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Flensburger werfen den Sieg weg

(sh:z; Jan Wrege) Mehr Drama geht nicht. Das 89. Handball-Landesderby endete in ultimativer Zuspitzung: Siebenmeter nach Ablauf der Spielzeit, Anders Eggert hatte es in der Hand, der SG Flensburg-Handewitt wenigstens einen Punkt gegen den THW Kiel zu sichern. Doch der dänische Linksaußen traf den Pfosten. Es blieb beim 24:23 (11:14) für den Rekordmeister – der Rest war unbändiger Jubel in schwarz-weiß um den neuen Tabellenführer der  Bundesliga.

Es war ein denkwürdiges Duell. Eine Halbzeit lang steuerte der bisher ungeschlagene  Titelanwärter Flensburg  haushoch überlegen einem souveränen Sieg – dem dritten in der Kieler Arena hintereinander – entgegen, die Gastgeber einem Desaster. „Wir haben fast optimal gespielt, das war richtig guter Handball“, sagte SG-Trainer Ljubomir Vranjes. Mit 14:8 führten die Gäste nach 27 Minuten vor 10285 zumeist recht stillen Zuschauern. Es war eine Lehrstunde für Kiel. Die Flensburger leisteten sich im ersten Durchgang sogar den Luxus, durch Eggert (ein Gegenstoß, ein Siebenmeter) und Kentin Mahé (frei durch) noch drei Großchancen zu vergeben. Über acht oder neun Tore Rückstand hätte sich der THW nicht beschweren dürfen. Allein der überragende Torhüter Andreas Wolff hielt leise Hoffnungen wach.

„Andy war überragend, sonst wäre es noch schlimmer für uns gekommen“, wusste THW-Spielmacher Domagoj Duvnjak, bei wem man sich zu bedanken hatte. Er selbst stand mit dem Kieler Angriff oft vor einem unlösbaren Rätsel, das die SG-Abwehr und ein ebenfalls herausragender Keeper Mattias Andersson dem Erzrivalen aufgaben. Dennoch begann die Wende schon kurz vor der Pause. „Es sah  nicht so großartig aus, aber dann haben wir uns zusammengerissen“, meinte THW-Trainer Alfred Gislason. Zugute kam den Gastgeber aber vor allem eine Zeitstrafe für Thomas Mogensen. In Überzahl erzwangen Lukas Nilsson und Niclas Ekberg zwei Tore, Nikola Bilyk legte Sekunden vor Ende der ersten Hälfte gegen die aus dem Rhythmus geratenen Flensburger noch eines zum 11:14 nach.

Kiel war wieder am Leben. Den ersten Ansturm des THW nach Wiederbeginn überstanden die Flensburger dank einer weiterhin starken Defensive noch leidlich. Aber sie brachten im Angriff nichts mehr zustande. Fast 15 Minuten blieb der bisherige Spitzenreiter ohne Feldtor, die Kieler hatten inzwischen mit 16:15 erstmals in diesem Derby die Führung übernommen. „Wir kämpfen wie die Wahnsinnigen, aber wir machen zu viele technische Fehler“, sagte Linkshänder Holger Glandorf. Torhüter Mattias Andersson musste machtlos mitansehen, wie den SG-Angreifern das Spiel entglitt. „Wir haben Kiel eingeladen. Wir werfen die Bälle weg, die laufen Tempogegenstöße“, stellte der Schwede fest.

Inzwischen war die Halle wach, die Derby-Atmosphäre brodelte, die „Zebras“ wurden von ihren Fans auf Trab gebracht. Den Flensburgern schwanden zwar  nicht sichtbar die physischen Kräfte, aber die Konzentration. Am Ende hatte sich die technischen Fehler in den zweiten 30 Minuten auf zehn summiert. „Das passiert  den Flensburgern normalerweise nicht. Ich habe mich gewundert, dass sie nicht mehr wechseln und Johan Jakobsson früher bringen“, meinte THW-Kreisläufer Rene Toft Hansen.

Jakobsson war – ungeplant – nach 47 Minuten für den angeschlagenen Glandorf gekommen. Ein Glücksgriff, wie es zunächst schien, denn der Schwede warf die SG wieder mit 17:16 nach vorn. Doch dann wurden die Gäste von der zweiten Welle der Kieler überrollt. Zweimal führte der THW mit zwei Toren, bevor sich am Ende doch noch die Chance für Flensburg eröffnete, einen Punkt zu retten. Lasse Svan schaffte den Anschlusstreffer und holte den letzten Strafwurf heraus – doch der machte lediglich Anders Eggert zum unglücklichsten Mann des Tages. „Es tut mir leid für Eggi, aber er wird darüber hinwegkommen“, tröstete Glandorf den Kameraden.


Stimmen
Alfred Gislason (THW-Trainer): „Es war ein großartiges Derby. Wir waren sicherlich die etwas glücklichere Mannschaft. Man hat gesehen, dass es eine Weile dauern wird, bis bei uns die Automatismen so greifen wie bei Flensburg.“
Ljubomir Vranjes (SG-Trainer): „Ich bin traurig, dass es nicht zwei Punkte für uns geworden sind. Wir hatten es in der zweiten Halbzeit schwer mit der THW-Abwehr, und auch der Torwart hat uns wehgetan.“
Anders Eggert (SG-Linksaußen) über den letzten Siebenmeter: „Wie oft werde ich wohl an diesen Fehlwurf denken? Jedes Mal, wenn ich auf die Tabelle schaue und die zwei Punkte auf der falschen Seite sehe.“
Dierk Schmäschke (SG-Geschäftsführer): „Ein Unentschieden wäre gerecht gewesen. Wir müssen jetzt fokussiert bleiben und dürfen keine Heimspiele abgeben. In Kiel kann man verlieren.“
Thorsten Storm (THW-Geschäftsführer): „Ich bin total stolz auf Trainer und Spieler. Für unsere junge Mannschaft war es ein wichtiges Signal, gerade auf diese Art und Weise zu gewinnen.“