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Granitas Kaunas

Trainer Valdemaras Novickis.

Wenn man die müden Fakten liest, möchte man vermuten, dass Kaunas eine alte Stadt ist. 1408 gegründet hat sich die Ansiedlung an der Memel mit 374 000 Einwohnern nach der Hauptstadt Vilnius zur zweitgrößten Metropole Litauens gemausert. Eine nette Altstadt mit architektonischen Monumenten prägt ebenso wie Museen, Theater, Kunst-Galerien oder Kirchen die Szenerie. Aber Kaunas ist auch eine junge Stadt. Nicht zuletzt wegen der sieben Universitäten mit zusammen 35 000 Studenten.
Dieser „jugendliche Elan“ überträgt sich auf den Handball. Kreisläufer Modestas Bakaitis ist mit 25 Jahren tatsächlich schon der „Methusalem“ des Renommier-Klubs RK Granitas. Neben Studenten stehen traditionsgemäß auch viele Soldaten im Team. Aus einem einfachen Grund: Das Verteidigungsministerium unterstützt die Handballer aus Kaunas schon seit Jahren. Im Gegenzug erreicht Litauen respektable Platzierungen bei den Militär-Weltmeisterschaften. 2002 kehrten etliche Granitas-Akteure mit einer Silbermedaille zurück.

Einer von zwei Nationalspielern: Linkshänder Mindaugas.

Eine gewisse Jugendlichkeit zeigt sich auch in der Vereinschronik: Sie ist nämlich noch recht kurz. Der RK Granitas Kaunas wurde erst 1973 gegründet, avancierte aber schon bald mit zwei zweiten und einem dritten Platz zu den Großen des Sowjet-Handballs. Der Höhepunkt 1987: der Gewinn des IHF-Cups, der heute als EHF-Pokal firmiert. Damals biss sogar der deutsche Teilnehmer Gummersbach im Halbfinale bei den Litauern auf „Granit“ und verlor 12:22. Seit der Unabhängigkeit der Baltenrepublik untermauert man die Vormachtstellung mit einem „Abo“ auf die nationale Meisterschaft. „Bislang 15 Mal“, berichtet Manager Algis Mikucionis nicht ohne Stolz. Kein Wunder, dass sich der Ausnahme-Klub neben der Zehner-Liga Litauens auch in der „Baltic League“ mit den besten Teams aus Estland, Lettland sowie jeweils einem Vertreter aus Russland und Weißrussland misst.
Als Serien-Meister nehmen die Memelstädter regelmäßig an der Champions League teil. Seit der Saison 1995/96 – damals war der THW Kiel eine Nummer zu groß – schafften sie aber nicht mehr den Einzug ins Achtelfinale. Häufig war schon in der Qualifikation Endstation. So lösten die beiden Siege gegen die Belgier aus Tongeren beim litauischen Talentschuppen, der in Valdas Novickis und Modestas Bakaitis seine Haupttorschützen hatte, einige Freude aus.

Die Halle in Kaunas fasst 4000 Zuschauer.

Auch im letzten Jahr erreichte Granitas die Gruppenphase, belegte hinter den übermächtigen Ungarn aus Veszprém und dem TBV Lemgo den dritten Platz. Die Vergleiche gegen die Ostwestfalen hatten aufgrund einer Partnerschaft zwischen dem Kreis Lippe und Kaunas einen politischen Reiz, auf dem Spielfeld waren die Rollen aber klar vergeben. Trotz einer äußerst offensiven baltischen Deckung gingen beide Spiele klar an den TBV. Über die aktuelle Leistungsstärke des RK Granitas lässt sich nur spekulieren; denn in Litauen beginnt die neue Saison erst am 15. Oktober.
Große Sprünge kann man sich im litauischen Handball, der klar im Schatten von Fußball und vor allem Basketball steht, nicht leisten. „Unsere Besten gehen Jahr für Jahr in den Westen“, klagt Manager Algis Mikucionis. Vigindas Petkevicius (ehemals SC Magdeburg), Arunas Vaskevicius (Concordia Delitzsch) oder Andrius Stelmokas (FA Göppingen) lernten das Handball-ABC in Kaunas. Erst kurz vor dem Saisonstart hieß es auch für Nerijus Kesilis (TV Korschenbroich, Regionalliga West), Vaidotas Grosas (zweite spanische Liga) und Linas Kalasauskas (Island) „Go West“. Aus dem aktuellen Nationalkader Litauens spielen im Moment nur noch der baumlange Linkshänder Mindaugas Veta und der Trainersohn Valdas Novickis, ein Halblinker, in Kaunas.

Einmal mehr muss der RK Granitas auf seine Nachwuchsarbeit bauen. Mit diesem Problem kämpft Coach Valdemaras Novickis, 1988 mit der Sowjetunion Olympiasieger, aber schon seit zehn Jahren. So lange ist er Trainer in Kaunas. Und daran wird sich wohl auch so schnell nichts ändern. Die Finanzen sind nun mal nicht üppig. Deshalb erfolgte vor zwölf Monaten die 2800-Kilometer-Tour nach Lemgo mit dem Bus, unterbrochen nur durch einen "Einkaufs-Stopp" in Berlin. Diesmal wählte man das Schiff, um in Kiel vom SG-Bus abgeholt zu werden.
Immerhin: Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es. Die Stadt Kaunas plant sich zu ihrem 600-jährigen Jubiläum selbst zu beschenken. Der Neubau einer Halle mit einem Fassungsvermögen von 8000 Zuschauern ist im Gespräch. Die alte Halle, eingekesselt von Fußball-Stadion und Akademie für Körperkultur, bringt es inzwischen auf fast 70 Jahre. Allerdings füllten diesen Komplex bislang nur die Basketballer. Die Handballer begrüßten 2004 gegen Lemgo gerade einmal 500 Zuschauer.

Der RK Granitas Kaunas in der Saison 2005/2006. Fotos: EHF (1), Jörg Hagemann (3).