Stripes
Stripes
Archiv

Nur ein Schatten vergangener Tage

Gedanklich tief versunken, grübelnde Miene und Enttäuschung pur gemischt mit einer Portion Ratlosigkeit - das Gestenspiel von Kent-Harry Andersson auf dem Weg zur Pressekonferenz sprach Bände. Soeben war sein Team, die hochfavorisierte SG Flensburg-Handewitt, zum Auftakt der Champions-League-Saison beim slowakischen Meister Tatran Presov um Haaresbreite an einer Pleite vorbeigeschrammt.
Statt souverän die, zugegeben nicht ganz einfache Hürde, in der Provinzstadt in der Slowakei zu meistern, erlaubte sich der deutsche Meister beim 24:24 (16:15)-Unentschieden einen schwachen Gesamtauftritt. Im kleinen Hexenkessel von Presov, der Tatran handball-arena, blieb die SG vor 1500 Zuschauern dem Ruf einer europäischen Spitzenmannschaft über 60
abwechslungsreiche Spielminuten deutlich schuldig. "Ich bin sehr enttäuscht. Wir führen mit sieben Toren und müssen einfach Schluss machen", bemerkte Andersson jene Phase in der zweiten Halbzeit, in der seine Mannschaft das Spiel komplett aus der Hand gab. Die vollständige Pleite verhinderte einzig Torhüter Dan Beutler, der sich mit vielen Glanzparaden zum besten Spieler einer ansonsten enttäuschenden SG-Mannschaft aufschwang. Dazu Andersson: "Ohne Dan hätten wir verloren, das ist sicher."
Allerdings war der junge Schwede bei der letzten und entscheidenden Spielaktion machtlos. Der erst 23-jährige Peter Kuckucka bewies nämlich beim Strafwurf Nervenstärke und bescherte dem Außenseiter in der Schluss-Sekunde das kaum für möglich gehaltene Unentschieden. Dabei durften sich die Gäste nach einer eher durchwachsenen ersten Spielhälfte dank einer deutlichen Leistungssteigerung beim 22:15 in der 40. Minute eigentlich klar auf der Siegerstraße wähnen. Keiner der 1500 Tatran-Fans hätte zu diesem Zeitpunkt noch einen Pfifferling auf die Gastgeber gesetzt, die ihr Pulver in den ersten 30 Minuten scheinbar verschossen hatten.

Dan Beutler rettete einen Punkt.

"Natürlich konnte es nicht so weitergehen, aber wir haben den Faden komplett verloren, das darf uns nicht passieren. Ich dachte wir hätten mehr Erfahrung, um solche Phasen besser zu überstehen", rätselte Andersson über den eklatanten Einbruch der SG. Technische Fehler, überhastete Torwürfe, Konzept- und Kopflosigkeit zeichnete den Auftritt der SG in den letzten 20 Minuten aus. Auf der Gegenseite erwachte Presov zu neuer Stärke und startete getragen auf der Woge der Begeisterung die Aufholjagd. Hatte der slowakische Meister nach
Wiederanpfiff rund zehn Minuten keinen Treffer kassiert, so platzte der Knoten noch rechtzeitig.
Von Minute zu Minute brachen bei den Gästen alle Dämme und nur Dan Beutler verhinderte mit vielen Paraden, dass Presov das Spiel nicht noch komplett umbog. "Wir haben sehr gut gekämpft. Aber ich hätte nicht gedacht, dass wir noch einmal ins Spiel finden würden", strahlte Presov-Coach Peter Hatalcik. Als beim 20:22 (49.) die Halle tobte, beendete Andrej Klimovets die Durststrecke der SG und markierte das 23:20. Entkrampfend wirkte sich
der langersehnte Treffer allerdings nicht aus. Gestützt auf einen bärenstarken Vadym Braznyk im Tor und dank einer intakten Moral zog Presov nach und stellte den 23:23-Ausgleich (57.) her. Klimovets brachte die Gäste ein letztes Mal in Führung, und als Glenn Solberg wenige Augenblicke später die SG in Ballbesitz brachte, schien der Favorit mit einem blauen Auge davongekommen zu sein.
Aber gefehlt: Es war Andrej Klimovets, der, zuvor noch als Held gefeiert, sich sieben Sekunden vor dem Abpfiff einen Fehlwurf leistete und damit das Unheil heraufbeschwor. "Ich weiß nicht, was da in ihm vorgegangen ist. In dieser Phase darf man nicht auf das Tor werfen", haderte Andersson. Im Gegenzug konnte der flinke Radoslav Antl nur auf Kosten eines Strafwurfes gestoppt werden. Als Kukucka schließlich Beutler zum 24:24-Endstand überwunden
hatte, erreichte der Stimmungspegel in der Halle seine Höchstmarke und die 1500 Fans verwandelten die Arena in ein Tollhaus. "Wir haben vier Spiele in Folge verloren und haben in der Woche eine Krisensitzung gehabt. Wir wollten gegen die SG ein gutes Spiel machen und wieder aus der Krise kommen. Das hat geklappt", berichtete Hatalcik.
Für die SG hingegen ist wieder einmal deutlich geworden, dass der Weg zur alten Leistungsstärke noch recht weit und steinig ist. Denn weder individuell noch mannschaftlich konnte der deutsche Meister bisher den hohen Erwartungen und den eigenen Ansprüchen in der Meisterschaft, DHB-Pokal und der Champions-League gerecht werden.

Für die Sehenswürdigkeiten von Presov hatte das SG-Team keine Zeit.

Splitter
Debüt: Für Torge Johannsen war die "Dienstreise" in die Slowakei etwas ganz Besonderes. Für den talentierten Rechtsaußen war es die erste internationale Begegnung. Allerdings wurde der Linkshänder nicht eingesetzt.

 

Pech gehabt: Irgendwie hatte der Planungs-Teufel der SG-Delegation einen kleinen Streich gespielt. Statt wie erwartet und auch üblicherweise der Fall mit der Mannschaft in einem Hotel zu wohnen, musste das fünfköpfige SG-Begleitteam (besteht aus treuen Förderern) in eine andere Unterkunft ausweichen.

 

Katzensprung: Obwohl Presov mit 95000 Einwohnern an der Schwelle zur Großstadt steht, waren die Wege für die SG-Delegation kurz. Fünf Minuten zu Fuß brauchten die Spieler von ihrer Unterkunft bis zur Tatran handball-arena. Unwesentlich länger gestaltete sich der Weg für die kleine Sponsoren-Gruppe.

 

Regenschauer: Wer sich am Sonnabend vor dem Spiel auf einen ausgiebigen Stadtbummel gefreut hatte, wurde zumindest vom Wetter enttäuscht. Nach sommerlichen Temperaturen am Anreisetag kippte das Wetter - Regen satt.

 

Farben: Die Provinzstadt Presov zeigt sich im Aufbruch. Vielerorts haben farbenfrohe Fassadenanstriche monoton wirkende Häuser-Ansichten verdrängt.

 

Staatlich: Viele der ungemein gemüdlichen Keller-Restaurants führen die gleiche Speisekarte. Grund: Sie sind noch staatlich geführt.

 

Günstig: Wer nach westeuropäischen Maßstäben gesehen in Presov einkaufen geht, ist angenehm überrascht. Ob eine Packung Kaugummi für 50 Cent, ein klassisches 0,3 Bier für rund einen Euro bishin zum leckeren Hauptgericht für umgerechnet acht Euro - die Slowakei zeigt sich als Neu-EU-Mitglied nicht gerade als billig, allerdings immer noch als sehr preisgünstig.

 

Erinnerung: Sönke Voß, 2. Vorsitzender des TSB Flensburg, verbindet ein besonderes Erlebnis mit Presov. Mitte der 60er Jahre gastierte das damalige europäische Spitzenteam Tatran Presov in Flensburg und bestritt in der altehrwürdigen Duburghalle ein Freundschaftsspiel gegen den FTB (Vorläufer des TSB Flensburg). Mit ihm Team der Flensburger - Sönke Voß. "Es war spannend und am Ende hatten wir knapp die Nase vorne", so Voß.