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„Vier Tore sind im Handball gar nichts“

„Hier ist die Hölle los.“ Stefan Thurner, Geschäftsführer von „intersport“ in Flensburg, kam gestern gemeinsam mit seinen Angestellten kaum zum Luftholen. Bereits vor Öffnung des Sportgeschäftes am Vormittag hatte sich eine zig Meter lange Menschenschlange gebildet. Grund: Für jedes Tor der SG Flensburg-Handewitt Tags zuvor im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League beim THW Kiel räumte Thurner seinen Kunden ein Prozent Rabatt ein. Die SG gewann überraschend 32:28 — macht 32 Prozent Rabatt auf das gesamte Sortiment.
Während Thurner in Flensburg von Szenen „wie im Räumungsverkauf“ berichtete, war bei seinem Kieler „intersport“-Kollegen, der die gleiche Aktion veranstaltete, nicht ganz so viel los. „Scheint so, als ob die Kieler leicht gefrustet sind“, lautete dessen Vermutung. Genügend Gründe hätten sie nach der „Demütigung und der Schmach“ (Manager Uwe Schwenker) ihres THW gehabt.

Kasper Nielsen beteiligte sich mit coolen Toren am Torreigen.

Auch beim gestrigen Training in Russee saß der Stachel der unerwarteten Heimpleite  noch tief im Fleisch der „Zebras“. Wieso, weshalb warum?  Fragen über Fragen — nach den Gründen für das desaströse Auftreten in Halbzeit zwei, als beim 21:29 (52.) ein nicht für möglich gehaltenes Debakel drohte. Eine Fehlzündung nach der nächsten lähmte den zuvor schon mächtig stotternden THW-Motor — der Kieler Express nah am Totalschaden.  „Ich habe keine Erklärung“, sagte ein ratloser Trainer Noka Serdarusic zur „schlechtesten Angriffsleistung, die diese Mannschaft bisher gezeigt hat“. Nicht ein Spieler habe Normalform erreicht. Nicht ein einziger.
Viel Zeit bleibt nicht für die Reparatur. Am Sonnabend, bei der  „TÜV-Prüfung“ in der Flensburger Campushalle, muss die Drehzahl den roten Bereich erreichen, um überhaupt noch „unsere minimalen Chancen“ (Serdarusic) aufrecht zu erhalten. Eines ist sich der bediente Meistercoach jedoch sicher: „So schlecht wie am Dienstag können wir nicht noch einmal spielen.“

Johnny Jensen bekam schnell seine zweite Zeitstrafe.

Wesentlich besser war gestern die Laune seines Pendants auf Seiten der SG, Kent-Harry Andersson. Verständlicherweise. Am Vormittag, als bei „intersport“ in Flensburg die Schnäppchen-Jagd in vollem Gange war, saß der schwedische Coach ganz entspannt im Sessel vor dem TV und betrachtete das Video vom Spiel. Und das bereits zum zweiten Mal. Noch in der Nacht, bis drei Uhr morgens, hatte er sich den „tollen Kampf“ seiner Mannschaft via Video gegönnt. „Das erste Mal zum Genießen, das andere Mal zur Vorbereitung“, sagte Andersson, der nur zu gut weiß, dass die erste Schlacht, aber noch nicht der „Krieg“ gewonnen ist. „Vier Tore, das ist im Handball gar nichts“, sagte der 56-jährige Schwede im Hinblick auf das Rückspiel. Wie schnell so etwas geht, hatte er in der Ostseehalle in den letzten zehn Spielminuten am eigenen Leib zu spüren bekommen, als der zwischenzeitliche Acht-Tore-Vorsprung innerhalb kürzester Zeit auf vier Treffer zusammenschmolz. Mit dem  Resultat — 32:28 — konnte er dennoch prima leben. „Die Ausgangsposition könnte schlechter sein“, schmunzelte Andersson: „Lieber plus vier als minus vier.“
Ähnlich sah es Thorsten Storm, der gar von einer Wiedergeburt redete: „Wir sind wieder da. Genau dieses Spiel haben wir gebraucht“, stellte der  SG-Manager erleichtert fest und freute sich über die famose Vorstellung besonders von Torhüter Jan Holpert und Kasper Nielsen. Letzterer meinte: „Nicht alle bei uns haben in Kiel gut gespielt, aber jeder hat super gekämpft. Das war der Unterschied. Und das muss auch am Sonnabend wieder so sein.“ Schließlich verspricht die Kampfansage von Kiels Manager Uwe Schwenker („Wir müssen alles oder nichts spielen“) einen heißen Tanz in der Campushalle. Mit viel Radau und ohne Rabatt.