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Das „Finale“ um die Meisterschaft

(sh:z; Jan Wrege) „Riesenenttäuschung – ich glaube, das ist eine gute Zusammenfassung. Es werden jetzt lange 13 Tage für uns“, sagte Lasse Svan. Der Rechtsaußen der SG Flensburg-Handewitt hat die  deutsche Handball-Meisterschaft für diese Saison abgeschrieben. Nach dem 23:21 (13:11)-Sieg gestern beim Bundesliga-Gipfeltreffen in der Flens-Arena werden die Rhein-Neckar Löwen ihren Titel wohl verteidigen. „Dass sie in den letzten drei Spielen noch vier Punkte wegschmeißen, ist nicht realistisch“, meinte Svan.

Es ist eine Verrücktheit der Sportgeschichte, dass beide Mannschaften ein Fluch in den direkten Duellen begleitet: Die Löwen im Pokal notorisch erfolglos, die Flensburger jetzt im vierten Bundesliga-Heimspiel in Folge besiegt. Die Misere der SG gegen die Mannheimer wiegt allerdings weitaus schwerer. Die Chance auf den zweiten Gewinn des wertvollsten Titels nach 2004 ist auf ein Minimum gesunken, auch wenn Geschäftsführer Dierk Schmäschke sagt: „Die Saison ist erst zu Ende, wenn am 10. Juni nach 60 Minuten abgepfiffen wird.“

Trainer Ljubomir Vranjes, der seine beeindruckende Titelsammlung aus Champions League, EHF-Pokal, DHB-Pokal und Supercup wohl nicht komplettieren wird, war emotional tief aufgewühlt. Die Bitte eines TV-Reporters um einen Einblick in sein Innerstes war zu viel. Vranjes brach das Interview ab und verschwand in die Kabine – verständlich. „Es tut weh, mehr als normal“, hatte er gesagt. Was wäre da hinzuzufügen?

Zuvor hatte der scheidende SG-Coach wie sein Kollege Nikolaj Jacobsen von Kleinigkeiten gesprochen, die in diesem „Finale“ den Ausschlag gegeben hätten. Keine Kleinigkeit war allerdings die Tatsache, dass SG-Linkshänder Johan Jakobsson seit drei Wochen eine bis gestern geheim gehaltene Verletzung quält. Im Spiel gegen Lemgo hatte sich der Schwede einen Bruch des Erbsenbeins – das ist der kleinste der acht Handwurzelknochen – zugezogen. „Nur“ in der rechten Hand, aber damit war Jakobsson in der Abwehr nicht mehr einsetzbar. Teamarzt Dr. Torsten Ahnsel wies überdies daraufhin, dass eine solche Verletzung unvermeidlich das gesamte Leistungsvermögen beeinträchtigt, trotz intakter Wurfhand. Dennoch stellte sich Jakobsson angesichts des Ausfalls von Holger Glandorf in den Dienst der Mannschaft, ein Risiko der Verschlimmerung soll laut der SG-Ärzte nicht bestehen.

„Das ist ein Riesenproblem für uns. Es kommt gerade alles zusammen“, stellte Vranjes resignierend fest. Jakobssons Verletzung sei der Grund gewesen, weshalb er das Spiel mit drei Rechtshändern im Rückraum – Gottfridsson, Mogensen und Lauge – begonnen habe. „Ich muss so spielen. Ich habe keine andere Wahl“, hatte Vranjes in der Pressekonferenz zunächst etwas kryptisch angegeben, bevor Dierk Schmäschke für Aufklärung sorgte – durchaus zum Missfallen des Trainers.

Die aus der Not geborene Formation hatte ihre liebe Mühe mit der aufmerksamen und beweglichen 5:1-Deckung der Gäste. „Wir haben sehr erwachsen gespielt, jeder hat seinen Job erledigt“, sagte Andy Schmid, der sich in der „Hölle Nord“ wieder einmal zum König der Löwen aufschwang. Fünf Mal traf der Spielmacher selbst, zu beinahe jedem weiteren Treffer initiierte er die Vorbereitung. So fanden die Mannheimer gleich ins Spiel, mussten in den gesamten 60 Minuten nur einmal beim 5:4 (13.) den Flensburgern die Führung überlassen.

Trotz der gefühlten Überlegenheit des Titelverteidigers blieben die SG-Hoffnungen am Leben. Daran hatte Torhüter Mattias Andersson großen Anteil, indem er sich nach der Pause in Glanzform steigerte. Vorn blieben jedoch die Probleme. Jakobsson, der nach 18 Minuten dann doch die Linkshänder-Position besetzte, konnte nur zwei Tore beisteuern. Jedoch unterliefen ihm in diesem Spiel, das für den SG-Angriff nie richtig rund lief, ebenso wie seinen Nebenleuten mehrere Fehler. Zwölf Ballverluste in der Offensive summierten sich am Ende zu einer Hypothek, die die SG nicht mehr abtragen konnte.

Die Löwen indes fanden in der Schlussviertelstunde mit dem taktischen Mittel des siebten Feldspielers noch einige gute Lösungen gegen die Flensburger Deckung, Bezeichnend auch, dass selbst der beste SG-Angreifer Kentin Mahé mit dem Fehlwurf aufs leere Löwen-Tor in der 57. Minute die große Chance zum Ausgleich vergab. „Wer weiß, wie es ausgegangen wäre, wenn Mahé getroffen hätte“, sinnierte Löwen-Trainer Jacobsen, „wir sind ein glücklicher Sieger.“