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15.04.2006 -Fans in der Ferne: 70000 Kilometer in einer Saison

Gut 6000 Zuschauer pilgern jedes Heimspiel in die Campushalle. Es ist selbstverständlich, seiner SG Flensburg-Handewitt vor Ort anzufeuern und die Daumen zu drücken. Für einige Fans ist ein Besuch der „Hölle Nord“ aber keine Normalität, sondern eher Luxus. Sie hat der Beruf oder die Ausbildung in andere Teile des Landes oder gar ins Ausland verschlagen. Oder sie entdeckten über die Medien das Herz für die SG. Der KONTER stellt an dieser Stelle einige der SG-Fans in der Ferne vor.
Annika Sauerzweig landete vor sechs Jahren wegen ihres Studiums im Heidelberger Raum. „Die Begeisterung für die SG war schon vor dem Umzug in den Süden vorhanden“, berichtet die 26-Jährige. „Aber nun nimmt sie ständig zu. Irgendwie ist da eine ganz große Portion Stolz über die Heimat mit dabei und natürlich auch ein wenig Heimweh.“ Die 730 Kilometer nach Hause sind leider nur schwer zu überbrücken. Wenn es geht, kombiniert sie einen Heimat-Urlaub mit einem SG-Spiel. Ihre Eltern, beide Dauerkarten-Besitzer, versuchen dann immer alles, um noch ein Ticket für ihre Tochter zu ergattern. Zuletzt hatte es im September gegen Minden geklappt. Sonst müssen Internet, Live-Ticker oder DSF herhalten, um auf dem Laufenden zu bleiben. Große Begeisterung entfachte bei Annika Sauerzweig der Live-Stream bei den Champions-League-Spielen. „Wäre super, wenn sich so etwas auch mal in der Bundesliga durchsetzen würde“, schwärmt sie.
Zum Glück lebt die Wahl-Heidelbergerin in keinem Bundesliga-Vakuum. Es gibt ja die aufstrebende SG Kronau-Östringen. Beim dramatischen Pokalspiel gegen den VfL Gummersbach war Annika Sauerzweig in der Halle. „Man kann mit den wirklich netten Krösti-Fans im Forum diskutieren“, erzählt sie. „Und gegen Kiel und Magdeburg kann man die Kröstis auch ohne schlechtes Gewissen anfeuern.“ Der Höhepunkt der Saison steht aber noch aus. Der Gastauftritt der SG Flensburg-Handewitt in der SAP-Arena.
Wolfgang Geertsen ist schon seit Ewigkeiten vom SG-Bazillus befallen. Und dieser „Virus“ lässt sich auch im bayrischen Handball-Niemandsland nicht „abtöten“. 1988 schleppte ihn ein Freund (Werner „Malo“ Blank) erstmals zum Handball. Die Pokalpartie der damaligen SG Weiche-Handewitt gegen den TSV Milbertshofen – 25:24 nach zweimaliger Verlängerung – ließ eine neue Leidenschaft entflammen. „Von dieser Sportart war ich auf Anhieb fasziniert“, erzählt Wolfgang Geertsen heute.
Die erste Dauerkarte ließ nicht lange auf sich warten. Ebenso erste Auswärtsfahrten. „Auch meine Frau Gisela fand immer mehr Gefallen am Handball“, musste Wolfgang Geertsen keine familiären Hindernisse für das „Fan-Sein“ aus den Weg räumen. Beruflich gab es aber eine ernsthafte Belastungsprobe. Seit 1990 arbeitet der SG-Anhänger als Konstrukteur bei BMW in München, wohnt in Karlskron bei Ingolstadt.

Manch einer der SG-Fans in der Ferne imitiert im Wohnzimmer
die Stimmung der Nordtribüne.


Der heute 49-jährige behielt im ersten Jahr nach dem Umzug aber noch seine SG-Dauerkarte. Weil die neue berufliche Tätigkeit die ersten zwölf Monate nur Probe-Charakter hatte, fuhr Wolfgang Geertsen jedes Wochenende nach Hause. „Da ich auch bei einigen Auswärtsspielen war, bin ich in jener Serie fast 70000 Kilometer mit dem Auto gefahren“, zählt der begeisterte SG-Fan auf, der akribisch Buch über seine Touren führt. Seit seinem Wegzug nach Bayern schaffte es Wolfgang Geertsen immerhin zu 82 SG-Spielen, zuletzt nach Göppingen. Es ist inzwischen aber schon fast zwei Jahre her, dass Wolfgang Geertsen die 860 Kilometer von Ingolstadt nach Flensburg zurückgelegte. Die aber zu einem ganz besonderen Anlass – zur Meisterschafts-Feier 2004.
„Die Heimspiele der SG sind meine Auswärtsspiele, während die Auswärtsspiele der SG im Süden der Republik meine Heimspiele sind“, schmunzelt der SG-Anhänger über seine Leidenschaft. Längst füllen sich mehrere Ordner mit Zeitungsberichten, hängen diverse SG-Schals in seinem Büro. Eine Fernseh-Übertragung löst stets Festtags-Stimmung aus. „Dann stehe ich Zuhause vor dem Fernseher wie auf unserer Nordtribüne“, erzählt Wolfgang Geertsen, „und fiebere in meinem liebsten SG-Shirt mit.“ Und immer wenn es gegen den THW Kiel geht, hat auch das an einem Galgenstrick aufgehängte Zebra seinen Auftritt. Wenn allerdings nichts auf der Mattscheibe flimmert, müssen Computer und Live-Ticker den Informations-Bedarf decken.
Wesentlich einfacher als der SG-Fan aus Ingolstadt hat es Rasmus J. Joensen. Er wohnt in Hamburg und schafft es in jeder Serie für fünf bis acht SG-Spiele, in der Campushalle aufzuschlagen. Seit 1992 zittert der heute 33-Jährige mit der SG, besaß mehrere Jahre lang eine Stehplatz-Dauerkarte. „1992 war ich das erste Mal in der Wikinghalle“, erzählt Rasmus J. Joensen. „Durch die Verpflichtung von Jan Eiberg Jörgensen wurde ich endgültig zum Fan.“
2001 folgte der Umzug an die Elbe. Auf die Idee, seiner SG den Rücken zuzukehren, ist er aber nie gekommen. „Fan ist man sein Leben lang“, schmunzelt der Finanz-Dienstleister. „Und so weit ist Flensburg ja zum Glück nicht weg.“ Wenn die Zeit mal nicht für eine Fahrt in den hohen Norden reicht, müssen DSF und Internet aushelfen. „Wenn gar nichts geht“, ergänzt Rasmus J. Joensen, „rufe ich meinen Kumpel an, der mit Dauerkarte immer vor Ort ist.“ Zwei Mal in der Saison lässt sich der „Handball-Hunger“ direkt vor der Haustür befriedigen: wenn die SG in Hamburg gastiert und beim Final Four – diesmal leider ohne den Lieblingsverein.

Bei Auswärts-Touren treffen sich SG-Fans aus Nah und Fern:
Heinz Jacobsen und Claus-Heinrich Clausen (Trochtelfingen).

Die SG Flensburg-Handewitt hat übrigens auch Sympathisanten im Ausland. Eine von ihnen ist Michelle Hornick aus Luxemburg. Die 20-jährige Schülerin hat rein zufällig ein Spiel der SG auf DSF gesehen. Durch einen Bekannten aus Flensburg wuchs das Interesse an Deutschlands nördlichsten Handballern ständig. „Der deutsche Handball bietet sehr viel mehr als der luxemburgische“, stellte sie schnell fest. „Es ist sehr interessant eine Mannschaft zu unterstützen, die auch im Europapokal spielt.“
Michelle Hornick nutzte auch schon die Gelegenheit, die Grenze nach Deutschland zu passieren, um ihrer SG in Düsseldorf oder Wetzlar „live“ die Daumen zu drücken. Dabei ergab sich sogar ein Treffen. „Ich fand die Spieler ganz nett“, lächelt die Luxemburgerin. „Die Mannschaft präsentiert sich weniger arrogant als andere Bundesliga-Teams.“ Der Fan-Alltag sieht für Michelle Hornick allerdings etwas anders aus. Bei den meisten Spielen fiebert sie am Live-Ticker im Internet.
Auch Sabrina Schön aus Gießen entdeckte ihre „Liebe“ zur SG über das Fernsehen. Als „Durchbruch“ entpuppte sich vor gut einem Jahr die DSF-Übertragung zwischen den Nordlichtern und dem TBV Lemgo. „Ich war sofort begeistert von der Mannschaft“, bekam die 34-Jährige große Augen. „Irgendwie fand ich die Truppe locker und lustig. Ich habe das Gefühl, die Flensburger gehen nicht so verkrampft an Spiele wie andere.“ Ein Besuch in der Campushalle ist noch nicht zu Stande gekommen. Vor kurzem kreuzte ihr Lieblingsverein aber praktisch vor der Haustür auf – in Wetzlar. „Es war natürlich etwas merkwürdig, als Flensburg-Fan so verloren mittendrin zu sitzen“, erzählt Sabrina Schön, die sich sonst über die SG-Homepage und das Forum informiert. Die kaufmännische Angestellte schmunzelt: „Man muss nicht immer ganz nah dabei sein, um ein Fan mit Leidenschaft zu sein.“

Von: ki