Stripes
Stripes
Archiv

Wille und Cleverness entschieden

Am Ende konnte man es in ihren Gesichtern ablesen. Alle Spieler und Verantwortlichen bei der SG Flensburg-Handewitt waren sich darüber im Klaren, dass das Spiel in der Handball-Bundesliga gegen den heimstarken Frisch-Auf Göppingen auch leicht hätte verloren werden können. Nur einem unglaublichen Willen war es zu verdanken, dass der Deutsche Meister und Pokalsieger nach einem Fünf-Tore-Rückstand das Spiel noch mit 27:26 gewann und damit die Tabellenführung dem zuvor ebenfalls siegreichen THW Kiel (23:22-Erfolg in Gummersbach) wieder entreißen konnte.
"Göppingen war der erwartet starke Gegner. Sie kamen mir der Empfehlung von 13:1-Punkten aus den letzten sieben Spielen. Aber wenn du Meister werden willst, musst du hier gewinnen", sagte ein gutgelaunter Kent-Harry Andersson nach dem Spiel. Der Trainer der SG Flensburg-Handewitt machte keinen Hehl daraus, dass er mit dem Schlimmsten gerechnet hatte. "Ich wusste, dass man hier auch verlieren kann. Aber die Mannschaft hat sich dagegen gewehrt und die drohende Niederlage abgewendet", so Andersson.
In der Tat sah es lange Zeit nach einer Abfuhr für die Flensburger aus. Zwar legten Christiansen und Co. los wie die Feuerwehr, aber nach rund 12 Minuten schlichen sich beim Stande von 6:3 Fehler in das Spiel der SG ein. Vor allem war es Lars Christiansen, der mit zwei Fehlwürfen und einem Fehlpass die Göppinger wieder ins Spiel brachte. "Bis dahin hatten wir eigentlich alles im Griff. Und dann passieren diese dummen Fehler", ärgerte sich der Däne wohl selbst am meisten. Die 10:9-Führung (20.) für Göppingen saß wie ein satter Körpertreffer beim Boxen. Die SG fing an zu taumeln, wirkte plan- und ratlos und sah sich auf einmal einem Fünf-Tore-Rückstand ausgesetzt. Die 3976 Zuschauer in der restlos ausverkauften Hohenstaufenhalle trauten ihren Augen kaum und witterten schon die Sensation.
"In dieser Phase spielten wir ohne Disziplin und nötige Ruhe. Das kann ich mir nicht erklären. Denn das hat nichts mit mentaler Müdigkeit zu tun. Wir waren frisch und ausgeruht", kritisierte SG-Trainer Kent-Harry Andersson
seine Schützlinge.

Lars Christiansen erzielte sein 1000. Siebenmeter-Tor für die SG.

Lars Christiansen war es vorbehalten, den letzten Treffer zum 13:17-Pausenstand zu erzielen. "In der Pause habe ich der Mannschaft gesagt, dass wir Ruhe in unser Spiel bringen und vor allem disziplinierter agieren müssen. Wir haben im ersten Durchgang zu viel lamentiert und uns nicht auf unsere Arbeit konzentriert", analysierte der Schwede. Nach der Pause kam die SG konzentrierter aus der Kabine. Wiederum hatte Andersson Dan Beutler für den ansonsten gar nicht schlecht stehenden Jan Holpert gebracht. Dieses zahlte sich wie schon gegen Gummersbach aus. Mit mehreren Paraden leitete der schwedische Torhüter die Wende ein. Und auch Lars Christiansen zog sich aus seinem Tief wieder raus. Duch Treffer von Joachim Boldsen und eben genannten Christiansen holte sich die SG die Führung beim Stande von 21:20 (45.) zurück.
"Das zeigt, wie mental stark die Mannschaft ist, so einen Rückstand aufzuholen", sagte Andersson nach dem Spiel und auch Lars Christiansen lobte die geschlossene Mannschaftsleistung: "Wir haben gewusst, wie schwer aber auch wichtig dieses Spiel ist. Deshalb haben wir immer an uns geglaubt. Vor ein paar Jahren hätten wir das Spiel noch verloren." Jetzt entwickelte sich jedoch ein Handball-Triller, der auch den Geräuschpegel in der Halle in die Höhe trieb. Denn nun ging es Tor um Tor auf die Zielgerade. Als Dragos Oprea drei Minuten vor Schluss die erneute Führung für Göppingen erzielte, waren die Fans in der Hohenstaufenhalle kaum noch zu halten.
Jetzt zeigte sich aber, warum die SG in dieser Saison schwer zu schlagen ist. Denn innerhalb von wenigen Augenblicken nutzten die Flensburger zwei Fehler der Göppingen und warfen sich eine Minute vor Ultimo in Front. "Wenn du gegen die SG gewinnen willst, darfst du in der entscheidenen Phase keine Fehler machen. Das wird sofort bestraft", sagte Frisch-Auf-Coach Velimir Petkovic. Es wäre allerdings auch fast zum Ausgleich gekommen. Denn fünf Sekunden vor Schluss kamen die Gastgeber nochmal in Ballbesitz, brauchten aber zu lange, um den Ball Richtung SG-Tor zu bringen. Das runde Leder landete zwar unter großem Jubel noch einmal im Tor der SG, doch hatten die beiden, nicht immer souverän wirkenden, Unparteiischen Frank Lemme und Bernd Ullrich aus Magdeburg das Spiel schon abgepfiffen.
"Wenn du solche Spiele gewinnst, kannst du Meister werden", sagte Søren Stryger, der den Satz bewusst vorsichtig formulierte. "Wir spielten eigentlich gar nicht so schlecht, wurden aber etwas durch deren 5:1-Deckung überrascht. Hinzu kam, dass sie gerade in der ersten Halbzeit unsere Fehler bestraft haben", so Stryger weiter. "Wir haben zu früh mit fünf Toren geführt. Da hatte die SG Zeit genug, um sich wieder ins Spiel zu bringen", sagte ein enttäuschter Petkovic nach dem Spiel.
Den Sieg hätte sich die SG beinahe teuer erkaufen müssen, denn Glenn Solberg wurde nach dem Spiel noch ins Krankenhaus gefahren. Bei einem Zusammenprall mit einem Göppinger Spieler hatte sich der Norweger verletzt, der Verdacht auf einen Rippenbruch bestätigte sich glücklicherweise dann aber nicht. "Das wäre ein herber Verlust für die nächsten Wochen", sagte Andersson und deutete auf die Partie am Mittwoch gegen Verfolger HSG Nordhorn (20 Uhr/Campushalle) und das anschließende Champions League-Spiel in Montpellier (Frankreich).