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Gewagtes Spiel: Wieder glückt der SG die Wende

Nach dem Chaos der Zauber-Handball: Beim 36:30 (16:18)-Sieg gegen den HSV Hamburg bot die SG Flensburg-Handewitt beste Unterhaltung.
Wenn dann doch alles gutgegangen ist, lässt es sich mit einem Drama entspannt umgehen. Kent-Harry Anderssons Humor hatte in der Bundesliga-Partie gegen den HSV Hamburg keinen Schaden daran genommen, dass seine Mannschaft sich zwei Wochen nach dem Nordhorn-Krimi ein neues Vabanque-Spiel in eigener Halle leistete. Wie lange geht das gut? „Ich hoffe, noch zwei Jahre — solange ich hier Trainer bin“, antwortete Andersson und meinte dies natürlich nicht wirklich so.

Der Auftakt war chaotisch für die SG.

Bevor sich die SG Flensburg-Handewitt aufmachte, den HSV mit 36:30 (16:18) zu bezwingen, löste sie bei ihren Fans und auch bei ihrem Trainer Entsetzen aus. Gern hätte sich Andersson die ersten 20 Minuten am Sonnabend erspart: „Das war peinlich für die Mannschaft und für mich“, meinte der Schwede. 5:13 stand es und ein Desaster schien sich anzubahnen.
Auf der Platte herrschten zu dieser Zeit chaotische Zustände. Kapitän S*ren Stryger war durch ein übles Foul von Pascal Hens schon nach zwei Minuten eliminiert worden. Marcin Lijewski war gerade von der Platte gehumpelt, Jan-Thomas Lauritzen an seine Stelle gerückt. Mangels Linkshändern fand sich plötzlich Joachim Boldsen auf Rechtsaußen wieder. Die Auszeit war schon verschossen — und noch nichts war von einem Plan zu sehen, wie dieser Acht-Tore-Rückstand gegen die Hamburger aufgeholt werden sollte. Die Einstellung der SG-Spieler war alles andere als einer Spitzenmannschaft würdig: „Küsschen links, Küsschen rechts — so wie man am Montag morgen zur Arbeit geht“, ärgerte sich Manager Thorsten Storm. Glenn Solberg hatte die Erklärung für den müden Beginn: „Das hat mit dem Kopf zu tun. Wir wollten Meister werden, das ist nach dem Spiel in Kiel nicht mehr möglich. Da ist es schwierig, die Spannung zu erhalten.“
Dennoch wurde alles gut. Nach dem 6:14 begann die Aufholjagd, die sich zunächst zäh anließ, weil die Gäste SG-Tore sehr eindrucksvoll über die schnelle Mitte konterten. Doch allmählich setzten sich die Umstellungen bei den Flensburgern durch. Christian Berge brachte Ordnung in den Angriff, Joachim Boldsen würzte ihn mit einem gehörigen Schuss Aggressivität, und Goran Sprem bekämpfte seinen Gegenspieler Stefan Schröder entschlossener als zuvor Lars Christiansen. Schließlich gab  Dan Beutler, der im SG-Tor Jan Holpert abgelöst hatte, mit spektakulären Paraden die Signale, in welche Richtrung sich dieses „komische Spiel“ (Andersson) nun entwickeln sollte.
Den Trainer erkor Storm zu einen weiteren Matchwinner: „Er hat in der Pause die richtigen Worte gefunden. Manchmal kann ein ruhiger Mensch auch etwas lauter werden.“
In der zweiten Hälfte ging dann alles ganz schnell. Mit der ersten Flensburger Führung zum 22:21 (37.) durch den nun glänzenden Lackovic war Hamburg geknackt. Die Gala in der Campushalle störten die Gäste jetzt nicht mehr durch allzu intensive Bem*hungen in der Abwehr. In der 50. Minute (31:25) war die Partie entschieden.
Rätsel gibt weiterhin der Fall Marcin Lijewski auf. Zwar legte der Pole, dem Abwanderungspläne nachgesagt werden, mit unermüdlichem Einsatz und sechs Treffern ein sportliches Bekenntnis zur SG ab. Ein verbales wollte er nicht folgen lassen. „Ich habe Vertrag bis 2009. Ansonsten kein Kommentar“, anwortete er genervt auf die Frage nach seiner Zukunft. Die steht auch bei Goran Sprem noch in den Sternen. Einen Verein hat der kroatische Linksaußen noch nicht, dafür aber ein Stück Genugtuung: „War schön, dass ich die Gelegenheit hatte zu zeigen, dass es ein Fehler ist, mich gehen zu lassen.“
Da schwelen Unruheherde, die man angesichts des extremen Restprogramms in den Griff bekommen muss. Schon morgen geht es nach Lemgo, voraussichtlich ohne Rechtsaußen Sören Stryger, dessen Schulterverletzung sich wieder verschlimmert hat, und Rückraumspieler Kasper Nielsen, der mit einer Risswunde am Fuß zehn Tage ausfällt.

Spieler des Tages: Beutler und Boldsen

Noch am Donnerstag hatte Dan Beutler mit einer Erkältung das Bett gehütet. Am Sonnabend verdiente sich der 28 Jahre alte Torhüter einmal mehr in dieser Saison das Prädikat Spieler des Tages. Nach elf Minuten war Beutler für den glücklosen, weil auch von seinen Mitspielern im Stich gelassenen Jan Holpert gekommen und begann, den Hamburgern langsam, aber umso schmerzhafter den Zahn zu ziehen. 17 Paraden standen am Ende für den Schweden zu Buche — Hens & Co. verzweifelten auch an Beutler, der immer mehr an Ausstrahlung gewinnt. Ein kleiner Fauxpas unterlief ihm dann doch: Nach dem gehaltenen Siebenmeter gegen Pungartnik freute er sich ein wenig zu früh und überschwänglich und fing sich den Nachwurf von Schröder. Aber Steigerungsmöglichkeiten darf man sich ja vorbehalten.
Zu den Matchwinnern gehörte auch Joachim Boldsen, der wieder zeigte, warum er „Traktor“ genannt wird. Unwiderstehlich wühlte sich der Däne in die HSV-Abwehr und erzwang die wichtigen Tore. Mit dem Rückraumspieler, der auf halblinks lange für Blazenko Lackovic im Einsatz war, kam Aggressivität und Druck in den SG-Angriff. Typisch Boldsen war sein Kommentar nach dem glücklichen Ende einer Partie die als SG-Drama begann: „Handball macht Spaß, weil so viel passieren kann.“

Die Analyse

Stefan Schröder glänzte an alter Wirkungsstätte.

Martin Schwalb ahnte, dass die sensationelle Acht-Tore-Führung des HSV Hamburg — 14:6 nach 20 Minuten — vergiftet war: „Man führt nicht gegen die Flensburger so hoch, wenn diese top in Schuss sind. Aber die waren ja zu Anfang gar nicht auf dem Parkett.“ Doch dann kam die SG so gewaltig, dass die Gäste in den folgenden 40 Minuten mit 30:16 überrollt wurden. Mit großem kämpferischen Einsatz, aber auch mit mehr taktischer Disziplin leiteten die Flensburger die Wende ein.
Einerseits liefen sie jetzt nach Toren oder Ballverlusten schneller zurück und dämmten das Hamburger Tempospiel ein. Andererseits kamen sie dank einer deutlichen Steigerung in der Abwehr und dank Torhüter Beutler jetzt auch selbst zu Konterchancen. Die gefährlichen Hamburger Außen Jansen und Schröder wurden ebenso kontrolliert wie der gefürchtete Schütze Pascal Hens. Im Feldspiel nutzten sie jetzt die Schwächen in der Hamburger Deckung, die Schwalb schon im ersten Drittel der Partie gesehen hatte: „Die Abwehr hatte mir schon da nicht gefallen.“ Nach der Pause war sie gar nicht mehr da, was die Flensburger „Halben“ Lackovic und Lijewski dankbar nutzten.

Am Rande notiert

Nielsens Missgeschick: Man kann sich nicht nur beim Handballspiel oder -training verletzen. Das musste Kasper Nielsen am Sonnabend erfahren. Der dänische Rückraumspieler fehlte überraschend im Aufgebot gegen den HSV. Nielsen war am Vormittag beim Einkaufen in einem dänischen Supermarkt verunglückt — in einem Moment der Unachtsamkeit war ihm ein Gabelstapler über den Fuß gerollt. Resultat war eine Wunde, die mit mehreren Stichen genäht werden musste und das Muskelpaket zu zehn Tage Pause verurteilt.
Wiedersehen mit „Faxe“: Bis zum Sommer 2001 gehörte Jan-Eiberg Jörgensen zu den großen Publikumslieblingen in Flensburg. Der Linkshänder, der neun Jahre für die SG gespielt und in 318 Partien 1145 Tore erzielt hatte, war am Sonnabend in der Campushalle. Jörgensen hat sich völlig vom Handball verabschiedet, arbeitet in Kopenhagen wieder im ursprünglich erlernten Beruf als Zimmermann und kümmert sich als Vater von zwei Kindern um seine Familie. „Hat sich ganz schön verändert hier“, staunte der 36-Jährige nach dem Besuch der Club-100-Lounge. „Ob das nun alles besser ist, weiß ich nicht. Aber man musste sich ja auch hier entscheiden, ob man Spitze sein will oder Mittelmaß.“ Letzteres, so der Däne wäre auch gefährlich: „Da kannst du ganz schnell weg vom Fenster sein.“