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13.07.2009 -Holger Kaiser im sh:z-Interview: „Wir wollen wieder eine Flensburger Mannschaft werden"

Der neue Geschäftsführer der SG Flensburg-Handewitt hatte keinen geruhsamen Start ins Amt. Zu den ersten Aufgaben von Holger Kaiser gehörte es, in harten Verhandlungen mit  Präsidium, Beirat und Spielervertretung eine Gehaltskürzung für die Profis durchzusetzen. Im Interview mit unseren Redaktionsmitgliedern Hans-Werner Klünner und Jan Wrege erläutert Kaiser, wie er die SG durch schwierige Zeiten steuern und der Mannschaft ein neues, stärker regional geprägtes Gesicht verleihen will.

Welche  Eindrücke haben Sie in den ersten Tagen an Ihrer neuen Wirkungsstätte gewonnen? Was unterscheidet die Aufgabe bei der SG Flensburg-Handewitt von Ihrer bisherigen Tätigkeit beim SC Magdeburg?

Ich habe in Flensburg vor allem viel Herzlichkeit und  Offenheit erlebt. Die Mitarbeiter in der Geschäftsstelle sind außergewöhnlich motiviert und stehen voll hinter dem Produkt. Und man erlebt in jedem Gespräch, dass die SG hier emotional tief verwurzelt ist. Sie steht mitten in der Stadt, sie ist die größte Bürgerbewegung hier. In Magdeburg habe ich viel im Hintergrund gearbeitet. Im Vergleich zum SC Magdeburg ist die SG in wirtschaftlicher Hinsicht ein Verein wie viele andere. Hier müssen Umstrukturierungen und Anpassungen erfolgen, der Verein muss moderner aufgestellt werden.

 

Was bedeutet das?

Ein Club muss auch mal Gewinn erwirtschaften und so die Möglichkeit bekommen, etwas zu investieren. Die Gehälter der Spieler sind in den letzten Jahren extrem gewachsen.  Es ist nicht so, dass ich den SG-Profis ihr Gehalt nicht gönne, aber die bisherige Struktur ließ dem Verein fast keinen Gestaltungsspielraum. Ich habe  als F-Jugend-Trainer 50 Mark im Monat bekommen. Da gab man den Jungs ab und zu eine Cola aus, und dann war das Geld wieder weg. Das funktioniert heute nicht mehr.

Wenn man einen starken Nachwuchs will  und auf Dauer eine Mannschaft mit einem Flensburger Gesicht, muss man in die Jugendarbeit investieren.

Die SG-Profis müssen ja nun auf einen Teil ihres Gehalts verzichten. War die Zeit gerade besonders günstig, eine Kürzung durchzusetzen?

Wir haben den Spielern erklärt, dass auch sie eine Verantwortung für die weitere Existenz des Clubs tragen. Sie haben schließlich eine Vorbildfunktion. Auch die Mannschaft muss verstehen, was in den letzten drei, vier und fünf Jahren hier passiert ist und dass es so nicht weitergeht. 70 Prozent unserer Einnahmen geben wir für Gehälter aus. Die Spieler sind mit im Boot, wenn die Situation angespannt ist. Es geht hier um die Fortführung der SG oder die Nicht-Fortführung.  Es ist in jedem Unternehmen an der Tagesordnung, dass über die Gehälter geredet wird, wenn die Einnahmen nicht mehr so sind, wie sie vorher waren. Weil wir nicht mehr in der Champions League spielen, fehlt uns in der nächsten Saison ein erheblicher Betrag. Im Übrigen haben wir nach den Verhandlungen vereinbart, dass wir Diskretion über die Inhalte bewahren.Daran möchte ich mich halten.

Wird sich bis zum Saisonbeginn noch etwas tun in personeller Hinsicht? Wird Sebastian Schneider noch dabei sein? Wie steht es um Alen Muratovic?

Neue Spieler werden nicht mehr dazu kommen. Für Sebastian Schneider gibt es einige Anfragen, da ist noch nichts entschieden.  Für Alen Muratovic geht es darum, dass er nach so einer schwerwiegenden Schulterverletzung überhaupt wieder gesund wird. Ob er dann wieder auf hohem Niveau Handball spielen wird, ist eine andere Frage. So eine Verletzung steckt man  – auch mental – nicht so einfach weg.

 

Wie sehen Sie die SG Flensburg-Handewitt derzeit sportlich aufgestellt?

Sie hat viel Potenzial, ist jung und entwicklungsfähig. Wir haben in Per Carlén einen Trainer, der viel Disziplin reinbringt.  Teammanager Ljubomir Vranjes an seiner Seite  hat viel Erfahrung und positive Akzeptanz. Ich  bin sehr begeistert von den  beiden. Ihre Aufgabe ist, das Gesicht der SG neu gestalten. Wir müssen uns darüber klar sein, dass es drei Clubs gibt, bei denen Geld keine Rolle spielt, weil hinter ihnen Mäzene stehen: Hamburg, Mannheim und Lemgo. Dadurch sind bestimmte Spieler für andere Vereine nicht mehr verfügbar. Für mich steht fest, dass wir nicht mehr in ein Bieter-Rodeo einsteigen. Bei uns muss Erfolg über das Team funktionieren. Wir müssen auf junge Leute setzen – und akzeptieren, wenn es für die SG mal nicht um Titel geht.

 

Müssen sich die Fans der SG auf dauerhaftes Mittelmaß einstellen?

Nein. Die SG kann alle schlagen, aber nicht über teure Einzelspieler, sondern über eine geschlossene Mannschaftsleistung, über Charakter und Persönlichkeit. Mit Lemgo sind wir auf Augenhöhe, auch die Hamburger hatten in der Rückserie der vergangenen Saison ihre Schwierigkeiten mit Flensburg. Mit Titelversprechen müssen wir aber vorsichtiger sein. Unser Ziel müssen wir über den Weg realisieren.

 

Großtransfers wird es demnach bei der SG nicht mehr geben?

Ich halte nichts davon, Spieler aus Verträgen herauszukaufen. Man muss jetzt sehen, welchen Spieler man in drei Jahren bekommen kann. Eine Transferzahlung ist allenfalls sinnvoll, wenn die Möglichkeit besteht, einen letzten wesentlichen Baustein zu setzen. Sonst ist die Zahlung einer Ablöse eine Fehlinvestition: Sie schwächt die SG und macht den Gegner stark. Übrigens hat noch kein Mäzen irgendwo dauerhaft Erfolg gehabt. Irgendwann verliert er die Lust. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Mäzene im Handball nicht mehr da sind – das steht für mich fest.

 

Bis dahin muss die SG im „Jugendstil“ über die Runden kommen?

Wir wollen wieder eine Flensburger Mannschaft werden. Das ist nur möglich, wenn junge Spieler hier eine echte Chance bekommen und nicht nur Feigenblatt sind. So haben sie im Spiel die Chance, in jeder Hinsicht hineinzuwachsen.  Ein Trainer ist da  natürlich immer im Konflikt, weil  im Handball viele Spiele sehr knapp entschieden werden.

Bringe ich, wenn es eng wird, den Alten, der vielleicht weniger Fehler macht? Oder den Jungen, der mit seiner Unbekümmertheit die Entscheidung zu unseren Gunsten bringt? Da muss man Mut haben.  Es ist auch eine Motivation für junge Handballer, die  erkennen: Es kann sich lohnen, nicht nur drei Mal, sondern  sechs bis sieben Mal pro Woche zu trainieren.

Sie waren selbst Trainer. Wie sehr wird es Sie kitzeln, sich in sportliche Belange einzumischen?

Überhaupt nicht. Wir haben für alle Bereiche Fachleute. Ich werde nicht einen Bruchteil der Zeit von Per Carlén und Ljubomir Vranjes mit den Spielern verbringen, nicht die gleiche Nähe zur Mannschaft haben und auch nicht die ganzen Einzelgespräche führen. Man muss ja auch abgeben können. Natürlich werden wir uns hier und da beraten, und ich werde bestimmt auch mal eine Anmerkung machen.

Noch einmal zurück zur SG, die sich eine peinliche „Fan“-Gruppierung leistet, die in unschöner Regelmäßigkeit ein schlechtes Licht auf Verein und Stadt wirft. Wie wollen Sie mit den „Ultras“ umgehen?

Ich habe dieses Thema aus der Distanz erlebt und mich in meinen ersten Tagen hier noch nicht damit befasst. Ich kann nur sagen, der Sport steht für Werte,  Fair Play sollte nicht nur  auf dem Spielfeld herrschen.  Bei dieser Gruppe sind sicherlich Dinge passiert, die diesen Werten gerade nicht entsprechen. Das Problem gibt es auch in anderen Städten, und deshalb müsste sich auch die HBL dieser Sache annehmen.

Haben Sie sich schon mit der Baustelle bzw. „Leider-nicht-Baustelle“ Hallenerweiterung befasst?

Man muss eines im Auge behalten: Es gibt keine Halle und kein Stadion in Deutschland, das sich rechnet. Der Gewinn sind „Brot und Spiele“, also ein angenehmeres Leben für die Nutzer.  Aber jeder Businessplan ist am Ende des Tages hochgegangen. Es kann in der jetzigen Zeit nicht die Aufgabe der SG sein, sich in prominenter Millionenhöhe zu verschulden.

Wenn es einen politischen Willen  geben sollte, der einen Hallenausbau als Gewinn für Stadt und Region unterstützt, muss es auch Fördermittel geben. Dann kann die SG bei der Projektentwicklung mitwirken.

Wie bewerten Sie die Entwicklung und den momentanen Stand in der Manipulationsaffäre? Hat das Image der SG Schaden genommen, nachdem der von ihr initiierte Versuch, den HBL-Präsidenten Reiner Witte zu stürzen, gescheitert ist?

Die Liga ist beschädigt. Ich bin zutiefst enttäuscht darüber, dass bei vielen Vereinen keine Sensibilität für das Problem vorhanden ist. Sie blicken nicht über den Kirchturm hinaus.  Bei der Ligaversammlung stand das Thema Manipulationsaffäre nicht einmal auf der Tagesordnung. Die HBL hat ein Krisenmanagement an den Tag gelegt, das keines ist und alles schlimmer gemacht hat  – eine Katastrophe für den Sport. Die ganze Behandlung des Themas zeigt, dass der Handball organisatorisch noch in den Kinderschuhen steckt. Die EHF dreht anfängliche Konsequenzen ausgerechnet vor dem Champions-League-Finale wieder zurück – eine schallende Ohrfeige. Man möchte das alles nicht glauben, was in Wien passiert.

Wie wird die Sache enden? Glauben Sie, dass die Bestechungsvorwürfe gegen den THW Kiel aufgeklärt werden?

Wir sollten das Ende der staatsanwaltlichen Untersuchungen abwarten.

Bis jetzt gibt es noch keine Gewinner, sondern nur Verlierer, da das Image des Handballs beschädigt ist. Auf der anderen Seite kann jede Krise eine Chance sein. Wir dürfen nicht vergessen: Die Bundesliga ist immer noch die stärkste und attraktivste Liga der Welt.

Holger Kaiser
Von: sh:z