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In den Schlüsselszenen nicht präsent

(sh:z; Jan Wrege) Gäbe es es im Handball eine Note für Spielkunst, stünde die SG Flensburg-Handewitt nach 180 Derby-Minuten als Sieger da. Den Großteil der drei intensiven Stunden beherrschte das Team von Trainer Ljubomir Vranjes den THW Kiel. Doch am Ende zählen nur Fakten. Der deutsche Rekordmeister streicht zwei wichtige Punkte in der Bundesliga ein und schafft sich zum Abschluss der Trilogie mit dem unerwarteten 25:24(17:13)-Sieg im Gruppenspiel der Champions League ein psychologisch wertvolles Momentum für den weiteren Saisonverlauf. Der SG bleibt ihr höchster Auswärtssieg der Derby-Geschichte, der allerdings im irrsinnig aufgeblähten Vorrunden-Geplänkel der europäischen Königsklasse    von untergeordneter Bedeutung ist. Den Einzug ins Achtelfinale werden beide Mannschaften ohnehin kaum vermeiden können.

THW-Trainer Alfred Gislason kam nach 2:1 Siegen zu einem bemerkenswerten Resümee: „Die Flensburger Mannschaft war deutlich besser. Dass wir zweimal gewonnen haben, sagt nicht viel. Um  daran heranzukommen, wie Flensburg spielt, müssen wir noch hart arbeiten.“ SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke fühlte sich an aktuelles politisches Geschehen  erinnert: „Das war wie bei Clinton: Die hat die meisten Stimmen und gewinnt trotzdem nicht.“

Man muss eben in den Schlüsselszenen präsent sein. Am Mittwoch war das die 50. Minute, als die SG die Chance  bekam, in 6:4-Überzahl einen 22:23-Rückstand in eine Führung zu verwandeln. Doch Johan Jakobsson beging ein Stürmerfoul, Anders Eggert traf die Latte – und der THW gewann die kritische Phase mit 1:0 durch ein Tor von Domagoj Duvnjak. Kurz darauf erhöhte Nikola Bylik auf 25:22, eine Vorentscheidung.

Es gab danach noch gute Gründe für die SG, mit den rumänischen Schiedsrichtern Dinu/Din zu hadern, die Rasmus Lauge zu Unrecht ein Tor wegen eines vermeintlichen Stürmerfouls verwehrten und dem THW 45 Sekunden für den letzten Angriff gewährten. Aber darauf mochte Johan Jakobsson die Niederlage nicht schieben: „Wir sind selber schuld. Es ist ja   Spekulation, ob wir überhaupt ein Tor gemacht hätten, wenn sie den Kielern das Zeitspiel abpfeifen.“ Das ist tatsächlich die große Frage, denn die Chancenverwertung war bis auf das zweite Spiel ein Problem der SG in den Derbys. „Wir haben fantastisch viele Möglichkeiten, spielen guten Handball – aber vergeben zu viele freie Würfe. Da fehlte ein bisschen die Souveränität“, stellte Trainer Vranjes fest. „Wir haben den Stress nicht gut bewältigt.“

Den hatte sich die SG in der ersten Halbzeit selbst bereitet, als sie in der Abwehr keinen Zugriff auf verblüffend kühl agierende Kieler bekam. Die Gäste zeigten nach dem Debakel drei Tage zuvor nicht die Spur von Nervosität, ließen unter der Regie des großartigen Duvnjak den Ball bis zur Wurfchance laufen oder brachen sich hier und da  mit der Wucht von Linkshänder Christian Zeitz Bahn. „Wir standen nicht kompakt genug zusammen und haben kaum Gegenstöße bekommen“, fand Jakobsson.

„Es wird immer schwierig für uns, wenn wir nicht zu 100 Prozent da sind“, sagte Lasse Svan. „Wenn wir die 100 Prozent bringen, haben wir keine Probleme – egal, gegen wen wir spielen. Das haben wir mehrmals gezeigt.“ Im Spiel-Rhythmus der englischen Wochen den Willen immer in die richtige Bahn zu lenken, bleibt eine Herausforderung. „100 Prozent – das ist einfach zu sagen, aber schwer zu machen“, weiß Svan als ausgebildeter Mentalcoach.