Stripes
Stripes
Archiv

Die Fans haben ihre SG wieder lieb

(sh:z; Hans-Werner Klünner) Eine brodelnde „Hölle Nord“, ein dramatisches Spiel mit dem Sieg nach Verlängerung und als i-Tüpfelchen die Vertragsverlängerung von Kapitän Tobias Karlsson bis 2019 – das waren die Zutaten für einen denkwürdigen Pokal-Abend mit Happyend in der Flens-Arena. Die 5687 Zuschauer hatten die SG Flensburg-Handewitt lautstark zum 36:34 (30:30, 14:16)-Achtelfinalerfolg über die Füchse Berlin getrieben, nach dem der Spitzenreiter der Handball-Bundesliga nur noch einen Schritt von der siebten Teilnahme in Folge am Final Four in Hamburg (8./9. April) entfernt ist.

„Vielen, vielen Dank für die unglaubliche Unterstützung von der 1. bis zur 70. Minute“, bedankte sich Trainer Ljubomir Vranjes bei den Fans. „Ohne Euch hätten wir es heute nicht geschafft.“ Noch vor einer Woche hatte sich der Schwede nach dem Champions-League-Spiel gegen Wisla Plock über die „leise Stimmung“ in der Flens-Arena beklagt und dafür teilweise Kritik einstecken müssen. Doch nach einem offenen Brief des 43-Jährigen am Dienstag über Facebook, in dem er seine Schelte über eineinhalb Din-A4-Seiten begründet hatte, vollzog der eigene Anhang wieder den Schulterschluss und entfachte eine Stimmung wie zu alten Zeiten. „Das war wie früher“, meinte Füchse-Sportdirektor Volker Zerbe, der als Spieler mit dem TBV Lemgo etliche heiße Duell mit der SG in der „Hölle Nord“ ausgefochten hatte. „Es ist ein Geben und Nehmen“, sagte SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke. „Die Fans haben uns gepusht, und die Mannschaft hat geliefert.“  Von der 16. Minute, als die SG erstmals mit 7:8 in Rückstand geraten war, bis zum Schlusspfiff nach 70 Minuten hatten die Flensburger Zuschauer jeden SG-Angriff lautstark und stehend begleitet – 55 Minuten lang Abendgymnastik für ihren Verein – immer wieder auf und nieder. In der „Hölle Nord“ herrschte eine sensationelle Atmosphäre.

Davon hatten sich die Füchse jedoch nicht beeindrucken lassen. Mit einem starken Auftritt hatten sie den Beweis angetreten, warum sie mit 16:2-Punkten in die Liga gestartet sind und auf Platz drei stehen. „Die Füchse hätten auch gewinnen können“, gab Vranjes zu. Nach durchwachsener erster Hälfte waren die Flensburger mit einem bärenstarken Mattias Andersson im Rücken, der fast alles parierte, auf 23:18 davongezogen. „Die Lieblingsphase der SG“, meinte Füchse-Coach Erlingur Richardsson. Zehn Minuten vor Schluss beim 27:23 schien der Bundesliga-Primus noch immer auf der Siegerstraße. Doch dann ging Richardsson volles Risiko, brachte fortan in jedem Angriff den siebten Feldspieler – und wurde dafür belohnt. „Ich mag diese Regel nicht, aber bei vier Toren Rückstand musste ich etwas machen“, sagte der Füchse-Coach. Tor um Tor holte Berlin auf , schaffte 109 Sekunden vor Ultimo den Ausgleich und hatte im letzten Angriff der regulären Spielzeit sogar die Chance zum Sieg. Doch sie verloren den Ball.

In der Verlängerung scheiterten die Gäste einige Male am eingewechselten Kevin Möller im SG-Tor, zudem kam sie eine Zeitstrafe gegen Paul Drux teuer zu stehen. Die SG setzte sich auf 34:31 ab und überstand ihrerseits eine Zwei-Minuten-Strafe gegen Jacob Heinl nahezu schadlos (35:33). Als Kentin Mahé dann 35 Sekunden vor Schluss von Außen zum 36:34 traf, glich die „Hölle Nord“ einem Tollhaus.

„Kevin hat uns gerettet“, lobte Vranjes den Dänen, den er nach 58:25 Minuten für Mattias Andersson gebracht hatte. Eine Maßnahme, die auf der Tribüne für Staunen gesorgt hatte. „Zu diesem Zeitpunkte habe ich so etwas noch nie gemacht“, gestand Vranjes. Aber der Erfolg gab ihm wieder einmal Recht. Vier Würfe wehrte der dänische Nationalkeeper ab und avancierte damit zu einem der Matchwinner. Möller hatte nicht mit seiner Einwechslung gerechnet. „Das war sehr ungewöhnlich, weil Mattias ja gut gehalten hatte“, sagte der    27-jährige Keeper. „Aber das zeigt, dass der Trainer Vertrauen hat. Du musst immer bereit sein.“ Die Spieler auf dem Feld hatten den Torwart-Wechsel zunächst gar nicht mitbekommen, weil sie im Angriff waren. „Ich war zuerst geschockt, als ich Kevin im Tor sah“, sagte Jim Gottfridsson. „Aber er hat seine Sache super gemacht.“

Zufrieden sein konnte auch der junge Schwede. Der SG-Trainer hatte nach der Pause auf ihn im Rückraum neben Thomas Mogensen und seinem Landsmann Johan Jakobsson gesetzt. Mit dem dänischen Spielmacher als Antreiber hatte das Schweden-Duo danach – trotz einiger Fehler in der hektischen Schlussphase der regulären Spielzeit – zusammen zehn Tore zum SG-Sieg beigesteuert. „Ja, da waren ein technischer Fehler und ein Stürmerfoul dabei, aber ich habe weiter gemacht. Darüber darf man nicht nachdenken“, sagte Gottfridsson.

„Das war ein richtig schöner Sieg“, jubelte Johan Jakobsson. „Dieses Spiel hatte alles, was den Pokal ausmacht, und die Stimmung war einfach fantastisch“, meinte der Linkshänder, der diesmal mehr Spielzeit erhalten hatte als Holger Glandorf. Dass er gegen die Füchse so lange auf der Platte stehen würde, hatte er im Vorwege ebenso wenig geahnt wie Jim Gottfridsson. „Wir wissen nie, wann uns der Trainer bringt“, sagte Jakobsson. Ljubomir Vranjes hatte offensichtlich wieder das richtige Händchen.