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PGE Vive Kielce

Im Frühling 2016 tanzten die Spieler und Offiziellen im Konfettiregen von Köln: Vive Kielce feierte den Triumph in der VELUX EHF Champions League, war die Nummer eins im europäischen Handball. Diese glorreiche Stunde liegt noch keine zwei Jahre zurück, klingt aber derzeit wie ein Märchen aus 1000 und einer Nacht. Denn es kriselt in der polnischen Ballwerfer-Zunft. Die Nationalmannschaft verpasste die jüngste Europa- und auch die kommende Weltmeisterschaft. Wisla Plock droht in der Königsklassen-Parallelgruppe das vorzeitige „Aus“, und auch PGE Vive Kielce ist trotz der Klasse, die nach wie vor im Kader steckt, noch nicht aus dem Schneider.

Erfolgstrainer Talant Dujshebaev.

Für Schlagzeilen sorgten im letzten Jahr die Kicker von Korona Kielce, wo sich der ehemalige deutsche Fußball-Torhüter Dieter Burdenski einkaufte, um dort mittelfristig erfolgreiche Strukturen aufzubauen. Für die sportlichen Lorbeeren der 200.000 Einwohner zählenden Stadt, die 180 Kilometer südlich von Warschau liegt, sind aber weiterhin ausschließlich die Handballer von PGE Vive Kielce zuständig. Vor exakt 25 Jahren fuhren sie die erste polnische Meisterschaft ein.

Als der Klub auf dem Weg war, das halbe Dutzend in seiner Titelsammlung vollzumachen, stieg Bertus Servaas als Präsident ein. Der gebürtige Niederländer hatte sich 1991 in Polen niedergelassen, nutzte den frischen ökonomischen Wind in Osteuropa und baute mit „Vive“ einen Markführer im Textil-Recycling auf. Einst hatte er für Ajax Amsterdam gekickt, doch von seinem alten Lieblingssport ließ er die Finger. „Fußball ist mir zu teuer“, erklärte Bertus Servaas. „In Kielce wird der Handball gelebt.“

Routinier Michal Jurecki.

Besonders erfolgreich wurden die Gelb-Blauen ab 2009, als sie das Geschehen in der polnischen Superliga zu beherrschen begannen. Zuletzt glückten sechs Titel am Stück. Diese Dominanz beeinflusste Bertus Servaas direkt mit größeren Finanzspritzen aus dem eigenen Haus. „Ich habe gesagt, dass ich mich engagiere, wenn das Ziel lautet, die VELUX EHF Champions League zu gewinnen“, betonte der Geschäftsmann. 2016 war der europäische Thron bestiegen.

Im letzten Frühling war der Traum von einer Titelverteidigung bereits im Achtelfinale ausgeträumt, als Kielce überraschend gegen Montpellier HB den Kürzeren zog. Das polnische Double war der normale Gang der Dinge und konnte die zuletzt unruhige Stimmung offenbar nicht lindern. Es war zu hören, dass Bertus Servaas als Präsident zurücktreten möchte. Auch von Rückständen bei den Spielergehältern war die Rede. Die Lizenz für die polnische Superliga ließ auf sich warten. Zu allem Überfluss stieg der Elektrizitätsriese „Tauron“ als zweiter Namenspatron neben „Vive“ aus. Erst Anfang September war eine Lösung gefunden. In der „Hala Legionow“ feierte der Klub eine Gala, mit der er ein neues Energieunternehmen begrüßte. Zunächst für eine Saison lautet der Vereinsname: PGE Vive Kielce.

Neuzugang Blaz Janc.

Sportlich hat weiterhin Talant Dujshebaev das Sagen. Die Garde der ehemaligen polnischen Nationalspieler ist noch präsent. Karol Bielecki, Michal Jurecki und Krzysztof Lijewski erzeugen viel Wurfkraft aus der zweiten Reihe. Torwart Slawomir Szmal zählt seit Jahren zur europäischen Spitze. Doch die Zeit bleibt nicht stehen, die polnischen Stars sind alle deutlich über 30 Jahre alt, ebenso der spanische Kreisläufer Julen Aguinagalde oder der slowenische Regisseur Uros Zorman. Ein größerer Umbruch steht bevor.

Die Weichen für die Zukunft sind gestellt. Mit Andreas Wolff kommt spätestens 2019 ein neuer Torhüter. Vier talentierte Spieler besitzen bereits einen Kielce-Kontrakt, sind aber quer durch Europa ausgeliehen. Dazu zählt auch Szymon Sićko, der momentan für Bundesliga-Aufsteiger TV Hüttenberg spielt. Zwei potenzielle Stars der nächsten Dekade sollen schon jetzt eine große Rolle spielen. Trainersohn Alex Dujshebaev verjüngte zu Saisonbeginn den rechten Rückraum. Der slowenische Rechtsaußen Blaz Janc, zuletzt Torschützenkönig der Seha-League, wurde als Ersatz für Tobias Reichmann (MT Melsungen) verpflichtet. Mit den Neuzugängen sahen sich die Kielce-Handballer für die VELUX Champions League gerüstet. „Wir wollen bis zum letzten Spieltag um den Gruppensieg kämpfen“, erklärt Rückraum-Shooter Michal Jurecki. „Unser großes Ziel heißt Köln.“ Schon jetzt ist klar: Mehr als Platz vier oder fünf dürfte in der Gruppe B nicht drin sein. Ab dem Achtelfinale ist aber noch viel möglich.