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11.06.2007 -Joachim Boldsen: Mehr Familie – weniger Handball

Man wird diesen Typen in der Bundesliga vermissen: Joachim Boldsen, der Handball kämpfte wie kein anderer, der sich nicht schonte, der seine Fans mit Einsatz bis zur Erschöpfung begeisterte. Jetzt schaltet der „Traktor“ zwei Gänge zurück und spielt wieder in Dänemark.
Am Ende konnte Joachim Boldsen doch nicht nein sagen zum Aab Aalborg. Weniger Spiele, weniger Stress, mehr Popularität und eine stattliche Gage in der prosperierenden dänischen Liga – man munkelt von über 400 000 Euro jährlich. Als Profi sagt er natürlich brav seine Formel auf: „Ich habe in Aalborg die Möglichkeit, etwas Neues und Großes aufzubauen.“
Lange hatte Jan Larsen, Manager des dänischen Erstligisten, den Rückraumspieler der SG Flensburg-Handewitt umworben. Im vorigen Oktober glückte der Coup. Für die nächsten drei Jahre sicherte sich Aalborg die Dienste des „Traktors“, der bereits als Handball-Messias gefeiert wird. „Joachim Boldsen wird die Mannschaft nach vorne bringen“, glaubt Larsen, der allerdings auch schon einen Vorgeschmack darauf bekam, dass er sich keinen ganz pflegeleichten Spieler eingekauft hat.
Nie schliefen in den vergangenen Monaten die Gerüchte ein, Boldsen werde sich vielleicht doch noch nach Spanien orientieren. Der FC Barcelona war mal wieder im Gespräch, auch mit Portland San Antonio und Ciudad Real soll der dänische Nationalspieler geflirtet haben. „Ich habe einen Vertrag mit Aalborg, aber im Handball kann ja viel passieren“, lautete sein lauwarmes Dementi. Mit der ganz und gar nicht heimlichen Liebe zur Liga Asobal hatte Boldsen schon den Flensburger Fans und Verantwortlichen einige Nerven geraubt. Vor einem Jahr hatte ihn die SG freigestellt, und Boldsen hatte schon fast bei  Ciudad Logroño angeheuert, bevor ihn im letzten Moment die Abenteuerlust doch wieder verließ.
So legte sich Boldsen in der vergangenen Saison noch einmal für die SG ins Zeug. Er spielte eine großartige Hinserie, konnte dieses Niveau nach der anstrengenden Weltmeisterschaft mit dem Gewinn der Bronzemedaille  aber nicht halten. Ein Musterathlet  war Boldsen nie, sein Spiel lebt durchaus auch von seinem veritablen Gewicht, das er auf so unnachahmliche Weise in Vorwärtsbewegung zu versetzen vermag – ein „Traktor“ eben. „Kampfschwein“ ist ein weiterer Beiname, der illustriert, dass er nie über seine unbestrittenen handballerischen Fähigkeiten identifiziert wurde – manchmal zu seinem Leidwesen. Als SG-Spielmacher stand der Däne im Schatten der eleganten Norweger Berge und Solberg.

Joachim Boldsen bekam zum Abschied einen "Traktor".

In der Bundesliga debütierte Boldsen vor acht Jahren beim TV Großwallstadt. Das Intermezzo bei den Mainfranken  verlief erfolgreich, bis den TVG die gewagte Investition in Superstar Jackson Richardson beinahe die Existenz gekostet hätte. Der Etat schrumpfte drastisch, Boldsen  kehrte nach  Kopenhagen zurück – und begann sich bald zu langweilen in der dänischen Liga. Da fügte es sich, dass auch die SG Flensburg-Handewitt um den Jahreswechsel 2001/02 auf der Stelle trat. Trainer Erik Veje Rasmussen musterte Igor Lavrov aus und ließ Thomas Knorr zum VfL Bad Schwartau ziehen – Boldsen passte als Spielmacher und Defensivspezialist ideal in diese Lücken. Der Däne wurde in Flensburg zum Publikumsliebling und zu einem der maßgeblichen Akteure in der bislang erfolgreichsten Ära der SG mit drei DHB-Pokalsiegen und dem Double 2004 als Höhepunkte. Allein der zwei Mal knapp verpasste Sieg in der Champions League hinterlässt bei Joachim Boldsen das Gefühl einer nicht ganz vollendeten Karriere. „Ich bin sehr enttäuscht, dass es nicht geklappt hat“, sagt der 29-Jährige. 
Dafür gelang der große Wurf im Privaten. Joachim Boldsen heiratete im Sommer 2006 seine langjährige Partnerin Nancy, schon im März gesellte sich Töchterchen Fleur zur Familie, um die nun alles kreist im Leben dieses widersprüchlichen Mannes, der mal bärbeißig, mal ausgesprochen herzlich erscheint.
Nancy und Fleur werden künftig mehr von Joachim haben, der weit weniger als in den letzten fünfeinhalb Jahren in Bussen und Flugzeugen anzutreffen sein wird. „Dänemark ist klein. In vier Stunden erreicht man jeden Zipfel“, sagt der Handballer, der von seiner Prominenz in einem kleinen Land auch als Werbeträger profitiert. Gerade legt er den Landsleuten den Konsum einer Nuss-Nougat-Creme ans Herz – wer könnte dies überzeugender tun als der bekennende Nicht-Asket?

Von: Jan Wrege