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Vor 25 Jahren

22.04.2017 -Rückblick: Die SG wird erstklassig

22. April 1992, ein Datum vor 25 Jahren, das an der deutsch-dänischen Grenze in die Handball-Geschichtsbücher einging. Mit einem 31:23-Auswärtserfolg bei der SG Stuttgart-Scharnhausen sicherte sich die SG Flensburg-Handewitt den Aufstieg in die Bundesliga, die sie seitdem nicht mehr verlassen musste. „O, wie ist das schön“, stimmten die 100 mitgereisten SG Fans bereits Minuten vor dem Abpfiff die Siegesgesänge in der Nerlinger Sporthalle an.

Hinter ihnen und ihren Lieblingen lagen Monate höchster Abwechslung. Als Folge der Wiedervereinigung erfolgte mit der Serie 1991/92 die Integration der ostdeutschen Klubs in einen gemeinsamen Spielbetrieb. „Wir lernten die ehemalige DDR aus der ersten Reihe kennen“, erinnert sich Abwehr-Stratege Andreas Mau an die Tingeltour durch den Osten. Guben, Premnitz oder Finsterwalde kreuzten die Wege. „Es war schon etwas Spezielles, zum Auftakt in Henningsdorf anzutreten“, erzählt Rückraum-Kanonier Rainer Cordes. „Aber in den Hallen war nichts los, und sportlich waren die unbekannten Gegner nicht konkurrenzfähig.“

Dagegen hatte die SG aufgerüstet, nahm mit Thomas Buchloh (Fredenbeck), Walter Schubert, Andreas Hertelt (beide Düsseldorf) und Horst Wiemann (Kiel) gleich vier Akteure aus der Bundesliga unter Vertrag. Die Nordlichter dominierten die Zweite Liga Nord, schlossen die Serie mit 52:0 Punkten ab. „Vielleicht sind wir in der Relegation für viele der Top-Favorit“, warnte deshalb SG Trainer Noka Serdarusic. „In Wirklichkeit zeigt unsere Bilanz nur, wie schwach die Spielklasse wirklich ist.“

Seine Einschätzung bestätigte sich in der Aufstiegsrunde. Gleich die erste Partie in Dutenhofen ging trotz klarer Führung verloren. Zu Hause folgte gegen die Hessen ein Remis, ebenso gegen den Landesrivalen VfL Bad Schwartau. „Nun machten sich die zu wenigen Herausforderungen in der Gruppenrunde zunächst negativ bemerkbar“, analysiert Torwart Thomas Buchloh im Nachhinein. „Unsere Leistungsträger waren es nicht gewohnt, ihre beste Leistung bringen zu müssen.“

Die Chancen auf den Aufstieg waren nur noch theoretischer Natur, was eine interne Krise auslöste. Der damalige SG Präsident Hennig Lorenzen setzte sich dafür ein, die bestehende SG in eine Kooperation der Stammvereine TSB Flensburg und Handewitter SV zu verwandeln – damit der „Zweiten“, die gerade Regionalliga-Meister geworden war, nicht der Aufstieg in die Zweitklassigkeit verbaut werden würde. Nach lebhaften Diskussion blieb alles beim „Status Quo“.

Dann ein überraschendes Ergebnis: Dutenhofen und Bad Schwartau trennten sich 26:26. Genau die Punkteteilung, die die SG brauchte, um wieder realistische Bundesliga-Hoffnungen zu hegen. Linksaußen Dierk Schmäschke benachrichtigte seine Kameraden: „Unentschieden, das ist ein Zeichen.“ Es ging ein Ruck durch das Team. „Wir trainierten hart, da wir unbedingt aufsteigen wollten“, erinnert sich der norwegische Haupttorschütze Knut-Arne Iversen.

Erforderlich war allerdings ein Sieg in der Lübecker Hansehalle. Der VfL sah sich mit dem Heimvorteil als Favorit und orderte bereits die Großraum-Disco „Abaco“ für eine Bundesliga-Party. „Selber schuld, eigene Dummheit“, schmunzelt Rechtsaußen Michael Menzel noch heute. „Für uns war das eine zusätzliche Motivation.“ Es wurde ein Kampf auf Biegen und Brechen. „In der Abwehr werden nun einmal die Schlachten gewonnen“, sagt Defensivkraft Frank Schäfer, der seine rote Karte kurz nach der Pause aus dem Gedächtnis gestrichen hat.

Die Nerven standen auf Seiten der SG. „Im Hotel hatten wir vorher Kaffee getrunken, dann gingen wir rüber in die Hansehölle“, erzählt Andreas Mau. „Es ist wie heute, wenn sich zwei Teams auf Augenhöhe begegnen: ein gute Szene der einen Mannschaft, eine schlechte Aktion von der anderen – und das Spiel ist entschieden.“ In der Tat: Acht Sekunden vor Schluss nahm sich Rainer Cordes, bis dahin durch eine Manndeckung ausgeschaltet ein Herz, und donnerte den Ball zum 24:23-Siegtreffer in die Maschen. „Den habe ich mir genommen“, lächelt er noch heute. „Das war eines der wichtigsten Tore in meinem Handballer-Leben. Im Nachhinein habe ich mich gefragt, was wohl passiert wäre, wenn der Wurf an den Pfosten oder vorbei gegangen wäre?“ Dann wäre die SG zumindest 1992 nicht aufgestiegen.

Durch waren die Nordlichter damals immer noch nicht. In einem Fernduell mit Dutenhofen zählte jeder Treffer. Ein 27:12 in Eisenach und schließlich das 31:23 in Stuttgart zündeten schließlich den Fahrstuhl ins Oberhaus. Die Nacht fiel aus. „Wenn man aufsteigt, schläft man nicht“, erklärt Dierk Schmäschke. Die Stuttgarter Diskothek „Die Pille“ wurde erobert, einige Spieler genossen ein Bad auf dem Hotelzimmer. Tags darauf – es war ein Donnerstag – feierten am frühen Nachmittag rund 1000 Menschen mit dem Emporkömmling auf dem Südermarkt. Plötzlich ergriff Routinier Dierk Schmäschke das Megaphon: „Jetzt holen wir den Europapokal.“ Der Blick ging nach oben.

Auch ein Vierteljahrhundert nach diesem Coup sind viele der damaligen Protagonisten dem Handball noch verbunden. Dierk Schmäschke fungiert als SG Geschäftsführer, Andreas Mau gehört als Osteopath der medizinischen Abteilung des Bundesligisten an, und Rainer Cordes kümmert sich als Grafiker um den KONTER und als Team-Manager um das Junior-Team. Michael Menzel ist Teamkoordinator beim THW Kiel, Frank Schäfer beschäftigt sich bei der Versicherung „Provinzial“ schwerpunktmäßig mit dem Sportsponsoring, Thomas Buchloh arbeitet als Verwaltungsangestellter und trainiert nebenbei die Torhüter des Heimatklubs TSV Korbach.

Von: ki