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Norddeutsches Kräftemessen im Handball-Niemandsland

Ausgerechnet am anderen Ende der Republik erleben die SG Flensburg-Handewitt und der TWH Kiel wenige Tage vor dem Start der neuen Spielzeit ihre letzte Standortbestimmung. In München, genauer gesagt dort, wo seit Jahrzehnten König Fußball einsam regiert, stehen sich heute die Topteams der Handball-Bundesliga im Duell um den Supercup (live im DSF ab 19.45 Uhr) gegenüber. Schauplatz für das prestigeträchtige Aufeinandertreffen des Meisters aus Kiel und des Pokalsiegers aus Flensburg ist die Olympiahalle, die mit 10000 Zuschauen ausverkauft sein wird. "Wir wollen den Handball städtischer machen", begründete Frank Bohmann, Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL), die Maßnahme, den Supercup vom beschaulichen Dessau in die bayrische Millionenmetropole zu verlegen.
Allerdings wird auch der Umzug nach Oberbayern den sportlichen Stellenwert des Supercups kaum aufwerten können. "Natürlich wollen wir den Pokal gewinnen, würden ihn uns aber nicht unbedingt in die Vereins-Vitrine stellen", verkündete THW-Trainer "Noka« Serdarusic, "schließlich wären mir zwei Punkte aus einem Bundesliga-Spiel in Flensburg viel lieber". Und auch bei seinem Amtskollegen aus Flensburg hält sich die Wertschätzung des Supercups in Grenzen. "Natürlich ist es immer wichtig, wenn man gegen den THW Kiel spielt. Außerdem wissen wir dann genauer, wo wir mit unserer Leistung stehen", meint SG-Coach Kent-Harry Andersson, "aber die eigentliche Saison geht erst eine Woche später los."

Noka Serdarusic und Kent-Harry Andersson: Geringe Wertschätzung für den Supercup

Ein letztes Testspiel unter Wettkampfbedigungen, bei dem es gilt das Selbstvertrauen weiter aufzutanken und dabei möglichst keine Verletzungen zu riskieren - mit dieser Zielsetzung machen sich die beiden Nordlichter heute morgen ab Hamburg per Flugzeug auf den Weg ins rund 900 Kilometer entfernte München. Ein Erfolg gegen den Rivalen aus Kiel sei nach Aussage von Jan Holpert allemal gut für die Psyche. "Ein großer Schub fürs Selbstvertrauen", erhofft der SG-Torwart, der heute an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren wird. Immerhin stand der "Magier" seit 1986 in den Diensten der Süddeutschen und erlebte dort den Abgesang des Bundesliga-Handballs in der Großstadt am eigenen Leib mit. 1993 zog sich der TSV Milbertshofen mit seinem damaligen Torhüter Jan Holpert aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Handball-Oberhaus zurück, woraufhin die südliche Region Deutschlands zum Handball-Niemandsland mutierte und Holpert in seine sportliche Heimat nach Flensburg zurückkehrte.
Entsprechend groß ist die Freude vor allem bei "Gastgeber" Bohmann. "Die beiden Nordlichter füllen sogar in München die Halle. Das macht deutlich, wieviel Potenzial im Handball-Sport steckt." Und auch Gertraud Burkert, Sportbürgermeisterin Münchens, ist sicher: "Dieses Spiel bringt Schwung in die bayrische Handball-Szene und zeigt, dass München auf dem Olympia-Gelände eine gute Infrastruktur vorhanden ist."
Dennoch löste der Supercup auch Verärgerung und Aufregung vor allem hinter den Kulissen aus. Die weite Anreise der beiden Teams und die damit verbundenden Reisekosten stünden nach Ansicht der Nordlichter in keinem Verhältnis zur ausgelobten Prämie. Ursprünglich sollte der Sieger 25.000 Euro, der Verlierer 10.000 Euro erhalten. Die HBL soll mittlerweile nachgebessert, damit jedoch keinesfalls die Protagonisten befriedigt haben. Dazu THW-Manager Uwe Schwenker. "Bei den Nachverhandlungen reden wir über ein paar tausend Euro. Dabei müssten bei einer solchen Veranstaltung mit einer vollen Halle und Fernsehübertragung für jede Mannschaft locker eine Summe im sechsstelligen Bereich zusammenkommen. Bei der Vermarktung der Ware Handball haben wir alle ohnehin wesentlichen Nachholbedarf."

Gefordert: Uwe Schwenker und Thorsten Storm

In diesem Zusammenhang kritisierte Schwenker auch die Manager der führenden Bundesliga-Vereine. "Sie müssen über den Tellerrand des eigenen Vereins blicken und gemeinsam stärker an einem Strang ziehen, wenn es um die Präsenz des Handballs geht." Der THW-Funktionär lehnt seine feste Mitarbeit im obersten HBL-Gremium weiterhin ab, hat sich jedoch für "projektbezogene" Mithilfe ausgesprochen. "Wenn es zum Beispiel um die Verhandlungen mit dem Fernsehen geht, bin ich sofort zur Mitarbeit bereit", erklärte Schwenker im Hinblick auf den im nächsten Jahr auslaufenden Fernseh-Vertrag mit den Öffentlich-Rechtlichen Fernseh-Anstalten sowie dem Deutschen Sportfernsehen.
Wenn heute Abend die ewigen Rivalen die Arena betreten, müssen die Fans auf den Auftritt zweier Superstars weitestgehend verzichten. Auf Seiten des dreifachen Pokalsiegers hat Rückraum-As Blazenko Lackovic nach seiner überstandenen Meniskus-Operation derweil noch "Spielverbot" und wird die Partie nur vom Spielfeldrand aus beobachten müssen. Nur unwesentlich aktiver wird der Kieler Neuzugang Nikola Karabatic in Erscheinung treten. Der Jung-Star aus Montpellier laboriert an einer Handgelenks-Verletzung. Daher kommt höchstens ein Kurzeinsatz in Frage. Dazu Serdarusic: "Wir müssen sehr behutsam mit ihm umgehen."
Seit das Prestige-Duells des Meisters gegen den Pokalsieger 1994 ins Leben gerufen wurde, heimsten der THW und die SG die Trophäe jeweils nur ein einziges Mal ein. Bei insgesamt sieben Teilnahmen gingen die "Zebras« nur 1995 nach einem Erfolg gegen den TBV Lemgo als Sieger vom Platz. Bei der SG, die immerhin auf fünf Supercup-Spiele blicken kann, gab es im Jahr 2000 ausgerechnet gegen den THW Kiel (20:19-Erfolg) den bislang einzigen Sieg. Und wenn es nach den Wünschen von Kent-Harry Andersson geht, soll heute in München der Erfolgsstory seiner Mannschaft ein neues Kapitel folgen.