Stripes
Stripes
Archiv

Magdeburg machtlos gegen den SG-Endspurt

Die SG Flensburg-Handewitt hat das Schlüsselspiel der Handball-Bundesliga um einen Platz in der Champions League gegen den SC Magdeburg mit 40:30 (15:16) gewonnen. Dabei spielte der Vizemeister zum Schluss wie im Rausch.
Wenn die SG Flensburg-Handewitt weiterhin solche Heimspiele liefert, dürfte die Campushalle auch nach der geplanten Erweiterung schnell ausverkauft sein. Wie schon gegen Nordhorn und Hamburg kamen die 6300 Fans auch beim 40:30 (15:16) gegen den SC Magdeburg auf ihre Kosten und wurden mit allem verwöhnt, was der Handball zu bieten hat: So viel spielerische Klasse, so viel Kampf, so viel Spannung und schließlich so viel Freude — bei den Siegern. Die dürfen sich nun auch in der kommenden Saison auf die Champions League freuen. „Zwei Punkte brauchen wir noch“, mahnte  zwar Trainer Kent-Harry Andersson. Doch selbst wenn diese in Kronau-Östringen und Gummersbach nicht geholt werden, bleibt am letzten Spieltag noch das Heimspiel gegen Absteiger Delitzsch. Da wird nichts mehr anbrennen.

Dan Beutler steigerte sich in große Form.

Den Magdeburgern blieben der Frust und die Selbstkritik. „Das war so ein typisches Flensburg-Spiel. Wenn du nicht von der ersten bis zur letzten  Minute konzentriert bist, geht es so aus“, meinte  Stephan Kretzschmar, der nach etlichen Partien in Förde- und Campushalle weiß, wovon er spricht. Etwas drastischer äußerte sich sein Trainer Githa Licu: „Wer blöd ist, muss bezahlen.“ Ihn ärgerte, dass seine Mannschaft nach 40 starken Minuten „leider Linie und Kopf verloren“ hatte.
Die Gäste hatten sich einiges ausgerechnet gegen den Vizemeister, der so offensichtlich angeschlagen war: ausgebrannt nach dem K.o. im Titelrennen, erneut erwischt vom Verletzungspech und geschwächt durch scheinbar bröselnden Zusammenhalt in der Mannschaft. Doch das alles war nach den letzten 20 Minuten der Partie vergessen. SG-Trainer Kent-Harry Andersson lobte „eine 100-prozentige Einstellung“ seines Kollektivs, in dem diesmal auch die Spieler aus dem zweiten Glied den Stammkräften in nichts nachstanden. Im Gegenteil. Jan-Thomas Lauritzen und Kasper Nielsen, durchaus nicht unumstritten, hatten maßgeblichen Anteil daran, dass Magdeburg doch noch unerwartet souverän geschlagen werden konnte. Nielsen richtete mit seiner Energie die anfangs instabile Abwehr auf, Lauritzen war ein glänzender Vertreter des  verletzten Lijewski.
Der Pole war ebenso wie Kapitän Sören Stryger trotz erheblicher Schmerzen in der Startaufstellung aufgelaufen, was Manager Thorsten Storm als „wichtiges Signal für alle“ wertete. „Profisport kann auch mal weh tun. In der Regionalliga hätten sie sicher nicht gespielt. Aber für das Ziel Champions League haben beide alles versucht.“

Johnny Jensen

Stryger hielt sogar 55 Minuten durch und erlaubte so Lauritzen, zu zeigen, was er im rechten Rückraum kann. „Ich bin ja kein echter Außen. Es ist leichter, wenn ich nicht zwischen den Positionen hin und her wechseln muss“, meinte der Norweger.
Verlass war auch auf die etatmäßigen Leistungsträger. Lars Christiansen und Blazenko Lackovic unterstrichen ihre Qualitäten als Torjäger. Schlussmann Dan Beutler schuf mit Glanzparaden (darunter zwei Siebenmeter) in der zweiten Halbzeit die Voraussetzung für den unwiderstehlichen SG-Endspurt. Ganze sieben Minuten brauchten die Flensburger, um einen 20:21-Rückstand (41.) mit sieben Treffern in Folge in die Entscheidung zu ihren Gunsten  umzubiegen. Danach war alles ganz leicht: Mit der „Welle“ und stehenden Ovationen begleitete ein restlos begeistertes Publikum die Schlussphase.

Retter aus der zweiten Garde

Angesichts der kollektiven Glanzleistung gegen Magdeburg fällt es schwer, bei der SG Flensburg-Handewitt den Spieler des Tages herauszufiltern. Doch zwei Akteure verdienten sich ein Sonderlob. Jan-Thomas Lauritzen und Kasper Nielsen, die als so genannte „Ergänzungsspieler“ eine nicht immer dankbare Rolle ausfüllen, zeigten, wie wertvoll sie sein können.
Der 32 Jahre alte Norweger war für Trainer Kent-Harry Andersson gar „unser wichtigster Spieler“. Lauritzen übernahm die Linkshänder-Position des tapferen Marcin Lijewski, der sich über die ersten Minuten quälte, dann aber doch wegen seines geschwollenen Knies passen musste.

Jan-Thomas Lauritzen

Fünf Tore, fünf Anspiele, eine tolle Abwehrleistung gegen den SCM-Scharfschützen Karol Bielecki — es war eine tadellose Partie, die Lauritzen als sein „vielleicht bestes Spiel“ im SG-Trikot bezeichnete. Das schafft Selbstvertrauen bei dem stillen Norweger, der nach dem Ausscheiden aus der Champions League in die Kritik geraten war. Die zweite Garde der SG sei zu schwach, um mit den ganz Großen mitzuhalten, hieß es. „Das tat weh“, meinte Lauritzen. „Ich stelle mich der Kritik, wenn ich spiele, aber gegen Ciudad hatte ich ja kaum gespielt.“ Inzwischen hat sich der zum Jahreswechsel aus Nettelstedt gekommene Rückraumspieler mit den SG-Verantwortlichen ausgesprochen. „Es ist alles geklärt. Alles passt in diesem Verein, meine Familie und ich fühlen uns wohl in Handewitt“, sagt Lauritzen.
Ebenso wie der Norweger musste auch Kasper Nielsen durch ein Tief gehen. Gegen Magdeburg war der Däne der maßgebliche Faktor für die Stabilisierung der Flensburger Abwehr, die zunächst ein wenig zu freundlich mit den Magdeburger Angreifern umgegangen war. Mit dem robusten Dänen kam Aggressivität in die Defensive. Vorbei war es mit den leichten Toren für die Gäste, endlich lief das Konterspiel der SG. „Für mich war Kasper einer unserer Matchwinner“, lobte Andersson.

Die Analyse

Michael Knudsen am Kreis

Lange hatte die SG Flensburg-Handewitt gegen den entschlossen wirkenden SC Magdeburg den erwartet schweren Stand. Nach der anfänglichen Führung lief der Vizemeister ständig einem Rückstand hinterher, wofür vor allem eine indisponierte Abwehr verantwortlich war. Die SG bekam den Magdeburger Kreis, an dem sich Sigurdsson und Theuerkauf abwechselten, nicht in den Griff. Auch die Rückraumspieler der Gäste wurden kaum attackiert, so dass Abati, Tkaczyk, Bielecki und Vugrinec aus viel zu kurzer Distanz feuern durfte. Da hatte Jan Holpert, der im SG-Tor begann, wenig auszurichten. Das Angriffsspiel der Gastgeber konnte sich allerdings von Beginn an sehen lassen. Bis zur 41. Minute  dauerte die Zitterpartie. Dann vernagelte Dan Beutler, unterstützt durch eine nun endlich funktionierende Abwehr sein Tor. Magdeburg traf sieben Minuten lang nichts mehr und wurde in dieser kurzen Zeit von einer Flensburger Gegenstoßwelle überrollt. Von 20:21 marschierte die SG zum 27:21 (48.) — die vorentscheidenden Tore erzielten Nielsen, Christiansen und Lackovic. Der Rest war ein rauschendes Handballfest, in dem der SC Magdeburg ohne jede Chance unterging.

Am Rande notiert

Goalgetter Lars Christiansen

Wellness-Wette: Blazenko Lackovic und Freundin Nikolina winkt ein Luxus-Wochenende. Der Kroate hatte  mit Sven Olsen, Vorsitzender des SG-Wirtschaftbeirats, eine Wette laufen. „Wie viele Tore wirfst du gegen Magdeburg?“, fragte Olsen vor einigen Tagen. „Neun!“, antwortete Lackovic. „Acht reichen“, sagte Olsen und bot an, dass er dafür einen Wellness-Aufenthalt im Fünf-Sterne-Hotel Meierhof spendieren würde. Auf den großzügigen Gegeneinsatz — Lackovic wollte sogar sein Auto setzen —  verzichtete er. Am Ende wurden es sieben Lackovic-Treffer, und Olsen drückte ein Auge zu. „Er hat trotzdem gewonnen, man muss ja auch die tollen Anspiele auf Christiansen berücksichtigen.“
Hallenpläne: Rund fünf Millionen Euro soll der Umbau der Campushalle kosten, den SG-Präsident Frerich Eilts am liebsten schon im Frühsommmer 2007 beginnen und in sechs Monaten realisieren will. Jetzt soll ein SG-interner Bauausschuss alle  Details klären. Wichtigster Punkt ist natürlich die Finanzierung, außerdem geht es um die Gestaltung des zusätzlichen Raumes. „Bis zu 9000 Plätze sind möglich“, verriet Eilts.

Glenn Solberg

Freundschaft: Sigfus Sigurdsson gehörte zu den auffälligsten Figuren der Partie am Sonnabend. Mit allen Mitteln bekämpfte Magdeburgs Kreisläufer und Abwehrrecke die SG-Spieler und brachte das Publikum immer wieder in Wallung. Hinterher jedoch nahm der knorrige Isländer alle Flensburger in den Arm, sprach zu jedem ein paar freundliche Worte. Und Joachim Boldsen überraschte mit der Aussage: „60 Minuten ist Krieg. Das ist normal. Aber Sigfus ist okay. Er ist mein Freund.“