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Das Ende des „Ewigen Zweiten“

13. April 2003, 16.15 Uhr - ein historisches Datum für die SG Flensburg-Handewitt. Die Hallenuhr in der Hamburger Color-Line-Arena zeigt nur noch wenige Sekunden an, als TUSEM Essen nach Turbulenzen am Kreis den Ball verliert. Jan Holpert passt mit einem kurzem Abwurf in den Lauf von Lars Christiansen. Der startet durch, und drei Sekunden vor dem Schluss zappelt das runde Leder im Netz. 31:30 - die SG Flensburg-Handewitt ist DHB-Pokalsieger 2003! Der erste große nationale Titel! „Darauf habe ich sieben Jahre lang gewartet“, strahlt Matchwinner Lars Christiansen. Der Linksaußen rennt nach seinem Siegtreffer in seiner spontanen Freude über das gesamte Spielfeld, lässt sich von Ersatztorwart Frode Scheie einfangen und hochleben - und löst eine Jubel-Orgie aus, die die rund 4000 mitgereisten Fans und die gesamte Region erfasst.

Pokalsieg: Sekt-Fontänen des Glücks.
Sorgen um Jan Holperts Fuß: Ein Final-Einsatz war lange ungewiss

Unvergessene Momente, die wenige Minuten später ihren unvergessenen Glanz erhielten. Just zu dem Zeitpunkt, als SG-Kapitän Jan Fegter den „Pott“ in seine Hände nahm. Kurz darauf strömten viele SG-Anhänger auf das Spielfeld, inszenierten Freudentänze und eine Polonaise. Währenddessen wischte sich SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke eine Freudenträne aus dem Gesicht. Der „Macher des Erfolgs“, Erik Veje Rasmussen, hielt sich dezent im Hintergrund. Er ließ die anderen den Triumph im Rampenlicht auskosten und betrat er erst nach Aufforderung der Mannschaft das Siegerpodest. Keine Frage: Das Finale hatte sichtlich am Nervenkostüm des Trainers gezerrt. „Jetzt sind wir die Sieger“, atmete der Däne durch. „Um ein Haar wären wir die absoluten Loser gewesen.“ In der Tat: Es war ein Spiel mit dem Feuer.
Eine Einschätzung, die sich weniger auf das Halbfinale gegen Göppingen bezog, als der glasklare Favorit nur kurz wackelte. Als größte Holprigkeit - ein Begriff, den man ganz wörtlich nehmen durfte - erwies sich eine Verletzung von Jan Holpert. Der Keeper hatte sich bei einem Zusammenstoß den Fuß verdreht. Für Mannschaftsarzt Hauke Mommsen wäre es ratsam gewesen, sich ein T-Shirt mit der genauen Diagnose anfertigen zu lassen. Der Mediziner war ein gefragter Mann.  Derweil lief Manfred Werner am Vorabend des Endspiels gegen Essen unruhig über den Parkplatz vor der Color-Line-Arena. Er versuchte den „Hexer“ Andreas Thiel zu erreichen. Das „Überraschungs-Comeback“ blieb aber in der Schublade, Jan Holpert konnte „unter Schmerzen“ spielen.

Große Freude nach dem Pokalsieg: Joachim Boldsen küsst Frode Scheie.

Im Finale vor der großen Kulisse von 13000 Zuschauern lief zunächst alles nach Plan. Vor allem Joachim Boldsen sorgte zunächst für viel „Danish Dynamite“. Das Spiel kippte erst mit dem Nachlassen seiner Kräfte und einer defensiveren Einstellung der Essener 6:0-Abwehr. Die Westdeutschen glichen beim 24:24 erstmals aus, ehe Siebenmeter-Spezialist Oleg Velykky fünf Sekunden vor dem regulären Abpfiff die Verlängerung sicherstellte. In dieser bewahrte ausgerechnet der lange verletzte Christian Berge die SG mit zwei wichtigen Treffern vor einem Rückstand. Schließlich - das ist bekannt - erlöste Lars Christiansen die große Fan-Schar von der dänischen Grenze.
Drei Stunden nach dem historischen Abpfiff herrschte an Bord des Mannschaftsbusses riesige Stimmung. Eine mobile Musik-Anlage schmetterte auf der Autobahn „We are the Champions“, während die Spieler „ausrasteten“. Im Übermut zerschnitten sie ihre Anzüge, verwandelten ihre Krawatten in Stirnbänder und „kaperten“ eine Tankstelle. Diese Euphorie nahmen die „Helden von Hamburg“ mit in die spontane Pokal-Party. Flugs hatten einige Helfer alle Biervorräte der Campushalle in das Deutsche Haus gekarrt. Dort waren es dann rund 2000 Anhänger, die der „Räuberbande“ zujubelten. In ihren neu „gestylten“ Klamotten bestiegen die Handballer die Bühne. Im Schlepptau ihr „Diebesgut“ - den Pott. „Ich liebe euch alle“, schenkte Joachim Boldsen der Menge „drei Worte“, Andrej Klimovets zeigte seine „tolle Nase“ (Nasenbeinbruch), Christian Berge versuchte sich als „Stage-Diver“, und Jan Holpert hauchte überglücklich ins Mikro: „Das ist nach der Geburt meines Sohnes der zweitschönste Tag in meinem Leben.“

Die Helden von Hamburg.

In den nächsten Tagen zollte auch die lokale Politik den SG-Handballern höchste Anerkennung. So weihten die Repräsentanten der Stadt Flensburg und des Kreises Schleswig-Flensburg zusammen mit der SG-Führung einen neuen Schriftzug ein. „Spielstätte des Deutschen Pokalsiegers 2003“ leuchtete plötzlich auf der Westfront der Campushalle. Zusätzlich organisierte die Stadt Flensburg eine offizielle Feierstunde, in deren Verlauf sich Spieler, Betreuer und Funktionäre in das Goldene Buch der Stadt eintrugen. Zum zweiten Mal nach 1997. Diese besondere Ehre flankierte SG-Vize-Präsident Frerich Eilts mit einem markigen Spruch: „Die Bezeichnung Ewiger Zweiter trifft nicht mehr zu, deshalb trifft sie uns auch nicht mehr.“ Die Handball-Szene registrierte das Ende des „Ewigen Zweiten“.