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Ein Blick in die Schatztruhe

Zwölf Tage vor dem Halbfinale in der Champions League Halbfinale machte sich die SG Flensburg- Handewitt das Leben in der Handball-Bundesliga schwer. Der 31:30 (15:16)-Sieg in HSG Wetzlar kostete Nerven.
Mit rustikaler Philosophie stimmte Rainer  Dotzauer das Publikum im VIP-Raum der Mittelhessen-Arena ein. „Wir haben heute die Chance wie eine Sau beim Metzger“, sagte der Manager der HSG Wetzlar vor dem Spiel gegen die SG Flensburg-Handewitt. „Manchmal läuft die Sau davon, manchmal ist der Metzger nicht in Topform.“

Bei Blazenko Lackovic platzte der Knoten.

Nun, Dotzauers „Sau“ war flott unterwegs, sie strampelte und rannte und wehrte sich nach Kräften. Und wurde doch zum Opfer. Den entscheidenden Schlag gegen den Tabellenvorletzten führte Jan Holpert in der größtmöglichen Zuspitzung des Duells Schütze gegen Torwart: Siebenmeter nach Ablauf der Spielzeit, Wetzlars Savas Karipidis gegen den 37-jährigen Flensburger. Zwei Minuten zuvor hatte der Grieche Holpert mit einem Heber überlistet. Doch als er die Sensation in Händen hielt, als er aus dem 30:31 ein Remis machen konnte, traf er nur Holperts Fuß und brach weinend zusammen. Arme Sau.
Liga-Rekordler Holpert gewährte  später einen Einblick in die Schatztruhe seiner Erfahrungen aus nun 577 Einsätzen in der höchsten Spielklasse. War es ein Reflex oder hatte er gewusst, wohin Karipidis wirft? „Man filtert als Torhüter: Einen Leger macht er nicht noch einmal, das war klar. Links hatte er heute  schon einen verschossen. Also blieb nur ein Ball durch die Beine oder nach rechts. Und rechts war's“, sagte der SG-Torhüter, der auch für die Option Beinschuss gewappnet war: „Da habe ich den anderen Fuß nachgezogen.“
Erfahrung eben, die Flensburg vor einer teuren Pleite bewahrte. Jeder Minuspunkt kann die ohnehin dünne Chance auf die Meisterschaft kosten. „Man darf gar nicht darüber nachdenken, was da am Fuß von Jan Holpert hing“, stöhnte Manager Thorsten Storm, gezeichnet von der Nervenanspannung. Trainer Kent-Harry Andersson, der den „Punkt im Kopf schon verloren“ gegeben hatte, empfand Genugtuung: „Bei dem Pech, das wir die ganze Saison gehabt hatten, dürfen wir auch mal Glück haben.“

Jan Holpert hat in der Bundesliga noch etwas vor.

Am Dienstag wurde das Schicksal fahrlässig herausgefordert. Aller Kampf und alle Leidenschaft der Wetzlarer wären früh verpufft, hätten die Flensburger nur eine halbwegs normale Leistung abgeliefert. Stattdessen schwächelten sogar die Zuverlässigsten. Glenn Solberg — Bälle vertändelt; Sören Stryger — schlecht gezielt, in der Abwehr verladen; Johnny Jensen — engagiert wie immer, aber weniger effektiv.
„Ich habe gerätselt: Ist das die Einstellung oder einfach ein schlechter Tag. Ich weiß es nicht, ich habe auch ein bisschen geschlafen in der ersten Halbzeit“, gestand Blazenko Lackovic, der sich nach der Pause allerdings neben Holpert zum  Matchwinner aufschwang. Acht Tore insgesamt — „das war der Blazenko, den wir immer sehen wollen“, meinte Andersson.  Nach Storms Geschmack geht der Kroate jedoch zu sparsam mit seinen Chancen um: „Er spielt mir einen Tick zu skandinavisch. Er soll keine Assists geben, sondern werfen. Dafür wurde er geholt“, sagte der Manager bei der Aufarbeitung der Partie am späten Abend im Bad Homburger Hotel Mercure. Lackovic genoss derweil die endlich wieder befriedigende Torquote still bei einem Weizenbier und beteiligte sich nicht am Kartenspiel der anderen. „Ich habe jetzt viel mehr Sicherheit als nach der EM. Gegen Kiel war es schon gut, es geht voran. Bis Ciudad Real will ich bei 100 Prozent sein“, sagte der 25-Jährige.
Da war es wieder. Das Duell in der Champions League am 26. März in Spanien spukt in den Köpfen herum, vermutet Trainer Andersson und wird von Lackovic bestätigt: „Das Halbfinale ist groooß.“ Schluss damit, fordert Jan Holpert. „Wir haben auch in der Bundesliga noch etwas vor“, mahnte der Schlussmann, der sich nicht noch einmal über „60 Minuten Krampf“ ärgern will. Bei Frischauf Göppingen, wo die SG am Sonnabend antreten muss, „haben wir mit einer Leistung wie in Wetzlar keine Chance.“