

Jetzt heißt es Wunden lecken.

Ob Joachim Boldsen, Marcin Lijewski oder der angeschlagene Blazenko Lackovic − die Stammkräfte agierten kraft− und ideenlos und produzierten in der Folgezeit haufenweise Abspielfehler und vor allem Fehlwürfe. An der einsetzenden Talfahrt konnte Andersson selbst durch häufige Umbesetzung nichts mehr ändern. Zu keinem Zeitpunkt fand der Schwede eine Aufstellung, die die hohen Ansprüche der SG masstabsgetreu verkörperte.
Und da entweder VfL−Keeper Goran Stojanovic an den teilweise recht halbherzigen Würfen des Gegners immer häufiger seine Freude hatte oder der Pfosten den SG−Schützen im Wege stand (neun Würfe landeten am Gebälk), hatte der Untergang binnen acht Minuten brutale Formen angenommen.
Beim 9:14−Rückstand (19.) warf Andersson die grüne Karte auf den Tisch des Kampfgerichts und bewahrte sein auch in der Abwehr zunehmend hilflos wirkendes Team mit der Auszeit vom frühzeitigen Debakel. "Ich habe viel mit der zweiten Aufstellung gespielt, dass hat dann eigentlich ganz gut geklappt", versuchte der Schwede die wenigen positiven Aspekte des Abends herauszustellen.
Auch nach dem 13:17 zur Pause war die SG in ihrem vorgezeichneten Schicksal gefangen. Zwar ließ der Tabellenführer, vor allem in Person von Kasper Nielsen und Lars Christiansen, hin und wieder seine Klasse aufblitzen, am Ausgang der Spitzenpartie sollte dies freilich nichts ändern.

Die SG-Bank war fassungslos.

Da der zwölffache Meister aus Gummersbach dank einer starken Gesamtleistung sich auch weiterhin nicht mehr die Butter vom Brot nehmen lassen wollte, komplettierte Andersson ab dem 21:25−Rückstand (45.) seinen "zweiten Anzug" komplett. Anders Eggert löste mit Lars Christiansen den stärksten SG−Spieler ab, während auf der anderen Außenposition Youngster Torge Johannsen den enttäuschenden Kapitän Søren Stryger ersetzte. Der talentierte Linkshänder agierte zwar wesentlich entschlossener als der Däne, verkörperte mit zwei Toren bei fünf Versuchen aber ein großes Manko der SG − die Effektivität im Angriff. 58 Würfe nahm sich der Gast − nur 26 Mal landete der Ball im Netz. 45 Prozent Ausbeute − für den angestrebten Auswärtssieg in der Köln−Arena viel zu wenig. "Damit hätten wir nicht einmal in Wetzlar eine Siegchance", meckerte Storm.
Ganz anders die Hausherren, die, gestützt auf ihren überragenden Keeper Stojanovic sowie Rückraum−Shooter Daniel Narcisse, ab dem 26:22 (47.) noch einmal das Tempo forcierten und am Ende einen 33:26−Kantersieg landeten. Übrigens den höchsten Heimerfolg gegen die SG seit 13 Jahren.
Die Hoffnung von Andersson, die VfL−Asse Narcisse, Momir Ilic, Robert Gunnarsson und Gudjon Sigurdsson würden im Laufe der Partie entscheidend müde werden, sollte sich nicht bestätigen. Vielmehr waren es seine "Barcelona−Helden", denen schnell die Puste ausging, um im Titelrennen ein dickes Ausrufe−Zeichen setzen zu können. "Hätten wir heute hier gewonnen, wären wir im Rennen um die Meisterschaft auf einem sehr guten Weg gewesen. Aber das hat ja nun leider nicht geklappt", erklärte Lars Christiansen mit fassungsloser Miene und richtete sorgenvoll den Blick in Richtung Barcelona.
Sollte das Nordlicht morgen nicht in allen Mannschaftsteilen den Hebel komplett wieder umlegen können, droht der zweite Absturz binnen weniger Tage. Ein Ausscheiden aus der Königsklasse trotz eines Polsters von zehn Toren? Bei der SG ist nicht erst seit dem denkwürdigen Auftritt im Kölner Handball−Tempel wirklich alles möglich.