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Auf dem Zahnfleisch ins Halbfinale

"Es war wie eine Ewigkeit" (Kasper Nielsen), "Bitte nicht nochmal, lieber Gott" (Jan Holpert), "Nicht wieder Karabatic" (Lars Christiansen), "Bitte kein zweites Montpellier" (Glenn Solberg) waren nur ein paar Gedanken, die den Spielern der SG Flensburg-Handewitt in den letzten 12 Sekunden der Partie in der Champions League durch den Kopf gingen. Denn beim Stande von 34:31 hatte der THW Kiel Ballbesitz und konnte mit einem Treffer das Viertelfinale zu seinen Gunsten entscheiden. Dass es am Ende ein 34:32 (13:12) für die Kieler wurde, wischte bei vielen SG-Anhängern wohl das Montpellier-Trauma und die Erinnerung an den damaligen Sekunden-Tod weg.
THW-Trainer Zvonimir "Noka" Serdarusic sprach diesbezüglich nach der Partie von einer Blockade im Kopf seiner Spieler. "In 12 Sekunden kann vieles passieren", sagte der enttäuschte Coach und konnte nicht erklären, wieso seine Mannschaft sich bei der letzten Aktion so schwer tat. Denn mit zwei Mann in Überzahl - beim THW war Pelle Linders für Torhüter Mattias Andersson gekommen und bei der SG hatte Blazenko Lackoviv eine Zeitstrafe erhalten - gelang es den Kielern nicht, sich in eine aussichtsreiche Wurfpostion zu spielen. Im Gegenteil, einen Pass warf THW-Kapitän Stefan Lövgren, aus mehr oder weniger unbedrängter Situation, ins Seitenaus.

Johnny Jensen machte Kent-Harry Andersson "wahnsinnig".

"Daraufhin hat Lars Christiansen nichts besseres zu tun, als den Ball so schnell wie möglich aufzuheben und auf das leere Tor zu werfen. Ich dachte mich trifft der Schlag, als ich das sah. Nicht auszudenken, wenn jemand den Wurf geblockt hätte und Kiel vier Sekunden vor Schluss noch einmal in Ballbesitz gekommen wäre", schilderte SG-Co-Trainer Bogdan Wenta nach dem Spiel die Dramatik der letzte Situation. "Das Tor war doch leer", so der Däne eiskalt, als sei es das normalste der Welt, in so einer Situation und bei so einem Spielstand, aus der eigenen Hälfte aufs Tor zu werfen.
Was dann folgte, war grenzenloser Jubel in der restlos ausverkauften Campushalle. Bis dahin hatten sowohl die SG- als auch die THW-Fans ein Wechselbad der Gefühle durchlebt. "Wir haben ganz stark angefangen und uns auf 10:6 absetzen können", beschrieb SG-Spieler Glenn Solberg das Geschehen im ersten Durchgang. "Dann haben wir zwei Tempo-Gegenstöße leichtfertig vergeben und den THW Mitte der ersten Halbzeit wieder ins Spiel gebracht." So sah es auch Serdarusic, der fortan eine aufopferungsvoll kämpfende Kieler Mannschaft sah, die sich Tor um Tor rankämpfte und an diesem Nachmittag deutlich machte, dass sie an ihre Chance glaubte und auf Wiedergutmachung bedacht war. "Wir wussten, dass wir hier bestehen könnten, wenn wir die SG mit druckvollem Spiel beschäftigen würden. Meine Mannsschaft hat dementsprechend aufopferungsvoll und couragiert im Angriff und in der Deckung gearbeit", so Serdarusic.
Das konnte SG-Trainer Kent-Harry Andersson nur bestätigen. "Meine Mannschaft war nachher sehr kaputt. Das Spiel war so wie ich es erwartet hatte", sagte der Schwede, der am Spieltag morgens um 9 Uhr fast wahnsinnig geworden wäre, als er einen Anruf von Johnny Jensen bekam. "Er hatte sich die ganze Nacht übergeben und auch direkt vor dem Spiel musste er sich nochmal übergeben. Um so erstaunlicher, wie stark er gespielt hat", so die Analyse des Trainers.

Lars Christiansen machte Bogdan Wenta "verrückt".

Aber auch Jensen konnte nicht verhindern, dass vor allem Nikola Karabatic deutlich machte, dass er wohl zur Zeit "der beste Handballer der Welt" (Andersson) ist. Denn der Franzose im Dienste der Kieler war mit insgesamt zehn Treffern nicht nur der erfolgreichste Schütze seiner Mannschaft, sondern untermauerte auch in der Deckung, dass er trotz seines noch jungen Alters (21 Jahre) schon zu den ganz großen gehört. So kam es dann auch, dass der THW ab der 26. Minuten beim 14:13 in Führung ging und beim 33:29 (58.) erstmals den Vier-Tore-Vorsprung der SG nicht nur egalisierte, sondern auch durch die auswärts mehr erzielten Treffer, zu seinem Vorteil umgewandelt hatte.
Dass es am Ende für die Zebras nicht reichte, erklärte Serdarusic mit der "schlechtesten Saisonleistung im ersten Spiel". Am Ende gewann die glücklichere Mannschaft. Und dazu gratuliere ich Kent-Harry und der SG", sagte der Kieler Coach. SG-Manager Thorsten Storm konnte auch eine Stunde nach dem Spiel noch nicht begreifen, dass die SG im Halbfinale steht. "Wenn der THW den DHB-Pokal beim Final-Four in Hamburg und wir die Champions League gewinnen, ist doch alles in Ordnung", so Storm, der dann noch hinzufügte: "Kiel fährt nach Hamburg. Wir fliegen ab Hamburg." Auf wen er gerne im Halbfinale (25./26. März, 1./2. April) treffen würde, ließ der Manager offen. Ihm sei es egal, wen die Mannschaft morgen um 11 Uhr in Wien zugelost bekommt. "Die Mannschaft möchte gerne Barcelona."
Daraus wird allerdings nichts. Zwar gewann die Mannschaft um Lars Krogh Jeppesen gegen Portland San Antonio 26:23. Aber das reichte nach der 21:25-Hinspielniederlage nicht, um ins Halbfinale einzuziehen. Die weiteren Teilnehmer im Halbfinale sind Veszprém, die sich gegen Montpellier durchsetzten, und BM Ciudad Real, die Pivovarna Celje ausschalteten.