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Tag des Abschieds: Handball war Nebensache

Mit einem 36:26 (20:11)-Sieg gegen Delitzsch und Platz zwei hat die SG Flensburg-Handewitt die Saison in der Handball- Bundesliga beendet. Beim Saisonfinale stand aber die Verabschiedung von vier Akteuren im Mittelpunkt.
Das war’s. Am Sonnabend um kurz nach halb fünf fiel für die Handballer der SG Flensburg-Handewitt der letzte Vorhang der Bundesliga-Saison 2005/2006. Eine lange und Kräfte raubende Serie hatte mit einem 36:26 (20:11)-Heimsieg gegen Concordia Delitzsch ein gutes Ende gefunden. Müde und erleichtert, aber keinesfalls euphorisch verabschiedeten sich Holpert und Co. f*r einige Zeit von ihren Fans – im Wissen, dass sie auf ihrer „Deutschland-Tour“ einige Etappensiege errungen hatten, jedoch in der Gesamtwertung wieder einmal dem THW Kiel das „gelbe Trikot“, sprich die deutsche Meisterschaft, hatten überlassen müssen.
„Es war eine gute Saison“, fasste Torhüter Dan Beutler die erste titellose Spielzeit seit drei Jahren zusammen. Aber eine ohne die ganz großen Höhepunkte, merkte Jan Holpert an. Dass am Ende in der Bundesliga dank der Hilfe ihrer „Kieler Freunde“ (Trainer Kent-Harry Andersson) – diese besiegten den VfL Gummersbach – noch Platz zwei und damit die siebte Vizemeisterschaft der Vereinshistorie heraussprang, interessierte nur am Rande.
Wie auch das letzte Spiel gegen Delitzsch, zumindest was das Sportliche anbetraf. Okay, da waren die beiden im Schongang gewonnenen Heimpunkte, das schöne Kempa-Tor von Sprem, die drei in Folge parierten Siebenmeter von Holpert und die sehenswerte Breakdance-Einlage von „Raupe“ Lauritzen an der Mittellinie – doch das eigentliche Spektakel fand schon vor dem Anpfiff statt.

Glenn Solberg wurde zusammen mit Sohn Magnus verabschiedet.

„Time to say goodbye“ – nacheinander waren vier Spieler in die Campushalle gerufen und dort von den 6200 Zuschauern lautstark gefeiert worden, die die SG verlassen werden: Linksaußen Goran Sprem, der nicht länger hinter Lars Christiansen auf der harten Bank schmoren will und der „zu 99 Prozent“ zu einem anderen Bundesligisten wechseln wird. Spielmacher Glenn Solberg, der auf seinen geschundenen Körper hört und seine glanzvolle Karriere in seiner norwegischen Heimat ausklingen lassen will. Und Co-Trainer Bogdan Wenta, der sich nach sechs Jahren SG der großen Herausforderung als Cheftrainer des SC Magdeburg stellt. Und schließlich Christian Berge.
Als der 32-Jährige, der seit 1999 den Aufstieg der SG entscheidend mitgeprägt hatte, mit seinem Sohn Emre auf dem Arm und zu den Klängen des Tina-Turner-Klassikers „Simply the best“ die Halle betrat, bekam nicht nur der Norweger feuchte Augen. „Es ist ein trauriger Tag für mich. Die SG und ihre Fans waren wie eine Familie für mich. Ich werde sie nie vergessen“, sagte Berge und bedankte sich noch einmal für die große Anteilnahme bei seinem Kampf gegen die Krebskrankheit. Die großen Strapazen der Bundesliga will der Spielmacher seinem Körper nicht mehr zumuten, er schließt sich dem dänischen Erstligisten Aarhus GF an.
Dagegen wird Joachim Boldsen nun doch seinen noch ein Jahr laufenden Vertrag bei der SG Flensburg-Handewitt erfüllen. Noch am Sonnabend sah es nach einem weiteren Abschied aus.  Gestern sagte der 28-J*hrige jedoch: „Ich bleibe in Flensburg. Ich will weiter ganz oben mitspielen und werde alles dafür geben, dass wir nicht noch eine Saison ohne Titel erleben.“ Boldsen hatte zuvor mit dem spanischen Club CB Ciudad Logrono verhandelt, doch offenbar keine Einigung erzielen können. 
Sehr zur Freude von Trainer Andersson, der nun etwas beruhigter seinen Urlaub in Schweden antreten kann. Viel lesen und viel golfen wolle er, und an eines ganz bestimmt nicht denken: Handball!

Joachim Boldsen bleibt.

Der „Traktor“ hat seinen Schlingerkurs beendet. Joachim Boldsen will seinen bis zum Sommer 2007 laufenden Vertrag mit der SG Flensburg-Handewitt nun doch erfüllen und schließt selbst eine Verlängerung beim Vizemeister nicht aus. „Ich will alles geben, um mit der SG einen Titel zu holen. Noch so ein Jahr darf es nicht geben“, sagte der Rückraumspieler, den wir gestern auf Island erreichten, wo er sich derzeit mit der dänischen Nationalmannschaft aufhält.
Noch am Wochenende standen die Signale auf Abschied, und mancher erwartete, dass neben Solberg, Berge, Sprem und Wenta auch Boldsen zum formellen Lebewohl gebeten würde. Tatsächlich war sich der 28-Jährige  da noch nicht sicher, sprach schon in der Vergangenheitsform von seiner „schönsten Zeit als Handballer“, blickte aber andererseits auf eine Saison zurück, in der seine Unzufriedenheit gewachsen war: „Ich habe keine Lust, nur Abwehr zu spielen. Im Angriff hatte ich ja nie eine richtige Chance bekommen.“ Das war ein Grund für Boldsens Flirt mit dem spanischen Erstliga-Aufsteiger CB Ciudad Logrono, nachdem ihm Thorsten Storm am 26. Mai überraschend die Freigabe angeboten hatte. Der Manager wollte endlich klare Verhältnisse und ein Ende der Turbulenzen, die zweifellos mit ein Grund dafür waren, dass die SG ihr Potenzial nicht immer ausschöpfte.
Ein unzufriedener Sprem, ein Lijewski  mit Wechselgelüsten und ein immer mal wieder nörgelnder Boldsen — das war mehr, als die Mannschaft auf Dauer verkraften konnte. Storm war zu der Überzeugung gelangt: „Es hat keinen Zweck, ihn zu zwingen. Wenn Joachim bleibt, soll er dies aus voller Überzeugung tun.“ Mit 25000 Euro setzte Storm die Ablösesumme so niedrig an, dass sie für keinen Verein, der ernsthaft Verstärkung sucht, ein Hindernis dargestellt hätte: „Das ist nicht zu viel für einen Spieler seiner Qualität.“
Doch Boldsen wurde sich mit Logrono nicht einig. „Man braucht mehr Zeit, um ordentliche Verträge zu machen“, sagte der Däne, der in diesen Tagen aber wohl auch den Wert von Vereinbarungen erkannte, auf die man sich — wie in Flensburg üblich — verlassen kann. Und inzwischen sieht er auch seine sportliche Zukunft bei der SG wieder rosiger: „Ich will weiter ganz oben mitspielen. Und für mich gibt es neue Möglichkeiten. Ich glaube, dass Vranjes und ich als unterschiedliche Spielertypen die Rückraummitte gut ausfüllen können.“ Möglicherweise sogar über die kommende Saison hinaus: „Vielleicht bleibe ich ja in Flensburg. Im Handball ist alles möglich“, meinte Boldsen — mit einer Einschränkung: „In der Bundesliga würde ich nie zu einem anderen Verein gehen.“ Was die Spanien-Sehnsucht angeht, verspricht Boldsen Ruhe: „Da passiert ein Jahr nichts. Während einer Saison würde ich niemals wechseln.“ Zum Schweiger wird der Ehemann in spe — am 24. Juni ist Hochzeit mit Nancy — nun freilich nicht: „Meine Meinung werde ich  weiterhin sagen, wenn es etwas zu sagen gibt.“

Die Fans bedankten sich bei Christian Berge.

Er holte tief Luft, nahm seinen Sohn Emre auf dem Arm und ging den Weg, den er zuvor unzählige Male gegangen war. Eigentlich war es wie immer, wenn Christian Berge aus dem Dunkel der Katakomben heraus in das Rampenlicht der Campushalle  trat. Der aufbrausende Jubel auf den Rängen, die Gänsehaut-Atmosphäre, der Adrenalinschub. Und doch war dieser Gang am Sonnabendnachmittag ein besonderer: Zum letzten Mal lief Berge als Spieler der SG Flensburg-Handewitt ein. „Das war knallhart, hier heute in die Halle zu kommen. Das ging an die Nieren“, sagte Berge mit feuchten Augen. Nach neun Jahren wird der 32-jährige Norweger den Club, der zu seiner zweiten Familie geworden war, in Richtung Aarhus GF verlassen. „Die SG wird immer einen festen Platz in meinem Herzen haben“, sagte Berge. Unvergessen die schönen Momente  – drei Pokalsiege, die Meisterschaft und die zu seinen Gunsten organisierte Handball-Gala. Unvergessen die Negativ-Erlebnisse – das Skandalspiel von Ciudad Real 2002 („Sportlich meine bitterste Stunde“) oder die verpasste Chance („darüber ärgere ich mich noch immer“) im Champions-League-Finale gegen Celje.
„Das ist vorbei“, sagt Berge. Die Belastungen bei einem europäischen Topclub sind für seinen Körper nach der Krebstherapie nicht mehr tragbar. In Aarhus will er aber wieder „so oft und so gut wie möglich“ spielen. Er wird beim dänischen Erstligisten das Fitnesstraining übernehmen, vor Ort den Trainerschein machen und in die „Lehre“ bei seinem ehemaligen Coach und Freund Erik Veje Rasmussen gehen. Sein Wunsch und Ziel: einmal als Trainer bei einem Spitzenverein zu arbeiten. Sein Traum: dies bei der SG zu tun. „Das ist noch Zukunftsmusik“, sagte Berge mit einem Lächeln. Sicher sei, dass er noch häufig die Flensburger Campushalle betreten werde. Wenn nicht als Trainer, dann eben als Zuschauer.