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Ein Sieg für den verletzten „Chef“

(sh:z; Hans-Werner Klünner) Mehr Symbolkraft hätte die Szene nicht ausstrahlen können. Nach kurzem Jubel ins Publikum drehte Holger Glandorf ab, eilte auf Tobias Karlsson zu, den es trotz seiner Gehhilfen nicht auf seinem Tribünenplatz gehalten hatte, und umarmte seinen Mannschaftskameraden innig. Kurz darauf kam Mattias Andersson hinzu und folgte Glandorfs Beispiel. Im Spiel getrennt, im Sieg wieder vereint. Auch ohne ihren verletzten Abwehrchef hatte die SG Flensburg-Handewitt das 92. Landesderby der Handball-Bundesliga gegen den THW Kiel nach 60 packenden Minuten mit 30:29 (13:14) für sich entschieden und damit vielleicht schon einen großen Schritt in Richtung zweite Deutsche Meisterschaft nach 2004 getan. „Das war ein Sieg für Tobi, aber auch für die Fans und für uns alle“, strahlte Trainer Ljubomir Vranjes.

Nach dem Ausfall von Johan Jakobsson hatten die Flensburger kurz vor dem Gipfeltreffen mit den Kielern einen zweiten Rückschlag verdauen müssen. Im Abschlusstraining hatte sich Kapitän Karlsson einen Muskeleinriss im rechten Oberschenkel zugezogen. Sechs bis acht Wochen Pause – und damit eventuell ein Comeback beim Final Four Anfang April. Das eingespielte Abwehrbollwerk war zerbrochen, der „Chef“ musste auf die Tribüne und litt dort Höllenqualen. „Ich war zur Halbzeit so nervös, ich hätte kotzen können, weil ich meinen Jungs nicht helfen konnte“, schilderte Karlsson seine Gefühlslage. Doch am Ende gab es ein Happy End. „Kleinigkeiten haben den Ausschlag gegeben, auch Kiel hätte heute gewinnen können“, gab der Abwehrspezialist zu.

Ohne Karlsson im Zentrum musste Vranjes umdisponieren. Und wieder einmal hatte der Trainer das richtige Händchen. Der neue Mittelblock mit Jacob Heinl und Henrik Toft Hansen hielt dem Kieler Ansturm stand. „Was Jacob und Henrik gespielt haben, war beeindruckend“, lobte der 43-jährige Schwede und verteilte Komplimente an seine Mannschaft. „Die Ausfälle von Johan und Tobi waren ein harter Schlag für uns, aber wir haben nicht gejammert, sondern Charakter gezeigt.“

Der war auch vonnöten, um gegen einen starken THW Kiel zu bestehen. Nach einer 5:1-Führung hatten die Flensburger den Rekordmeister mit drei Fehlern in Folge ins Spiel zurück geholt und waren nach dem Wechsel meist einem knappen Rückstand hinterher gelaufen. Beim 20:22 hatten die Kieler sogar drei Mal in Folge die Chance, auf drei Tore wegzuziehen, was an diesem Abend womöglich eine Vorentscheidung gewesen wäre. Das aber verhinderte Mattias Andersson, der das Duell der Torhüter gegen Niklas Landin mit 16:13 Paraden für sich entschied. Der „alte“ Schwede hielt die Flensburger Hoffnungen bis in die Schlussphase am Leben, Weltmeister Kentin Mahé ließ sie Realität werden. Mit sechs Treffern in den letzten 13 Minuten avancierte der 25-jährige Allrounder zum Matchwinner. Er war es auch, der 93 Sekunden vor Ultimo den entscheidenden Treffer markiert hatte – nach einem „Traumpass“ von Holger Glandorf: Ein Knaller an den Pfosten, Abpraller zu Mahé – 30:29 mit einem Wurf ins leere Tor. „Da kommt Kentin mit Gold von der Weltmeisterschaft zurück und zeigt im Verein gleich eine Weltklasseleistung“, staunte Vranjes.

Während die Flensburger und ihre Fans nach dem Schlusspfiff Minuten lang den Derbysieg singend und tanzend feierten, waren die Kieler total geknickt. „Wir waren heute die bessere Mannschaft und hätten einen Punkt verdient“, haderte Trainer Alfred Gislason mit dem Schicksal. Vranjes räumte ein, dass die SG am Ende das Glück auf ihrer Seite hatte, sagte aber auch: „Beim 23:24 in Kiel waren wir die bessere Mannschaft, da hat Kiel das Spiel gedreht. Heute war Kiel besser, und wir haben es gedreht. So etwas gleicht sich im Laufe der Saison aus.“ Von einer Vorentscheidung im Titelkampf wollten die Flensburger trotz jetzt drei Punkten Vorsprung auf den Rekordmeister noch nichts wissen. „Das war ein sehr wichtiges Spiel“, sagte Geschäftsführer Dierk Schmäschke. „Aber wir haben noch viele Spiele vor uns. Die Saison ist noch so lang.“