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Kein Entrinnen aus der Abwärtsspirale

(sh:z; Hans-Werner Klünner) „Auf Erst Euphorie, dann Enttäuschung und Frust, jetzt Wut und Beschimpfungen – innerhalb von nur vier Tagen ist die Stimmung total umgeschlagen. Zwei Niederlagen haben für die SG Flensburg-Handewitt alles verändert. Der Handball-Verein steht vor den Scherben einer Spielzeit, die nach der Personal-Offensive im Sommer 2015  zum Triumphzug werden sollte. Doch nach dem 21:23 gegen die Rhein-Neckar Löwen und dem 27:31 vom Mittwoch bei Frisch Auf Göppingen stehen die Nordlichter zum zweiten Mal in Folge ohne Titel da – gescheitert an der eigenen Erwartungshaltung und dem Druck von außen. „Das tut brutal weh“, sagte Geschäftsführer Dierk Schmäschke unmittelbar nach dem Debakel in Göppingen. Auch der sichtlich mitgenommene Trainer Ljubomir Vranjes rang nach Worten: „Es tut mir leid für die Mannschaft.“

Im Vorjahr nach der ersten Spielzeit ohne Titel in der Ära Vranjes war die Wahrnehmung noch eine ganz andere gewesen. Die Flensburger waren im Viertelfinale der Champions League unter skandalösen Umständen in Kielce gescheitert, hatten nur vier Tage später mit den Kräften am Ende und ohne Rasmus Lauge das Pokalfinale knapp gegen Magdeburg verloren und anschließend das Fernduell um den Titel mit den Löwen bis zum letzten Spieltag offen gehalten. So wurde die Saison 2015/16 als eine der besten der Vereinsgeschichte gefeiert.

Am Mittwoch war alles anders, nachdem die Flensburger in nur siebeneinhalb Wochen drei Titelchancen weggeworfen hatten. „Nie war die Chance für uns so groß, Deutscher Meister zu werden“, musste auch Ljubomir Vranjes zugeben. Nach der Niederlage in Göppingen prasselte in den sozialen Netzwerken der SG ein wahrer „Shitstorm“ auf Vranjes und seine Spieler herab. Auf der seiner Facebook-Seite musste der Verein am Abend  dazu aufrufen, in den Kommentaren „bei aller berechtigter Kritik Respekt und Anstand zu bewahren“.

Für den Trainer waren die Beiträge im Netz ein Schlag ins Gesicht. „Die Fans dürfen ihre Meinung haben, sie dürfen auch Kritik üben, aber sie kennen nicht alle Hintergründe und sollten es deshalb mit Respekt machen“, sagte Vranjes. Er und seine Spieler hätten alles getan, um die Deutsche Meisterschaft zu gewinnen. Aber es habe durch Verletzungen auch taktische Zwänge gegeben. „Gegen die Löwen und Göppingen haben wir über 60 Minuten alles versucht. Wir verlieren ja nicht absichtlich. Das ist eine Beleidigung für die Spieler und für mich“, stellte der SG-Trainer unmissverständlich klar. „Den Ärger und Unmut der Fans kann ich verstehen – auch, dass man dafür ein Ventil braucht“, sagte Geschäftsführer Dierk Schmäschke. „Aber das haben Trainer und Spieler nicht verdient. Sie haben fast zwei Jahre lang hart gearbeitet und alles gegeben, um diese Chance zu bekommen.“

Der Wendepunkt in einer bis dahin überragenden Saison war für Ljubomir Vranjes, dessen Titelmission in seiner letzten Saison an der Flensburger Förde nun endgültig gescheitert ist, am 9. April die 23:29-Niederlage im Pokalfinale gegen den THW Kiel. „Da sind wir nicht so aufgetreten, wie wir gewollt hatten. Wir waren viel zu nett.“ Die erste vergebene Titelchance brachte die SG in eine Abwärtsspirale, aus der es offensichtlich kein Entrinnen gab. Es folgte die Niederlage in Berlin und nach dem Scheitern im Viertelfinale der Champions League gegen Vardar Skopje der folgenschwere Daumenbruch von Holger Glandorf. Ein Spiel darauf verletzte sich auch noch Johan Jakobsson. Der rechte Rückraum wurde zur Problemposition. „Das war ein harter Schlag, Mark Bult hat nun einmal nicht die Qualität eines Glandorf oder Jakobsson“, sagte Vranjes.

Doch das Scheitern im Titelkampf allein daran festzumachen, wäre zu einfach. In den entscheidenden Begegnungen spielten auch die Nerven nicht mit. Stress erwies sich als Gift für das Kollektiv. Weder Thomas Mogensen, noch Rasmus Lauge oder Kentin Mahé entpuppten sich als Führungsspieler, die in brenzligen Situationen das Heft in die Hand nahmen. Auf dem Feld standen viele Indianer, aber kein Häuptling. Und oftmals fehlten die einfachen Tore aus dem linken Rückraum.

„Wir befinden uns in einer der schwierigsten Phasen der letzten Jahre“, gestand Dierk Schmäschke offen ein. „Ausgerechnet in den Finalspielen haben wir unsere PS nicht auf die Straße bekommen. Dass der Schmerz bei allen tief ist, ist allzu verständlich.“ Die Vereinsführung werde die Saison nicht einfach abhaken und zur Tagesordnung übergeben. Doch zunächst sollen die beiden letzten Spiele mit Anstand über die Bühne gebracht und die Saison anschließend mit dem nötigen Abstand analysiert werden. „Und dann werden wir daraus unsere Schlüsse für die Zukunft ziehen.“ Um die ist dem SG-Geschäftsführer nicht bange. „Wir werden wieder eine tolle Mannschaft haben. Es kommen neue Spieler, und wir haben einen neuen Trainer“, so Schmäschke. „Darauf können wir uns freuen.“