Stripes
Stripes
Archiv

Später Adrenalinschub trägt SG zum Sieg

Um ein Haar wäre die Luft aus dem Gipfeltreffen der Handball-Bundesliga  am Sonnabend in Kiel herausgewesen: Die SG Flensburg-Handewitt stand  gegen die HSG Nordhorn am Rande einer Pleite, rettete dann doch einen 30:29-Erfolg.
Kent-Harry Andersson reagierte etwas angefressen auf die Kritik an seiner Mannschaft. Der Trainer der SG Flensburg-Handewitt fand an dem mit 30:29 (12:12) herbeigekrampften Erfolg über die HSG Nordhorn nicht soviel Negatives wie manch ein Beobachter und stellte fest: „Wir haben gewonnen. Die Zuschauer haben ein spannendes Spiel gesehen und gute Unterhaltung gehabt. Wenn wir mit zehn gewinnen, wird auch gemeckert, weil's langweilig war. Was wollt ihr eigentlich?“
Nun, vielleicht etwas weniger unnötigen Stress, etwas mehr Glanz und insbesondere ein besseres Timing der Mannschaft, was den Einsatz von Aggressivität angeht. Offenbar hatten die SG-Spieler in dieser Hinsicht ihr Pulver im Training unter der Woche verschossen. „Vielleicht war es zu intensiv“, gestand denn auch Andersson. „Wir haben drei Mal über 20 Minuten auf zwei Tore mit sieben gegen sieben gespielt — so etwas hatten wir die gesamte Saison noch nicht. Marcin Lijewski und Blanzenko Lackovic sah man heute die schweren Beine an“, meinte der SG-Trainer.
Immerhin löste die noch in der 54. Minute bei einem 25:28-Rückstand drohende Niederlage einen gehörigen Adrenalin-Schub aus. Der reichte, um die Flensburger in einer turbulenten Schlussphase zum Sieg zu tragen. „Eigentlich unverdient“, wie SG-Kapitän Sören Stryger einräumte, „aber auch toll, dass wir das geschafft haben. Das nehmen wir mit nach Kiel.“

Lars Christiansen: "Nordhorn hat uns überrascht."

Lackovic behielt die Nerven, als sich eineinhalb Minuten vor dem Ende, die Chance zur ersten Führung seit dem 13:12 kurz nach der Pause eröffnete. Der Kroate traf zum 30:29 und dabei sollte es bleiben. Torhüter Dan Beutler — ebenso wie Jan Holpert überzeugend — hielt die Punkte fest, als er Przybeckis darauffolgenden Wurf parierte. Und auch den letzten Angriff Nordhorns, den die Schiedsrichter Geipel Helbig durch eine Fehlentscheidung gegen Christian Berge (Stürmerfoul) einleiteten, überstand die SG glücklich.
Was durchaus zweispältige Gefühle auslöste. „Natürlich bin ich froh über den Sieg, aber auch etwas enttäuscht darüber, dass Nordhorn uns so zusetzen konnte. Eigentlich sind wir besser“, sagt Lars Christiansen, einer der stärkeren SG-Spieler an diesem Tag. „Aber sie haben uns überrascht. Erst nehmen sie das Tempo heraus, dann explodieren sie plötzlich. Damit sind wir nicht klargekommen.“
Die SG-Abwehr fand gegen den von ihrem künftigen Mitspieler Ljubomir Vranjes genial gelenkten Nordhorn-Angriff nie ihren Rhythmus. Die Flensburger kamen gegen Arrhenius, Glandorf und Przybecki häufig genau den einen Schritt zu spät, der den Unterschied macht und suchten insgesamt zu wenig Kontakt zu den HSG-Angreifern. „Nordhorn hat zu leichte Tore gemacht“, sagte Johnny Jensen, „wir mussten für jedes Tor arbeiten.“ Das beherzigte immerhin Lackovic, während Lijewski durch seine Körpersprache bisweilen so wirkte, als ging ihn das Ganze gar nichts an. Beide litten aber auch darunter, das Glenn Solberg nicht seinen besten Tag hatte. Mehr Zug entwickelte der SG-Angriff im letzten Drittel unter Christian Berge.
SG-Manager Thorsten Storm machten die Punkte froh, nicht aber die Darbietung der Mannschaft. „Mit hat heute der Spaß am Handball gefehlt. Dass einige Spieler diese Partie einfach nur so runterspielen und irgendwie schaukeln wollen — so etwas will ich nicht sehen.“

Vranjes weckt die Lust auf die nächste Saison

Nach dem Spiel gegen die HSG Nordhorn erreichte SG-Manager Thorsten Storm eine SMS — Absender Ljubomir Vranjes. „War das okay so?“, fragte der Spielmacher der Gäste. „Es hat gereicht“, simste Storm tiefstapelnd zurück.
Tatsächlich war der kleine Schwede am Sonnabend die auffälligste Figur in der Campushalle — und das nicht wegen seiner 1,66 Meter und den stämmigen O-Beinen. „Man hat gesehen, dass Körpergröße nicht alles ist. Er hat die Ausstrahlung eines Führungsspielers“, erkannte nicht nur Storm. Der 32-jährige Vranjes, der zum letzten Mal im Nordhorn-Dress in seine künftige sportliche Heimat kam, lenkte das Spiel der Niedersachsen eindrucksvoll, bereitete den Flensburgern an diesem Abend erhebliche Sorgen und weckte dadurch gleichzeitig die Vorfreude auf die kommende Saison. „Vranjes war sehr, sehr gut. Es ist schwer für die Abwehr gegen einen so kleinen Spieler. Die SG wird auf der Rückraummitte im nächsten Jahr eine scharfe Waffe haben“, meinte anerkennend Christian Berge, dessen Wechsel in die dänische Liga erst den Weg für den Quirl aus Nordhorn frei machte.

Ljubomir Vranjes überzeugte an zukünftiger Wirkungsstätte.

Ljubomir Vranjes sprühte vor Spielfreude und war von der SG-Deckung nie zu neutralisieren. „Er war zu gut heute“, meinte sein ehemaliger und künftiger Trainer Kent-Harry Andersson. „Er hat Tore gemacht, den Kreisläufer Arrhenius gut eingesetzt und den Halben viel geholfen“, lobte der SG-Coach seinen Landsmann. An den insgesamt 21 Treffern von Arrhenius, Glandorf und Przybecki hatte der 151-fache  Nationalspieler, der selbst vier Tore erzielte, erheblichen Anteil.
Dass Vranjes mit allen Wassern gewaschen ist, demonstrierte eine Szene kurz vor Schluss. Da machte Marcin Lijewski eigentlich gar nichts, jedenfalls nichts Verbotenes — und trotzdem gelang es dem Schweden, irgendwie gegen die Hand des Polen zu laufen und die Situation wie ein Foul aussehen zu lassen. Die Schiedsrichter, die keinen guten Tag hatten, fielen darauf herein und schickten Lijewski auf die Bank.

Die Analyse

Von Beginn an fehlten im Spiel der SG Flensburg-Handewitt das Tempo und die Aggressivität. Von Konterspiel und schneller Mitte war lange nichts zu sehen. Auch die Flensburger Abwehr ging mit der HSG Nordhorn ausgesprochen gastfreundlich um. Bezeichnend, dass es für die SG nur zwei Zeitstrafen gab, die nicht einmal hartem Spiel in der Defensive zuzuschreiben waren. Berge ging für eine Unmutsäußerung, Lijewski wurde von Vranjes „herausgeholt“ (siehe auch Artikel oben). Allzu unbedrängt durfte Nordhorns Spielmacher schalten und walten, allzu frei kamen Linkshänder Holger Glandorf und Piotr Przybecki auf der anderen Rückraumseite zum Wurf. Auch die Achse Vranjes/Kreisläufer Arrhenius konnte die Flensburger Deckung, in der zu wenig Bewegung war, nicht unterbrechen. Der SG gelang es lediglich, die gefürchteten Außen Mathias Franzén und Jan Filip zu neutralisieren.
Im Angriff hatte die SG ein massives Linkshänder-Problem. Marcin Lijewski stand neben sich, Jan-Thomas Lauritzen richtete ebenfalls wenig aus. Blazenko Lackovic hatte so seine Schwierigkeiten gegen die aufmerksame HSG-Abwehr, kam mit nie erlahmendem Kampfgeist aber noch auf eine akzeptable Quote und erzielte nervenstark den alles entscheidenden Treffer zum 30:29.
Matchwinner waren zudem die SG-Torhüter Dan Beutler und Jan Holpert. Beide boten eine starke Leistung und wurden jeweils nur aus psychologischen Gründen ausgewechselt, nachdem sie auf Grund mangelnder Abwehrunterstützung Gegentreffer-Serien hinnehmen mussten.